„Rücksichtslos nach Bayern geschoben“

von Redaktion

Blockabfertigung sorgt für Frust in der Region – Kommt die Klage gegen Österreich?

Rosenheim – Ein Stau von über 50 Kilometer Länge, eine erhöhte Unfallgefahr und eine untragbare Belastung für alle Beteiligten: Mit diesen Vorwürfen sieht sich die Landesregierung Tirol bei dem Thema Lkw-Blockabfertigung konfrontiert. Bei der Abfertigung an der Autobahnausfahrt Kufstein Nord werden nur bis zu 300 Lastwagen pro Stunde durchgelassen. An fünf der vergangenen acht Tage kam es durch diese sogenannten Dosierungsmaßnahmen zu Staus, die sich laut Polizei teilweise von Kufstein bis hinter den Irschenberg zogen.

Für die Bayerische Verkehrsministerin Kerstin Schreyer zeugen die Restriktionen aus Österreich von „keiner guten Nachbarschaft“, weshalb sie die EU auffordert, gegen das Land Tirol zu klagen. Für ihren Vorstoß bekommt Schreyer nun sowohl von der Politik als auch von der Wirtschaft aus dem Landkreis Rosenheim Unterstützung.

„Die Situation
ist untragbar“

„Die Hoffnung ist da, wenn sich Brüssel der Sache annimmt“, sagt Georg Dettendorfer, Geschäftsführer der Spedition Johann Dettendorfer und Vizepräsident der IHK München und Oberbayern. So wie es im Moment läuft, sei es in jedem Fall untragbar für alle Lkw-Fahrer. „Egal, ob sie überhaupt zum Brenner wollen oder schon in Kiefersfelden von der Autobahn abfahren sind sie von der Misere betroffen.“ Der Nußdorfer Geschäftsführer hofft daher schon lange, dass die Regierungen von Bayern und Österreich endlich Gespräche aufnehmen. Das Problem sei national allerdings mittlerweile so verfahren, dass es wohl nur mit europäischer Unterstützung gelöst werden könne.

Auch die Rosenheimer Bundestagsabgeordnete, Daniela Ludwig (CSU), begrüßt die Forderung aus dem Verkehrsministerium. In einem Schreiben an Ministerpräsident Markus Söder und Verkehrsministerin Schreyer verlangt sie zusätzlich ein Spitzengespräch zwischen den Regierungen in Innsbruck und München. „Es ist niemandem in der Region vermittelbar, dass sich mit der Situation abgefunden werden muss“, meint Ludwig. Ziel des Spitzengesprächs müsse es sein, über die Nachtfahrverbote zu verhandeln, um gerade an Feiertagen die Zeitfenster für den Transit auszuweiten.

Die Rechtfertigungen des Tiroler Landeshauptmanns Günther Platter der Blockabfertigung bezeichnet Ludwig als zynisch. „Er sagt, dass der Verkehr im gesamten Tiroler Inntal aufgrund des Transitverkehrs zusammengebrochen ist. Mit der Blockabfertigung schiebt er dieses Problem einfach und rücksichtslos nach Bayern weiter.“

Die Folgen der Blockabfertigung bekommt Peter Böttinger, Dienststellenleiter der Verkehrspolizeiinspektion Rosenheim, deutlich zu spüren. „Ich musste heute schon wieder kurzfristig 15 Beamte abziehen, um die Dosierung auf bayerischer Seite zu regeln“, berichtet er. Nicht nur, dass seine Leute dadurch einige Überstunden aufbauten, auch die eigentlichen Aufgaben der Verkehrssicherung müssten dafür zurückgestellt werden.

Für Böttinger steht fest, dass das Nachbarland in diesem Punkt nicht sehr kollegial handelt. „Man könnte die Lkw-Regulierung auch ab Innsbruck einführen, dann wäre der Großteil des Staus auf der österreichischen Seite“, meint er. Stattdessen wirkt sich die Abfertigung von Kufstein über die die A93 im Inntal bis auf die A8 aus und sorgt an versperrten Auffahrten und Stauenden für erhöhte Unfallgefahr. Da der Dienststellenleiter miterlebt hat, wie die Situation in den vergangenen Jahren immer schlimmer geworden ist, hat er allerdings wenig Hoffnung, dass sich durch eine EU-Prüfung schnell etwas ändert.

Gerade die unangekündigten Termine aus Tirol sorgen auch in der Wirtschaft für Frust. „Wir haben keinerlei Verständnis dafür, dass die Behörden zu solchen Mitteln greifen, ohne sie vorab anzukündigen“, ärgert sich Manfred Größl, Hauptgeschäftsführer der IHK München und Oberbayern.

Auch Sabine Lehmann, Geschäftsführerin des Landesverbandes Bayerischer Spediteure, fordert die deutsche und bayerische Politik zum wiederholten Male auf, sich jetzt endlich mit Tirol und Österreich zusammenzusetzen, um gemeinsam nach möglichen Lösungen zu suchen.

Ministerium setzt
auf Hilfe der EU

Die Lösung scheint auf bayerischer Regierungsseite jedoch in der Zusammenarbeit mit der EU zu liegen. Die Blockabfertigung ist nach der Rechtsauffassung des Bayerischen Verkehrsministeriums allenfalls in Notfallsituationen zulässig – um einen Verkehrskollaps zu vermeiden. Die jetzige Praxis gehe laut Ministerium jedoch weit darüber hinaus.

Mit ihrem Anliegen hat sich Verkehrsministerin Schreyer daher nicht nur an EU-Verkehrskommissarin Adina Valean sondern auch direkt an die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, gewandt. Die Europäische Union solle endlich Klarheit schaffen, ob die Restriktionen überhaupt mit EU-Recht vereinbar sind. „Wenn nötig“, so Schreyer, „vor dem Europäischen Gerichtshof.“

Acht Termine bis Ende des Jahres

Für das restliche Jahr hat die Tiroler Landesregierung offiziell acht weitere Termine für Lkw-Blockabfertigungen bei Kufstein angesetzt. Lkw-Dosierungen soll es demnach am 17. und 24. November geben, sowie am 1., 2., 9., 13., 14. und 15. Dezember. Auch für das erste Halbjahr 2022 hat das österreichische Bundesland Tirol bereits 21 Termine festgesetzt. Diese sind online unter der Adresse www.tirol.gv.at im Bereich Themen/Verkehr abrufbar.

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