Digitales Entwicklungsland Deutschland

von Redaktion

Garaldine de Bastion beim „Rosenheimer Gespräch“ zu Gast

Rosenheim – In digitaler Hinsicht besteht in Deutschland deutlich mehr Entwicklungsbedarf als in vielen Ländern Afrikas. Diese Feststellung stammt von der Politikwissenschaftlerin Geraldine de Bastion, getroffen im Rahmen des diesjährigen „Rosenheimer Gesprächs“, einer Veranstaltungsreihe des Evangelischen Bildungswerkes und der Sparkassenstiftung Zukunft.

Die Wissenschaftlerin weiß, wovon sie spricht, denn ihr ganzes Berufsleben lang beschäftigt sie sich mit Digitalisierung und der Frage, wie diese nicht nur in Entwicklungsländern, sondern auch in Europa effektiv voranzubringen ist. Und zwar so, dass sie nicht nur von wenigen Großkonzernen bestimmt wird.

Flickwerk
beim Ausbau

Dass Deutschland bei der Digitalisierung im internationalen Vergleich selbst gegenüber vielen afrikanischen Staaten nur mäßig abschneidet, hängt für de Bastion zum einen mit einem politisch verursachten Rückstand zusammen. Flächendeckend schnelles Internet werde hierzulande seit Jahren versprochen, doch der tatsächliche Ausbau gleiche nach wie vor einem Flickwerk. Taugliches Internet sei mittlerweile zu einem Grundanspruch der Menschen geworden. Es sei ein Unding, wenn die Erfüllung dieses Anspruchs am Ende den einzelnen Kommunen aufgelastet werde.

Mindestens ebenso hemmend sei aber die Haltung vieler Menschen gegenüber der Digitalisierung. Diese seien eben nicht alle so technikaffin, dass sie sich in den neuen Medien tummelten wie der Fisch im Wasser, es gäbe vielmehr viele Ängste und Vorbehalte.

Eine der Zuhörerinnen brachte es auf den Punkt, als sie aus den Erfahrungen in ihrer Arbeit bei der Rosenheimer Stadtverwaltung berichtete: Dort seien vielen die digitalen Akten, die derzeit eingeführt würden, noch immer leicht unheimlich. Wenn Unterlagen nicht mehr in Papierform verwahrt werden, ist dann auch wirklich garantiert, dass auf sie dauerhaft zugegriffen werden kann?

In vielen Ländern Afrikas, so de Bastion, kennt man solche Ängste nicht – es gibt dort einfach zu wenig gewachsene Strukturen, die durch die Digitalisierung über den Haufen geworfen werden könnten.

Allerdings gibt es auch in Deutschland hier derzeit einen Umbruch, und zwar als Folgewirkung der CoronaPandemie. Darüber war sich de Bastion mit ihren Zuhörern einig. Michael Schmid zum Beispiel ist an der Berufsoberschule, die für das Rosenheimer Gespräch auch diesmal ihre Räumlichkeiten zur Verfügung stellte, der IT-Systembetreuer. Er sagt, dass Corona die Nutzung von digitalen Techniken so weit nach vorn gebracht habe, wie er in 20 Jahren Fortbildung nicht hätte erreichen können.

Der Entwicklungsschub allerdings schaffe seinerseits neue Herausforderungen. Auch hier wieder ist Afrika, so de Bastion, ein gutes Beispiel. Denn dort gibt es nicht nur digitales Licht, sondern auch Schatten.

Das Problem sei für den Einzelnen die Finanzierung der Datenübertragung. Datenvolumen werde deshalb meist von den Internetgiganten umsonst bereitgestellt, was aber dazu führe, dass in vielen dieser Länder Internet gleichbedeutend mit Unternehmen wie zum Beispiel Facebook sei. Das Internet sei dort gewissermaßen eine abgeschlossene Blase, alle Informationen, alles Wissen außerhalb der Internetgiganten wegen der dann anfallenden Datenübertragungskosten faktisch nicht zugänglich.

„Wurzeln nicht verkümmern lassen“

Auch in Deutschland müsse man sich darum bemühen, dass das Internet nicht von den Geschäftsinteressen weniger Großunternehmen beherrscht wäre, die für den Gewinn oft auch soziale und demokratische Standards vernachlässigten. „Das Internet war ursprünglich eine radikal basisdemokratische Erfindung, diese Wurzeln darf man nicht verkümmern lassen“, so de Bastion.

Zur Person

Die Arbeit von Geraldine de Bastion konzentriert sich auf digitale Transformation und internationale Zusammenarbeit, Innovation und Menschenrechte. Die Politikwissenschaftlerin gründete 2013 das Beratungsunternehmen Konnektiv. Konnektiv berät verschiedene Organisationen, darunter das Bundesministerium für Arbeit (BMAS) und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) zum Thema digitale Transformation. Sie ist auch die Gründerin des Global Innovation Gathering (GIG), einem Netzwerk von Basisinnovatoren, sozialen Unternehmern, Gründern und Managern im Bereich der Digitalisierung.

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