Warnung vor dem Kollaps

von Redaktion

Warum mehr als 500 Ärzte aus der Region zum Impfen aufrufen

Rosenheim – Der Aufruf ist an Dramatik kaum zu überbieten: „Der Zusammenbruch der medizinischen Versorgung droht Realität zu werden!“ Davor warnen rund 530 Ärzte aus der Region Rosenheim. Vom niedergelassenen Arzt bis zum Chefarzt im Romed-Klinikum haben sie sich zusammengetan, um mit ihrem Aufruf – er steht auf Seite 16 dieser Ausgabe der OVB-Heimatzeitungen – die Unentschlossenen zum Impfen zu bewegen.

Von A wie Dr. Roman Ackermann von der Schön-Klinik Bad Aibling bis Z wie Prof. Dr. Peter Zwanzger, Ärztlicher Direktor der Allgemeinpsychiatrie des ISK-Klinikums Wasserburg: Sie alle stehen mit ihrem Namen für die Wirksamkeit des Impfens in Kampf gegen die Corona-Pandemie.

Skepsis gefährdet Menschenleben

Es sei zehn nach zwölf – das hört man von vielen Ärzten, die das Papier unterzeichnet haben. In ihren Augen nähert sich die Region mit den steigenden Corona-Infektionszahlen, der wachsenden Zahl der Patienten und der zunehmenden Erschöpfung des Personals in den Krankenhäusern rasant einem kritischen Punkt. „Die lebenssichernde Versorgung, auf die wir uns bisher immer verlassen konnten, existiert nicht mehr“, heißt es in dem Aufruf. Er macht den Zusammenhang zwischen dem Wüten der Corona-Pandemie und dem Stocken der Impfkampagne deutlich. „Skepsis und Zögern gefährdet Menschenleben, Ihre Impfung rettet Leben“, heißt es in dem Schreiben.

Die Überforderung und Erschöpfung des Personals zeigen sich bereits deutlich. Löcher tun sich auf, und die Ärzte versuchen, sie zu stopfen, indem sie woanders Löcher aufreißen.

Manche Mediziner sehen die Pandemie aus zwei Perspektiven – im Klinik-Alltag ebenso wie als Helfer in der Not. Etwa Dr. Michael Bayeff-Filloff, Chefarzt der Zentralen Notaufnahme am Romed-Klinikum Rosenheim und Ärztlicher Landesbeauftragter für den Rettungsdienst Bayern: „Wenn man täglich sowohl in der Notaufnahme als auch im Rettungsdienst ungeimpfte Patienten mit schwersten Krankheitsverläufen von Covid-19 behandelt, kann und muss man den Impfaufruf nur unterstützen.“

Auch Peter Meinert, Anästhesist am Romed-Klinikum Bad Aibling und Notarzt, kann ein Lied davon singen. Meinert setzte aus diesem Grunde seinen Namen unter den Aufruf: „Ich habe keine Lust, Patienten künftig sterben zu sehen.“

Überwältigende
Resonanz

Zu den Initiatoren des Aufrufs gehören einige der bekanntesten Mediziner der Region. Zum Beispiel Dr. Nikolaus Klecker aus Rosenheim, Bezirksvorsitzender des Hausärzteverbands. Er hätte nicht mit einer so breiten Zustimmung gerechnet. „Es hat mich überwältigt“, sagt er. In den Hunderten Unterschriften zu dem Aufruf der Rosenheimer Ärzteschaft sieht er ein Zeichen der Geschlossenheit, das unschlüssigen Menschen Vertrauen vermitteln kann.

„Diese ganze Zickzack-Politik hat die Menschen verunsichert. Die Impfzögerer sind zusätzlich verunsichert worden“, findet er. Aber das entschlossene Votum von rund 530 Ärzten der Region könne man eben auch nicht wegdiskutieren. „Wir wollen den Menschen klarmachen, dass wir ihre Gesundheit wollen“, sagt Klecker fast flehentlich.

Dieses Ziel teilt Mitautor Daniel Darga aus Bad Feilnbach. „Wir wollen ein Zeichen setzen, als gesamte Ärzteschaft geschlossen in einer Reihe.“ Es sei ein Signal in höchster Not. „Wir wollen alles versucht haben, um diese Pandemie noch in den Griff zu bekommen.“

Zu den Unterzeichnern gehört auch Dr. Florian Bonke, Betreiber einer Corona-Schwerpunkt-Praxis im Inntal. Er höre von Patienten häufiger, dass sich die Ärzte in Fragen des Impfens nicht einig seien.

Stimmt nicht, sagt er. „Durch das geschlossene Auftreten machen wir auch deutlich, dass das Impfen sicher ist.“ Insofern sei, so findet Bonke, der Aufruf auch ein klares Statement gegen „Leute, die falsche Nachrichten verbreiten“.

Es gibt aber auch einige Ärzte, die sich der Aktion nicht angeschlossen haben, etwa die Internistin Susanne Neumann aus Oberaudorf. „Ich als Arzt lasse mich nicht weiter unter Druck setzen“, sagt sie.

Notarzt Peter Meinert: „Nur eine Frage der Zeit, bis etwas schiefgeht.“

Wie sich die immer größeren Lücken und die Erschöpfung der Ärzte mittlerweile auf die Versorgung von Patienten in der Klinik und im Rettungsdienst auswirken, davon weiß Peter Meinert, Anästhesist am Romed-Klinikum in Bad Aibling und Notarzt, zu berichten. Es gehe nicht mehr nur darum, dass sogenannte planbare Eingriffe verschoben werden. Auch in Notfällen schwinde der Spielraum. Er erzählt, wie eine Patientin mit urologischen Problemen das Krankenhaus aufsuchte. In Bad Aibling habe sie nicht behandelt werden können, dort gebe es keine Urologie. Also habe Meinert sie nach Rosenheim gebracht. Der Operationssaal sei belegt gewesen, die Frau hätte nunmehr auf die Intensivstation gehört, die aber sei bereits ausgelastet gewesen. „Also habe ich sie in den Räumen der Zentralen Notaufnahme intensivmedizinisch versorgt.“ Die Geschichte ist gleichermaßen ein Beispiel für Improvisation wie für die Lücken, die sich anderweitig auftun. Denn Meinert war nicht als überzähliger Arzt unterwegs. „Ich war in Rosenheim, daher war in der Zeit in Bad Aibling kein Notarzt“, sagt er. Ebenfalls ein Risiko: Da derzeit mehr und mehr Intensivpatienten verlegt werden müssen, ohne dass dafür spezielle Rettungswagen zur Verfügung stehen, kommt es häufiger zu dem, was Meinert „improvisierte Intensivtransporte“ nennt. Ein extremes Risiko, sagt er. Hinzu kommt die Erschöpfung: Wer auf dem Zahnfleisch daherkommt, macht eher Fehler als ein fitter Mensch. Viele Patienten können derzeit überdies zum Beispiel nach einem Eingriff nicht mehr intensiv beobachtet werden. „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis etwas schiefgeht“, fürchtet Meinert.

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