Rosenheim/Mühldorf – Was darf auf einem inklusiven Spielplatz auf keinen Fall fehlen? Rutsche, Wippe und Sandkasten? Oder Karussell, Schaukel und Klettergerüst? Sie wissen es nicht? Kein Problem, man muss ja nur die Kinder fragen.
Genau das hat man in Vogtareuth gemacht. Dort soll auf dem Gelände der Schön-Klinik ein inklusiver, barrierefreier Spielplatz entstehen, der seinesgleichen sucht. Ein so ambitioniertes Projekt ist kein Kinderspiel, eher schon eine Wissenschaft für sich – und natürlich ein Fall für die Weihnachtsaktion „OVB-Leser zeigen Herz“. Ein Teil der Spendengelder soll dafür sorgen, dass eine kleine Spielplatz-Welt entsteht, die keine Kinderwünsche offenlässt.
Aber ist nun die Schaukel wichtiger oder der Sandkasten? Corinna Eitel, Lisa Birkner und Lale Menek kennen die Antwort. Und sie ist wissenschaftlich belegt. Die drei Ergotherapeutinnen haben eine Bachelor-Studie verfasst, die speziell auf Vogtareuth zugeschnitten ist. Titel: „Spielplatzentwurf für ein Klinik-Außengelände für Kinder zwischen eineinhalb und 14 Jahren.“
„Was würdest du ändern, wenn du zaubern könntest?“
Vieles drehte sich dabei um die kleinen Patienten der Neuropädiatrie oder Kinderorthopädie. Sie gaben Interviews, Fragebögen wurden ausgefüllt. Eine Frage: Was würdest du auf dem Spielplatz verändern, wenn du zaubern könntest?
Für Marie (6) aus Hohenthann (Gemeinde Tuntenhausen) ist der Fall klar. Sie würde – Hokus Pokus Fidibus – einen großen, pinkfarbenen Kletterwürfel herzaubern, und das vermutlich mit links. Denn die rechte Hand ist von Geburt an Maries Schwachstelle. Deshalb kommt die kleine Patientin seit Jahren nach Vogtareuth.
Große Hoffnungen und kleine Wünsche, fiese Stolperfallen und die schlimmsten Spaßkiller: Die Fragebögen erbrachten einen bunten Mix an Infos – Eltern, Therapeutinnen, Erzieherinnen, Pflegekräfte und Experten lieferten weitere wertvolle Erkenntnisse.
So nahm das Puzzle von der idealen Spieloase Formen an: barrierefrei und inklusiv, aber auch abwechslungsreich und fordernd, damit auch wirklich alle ihre Grenzen austesten können: der Zaghafte und der Draufgänger, der Bodenständige und der Luftikus, der Klettermaxl und der Rollifahrer.
„Spielen ist ein Menschenrecht“, betonen Conny Eitel und ihre zwei Ex-Kommilitoninnen Lisa Birkner und Lale Menek in der Studie mit Blick auf politisch-juristische Fortschritte in Europa und Deutschland. Gern werden Hunderte Kinder und Geschwisterkinder, die jedes Jahr nach Vogtareuth kommen, von diesem Grundrecht Gebrauch machen.
Der therapeutische Effekt ist dabei nicht zu unterschätzen. „Für Buben und Mädchen, die aufgrund einer akuten oder chronischen Erkrankung einen Klinikaufenthalt erleben, sind das Engagement im Spiel und sozialer Austausch von ausschlaggebender Bedeutung für den Heilungsprozess“, heißt es in der Spielplatz-Studie weiter.
Eitel, Birkner und Menek sind dafür übrigens 2019 mit dem bundesweiten Wissenschaftspreis der Stiftung „Leben pur“ ausgezeichnet worden. Doch damit war der Spielplatz ja noch nicht gebaut. So wurde der Förderverein Silberstreifen zur treibenden Kraft, Vereinsvorsitzende Sabine Kuhn machte das Projekt quasi zur Chefinnen-Sache. Die Bagger rollten an.
Dass das Silberstreifen-Geld hinten und vorne nicht reichte, um alle Kinderwünsche zu erfüllen – egal. Hauptsache es ging endlich los: 2020 wurde der veraltete, kaum noch benutzte Spielplatz abgerissen, 2021 entstand Neues. Hierfür holte man sich einen Profi ins Boot: Landschaftsarchitekt Lothar Köppel aus Mühldorf, der als Pionier im barrierefreien Spielplatzbau gilt.
Schließlich geht es bei der Umsetzung nicht nur um Zugänglichkeit, Erreichbarkeit und Nutzbarkeit, drei Schlüsselbegriffe in einer inklusiven Welt, sondern auch um TÜV-Vorgaben und DIN-Normen. Weil selbst die prächtigste inklusive Kletterburg zum totalen Reinfall wird, wenn es die Vorschriften nicht erfüllt, die Umgebung voller Stolperfallen ist oder die Rampe für den Rollstuhl fehlt.
Einiges steht schon: die Doppelnestschaukel etwa, das Rolli-Trampolin und der barrierefreie Sandkasten. Aber es fehlt noch so viel: rasante und gemütliche Rutschen, das Klettergerüst mit barrierefreiem Zugang, die hohe Wannenrutsche, die tiefe Breitrutsche und – ganz oben auf der Wunschliste – die Gondelschaukel für zwei. Sie wird einzigartig sein, eine Spezialanfertigung extra für Vogtareuth.
Auch den befahrbaren Boden fürs gesamte Areal gibt es nicht geschenkt. Inklusion und Barrierefreiheit kosten Geld. Doch die OVB-Leser werden die Kinder nicht im Regen stehen lassen. Auch gemütliche Ruhezonen zum Ausspannen für Mama und Papa wären ein Segen. „Der Klinikaufenthalt der Kinder ist für die Eltern eine enorme Belastung. Da kommt jede kleine Auszeit recht“, sagt Ergotherapeutin Melanie Hessenauer vom Spielplatz-Projektteam.
Rutsche vorn in der Spielplatz-Bundesliga
Aber was liegt nun vorn in der Spielplatz-Bundesliga der Kinder? Es ist die Rutsche mit 75 Prozent Zuspruch vor der Schaukel (63). Es folgen Klettergerüst (31), Sandkasten, Karussell (je 25), Wippe (19), Spiel mit Wasser (16). Im hinteren Mittelfeld: Trampolin, Reifen, Hängematte, Drehplatte, Brücke, Balancierparcours und Bagger (je 6).
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