„Ein Versagen des Staates“

von Redaktion

Politikvertreter geben Berlin die Schuld am Chaos beim Impfstoff

Rosenheim – Stephanskirchen hätte noch einmal drankommen sollen, mit einem Sonderimpftag am 18. Dezember. Doch dieser Termin ist nun gestrichen. Was den Bürgermeister auf die Palme bringt. „Ein Versagen des Staates“, schimpft Karl Mair. „Bundes- und Landespolitiker predigen landauf und landab impfen, impfen, impfen und schaffen es dann nicht, Hotspot-Regionen mit ausreichend Impfstoff zu versorgen.“

Ärger über den Mangel an Nachschub äußert auch die Bundestagsabgeordnete Daniela Ludwig (CSU): „Hier wird unnötig Vertrauen verspielt. Die kritische Situation, in der wir uns befinden, wäre vermeidbar gewesen.“

Termine im
Zentrum bleiben

Was die regulären Termine direkt am Impfzentrum angeht, gab dessen Leiter Hans Meyrl gestern Entwarnung. „Das Impfzentrum bleibt geöffnet“, sagte Meyrl. „Die vereinbarten Termine werden eingehalten und abgearbeitet.“

Dessen ungeachtet appellieren Stadt und Landkreis Rosenheim an den Bund, die erforderlichen Impfstoffmengen möglichst bald zur Verfügung zu stellen. Biontech werde derzeit rationiert, nun setze man darauf, dass der Bund bei Moderna die Lieferzusagen einhalte. Meyrl hatte berichtet, 22000 Dosen Biontech bestellt, aber nur 1000 erhalten zu haben. Deswegen ließ er alle Sonderimpftermine streichen.

Woran aber hakt es? Nach monatelangem Umherdümpeln auf überschaubarem Niveau nahm die Impfkampagne auch bei Erstimpfungen kürzlich wieder Fahrt auf, und zwar ebenso unvermittelt wie massiv. Allein von Kalenderwoche 45 zu 46 verzeichnete das Impfzentrum ein Plus von 82 Prozent Auffrischungsimpfungen.

Das bayerische Gesundheitsministerium sprach von einer „erfreulicherweise stark gestiegenen Nachfrage nach Impfungen.“ Nach Angaben des Bundes hätten sich innerhalb von zwei Wochen die wöchentlichen Bestellungen von Biontech-Impfstoff nahezu vervierfacht.

Den Impfstoffmangel spüren auch die Nachbarn. Allerdings längst nicht in dem Ausmaß wie die Region Rosenheim. In Mühldorf kamen zuletzt 6500 von 13500 bestellten Dosen Impfstoff an. Sonderimpftermine sollen nicht gestrichen werden. Für diese Woche stehe dem Impfzentrum noch ausreichend Impfstoff zur Verfügung, über die Menge der kommenden Woche aber sei noch nichts bekannt, hieß es aus dem Landratsamt.

Auch im Landkreis Traunstein setzt man weiter auf Sonderimpftermine, die bei der Bevölkerung offenbar sehr gut ankommen. Beim Impfbus in Unterwössen verzeichneten Beobachter „eine nie gehabte Nachfrage.“ Vor dem Impfbus auf dem Rathausplatz habe sich eine rund 60 Meter lange Schlange von Erwachsenen gebildet.

Rosenheim schlägt offenbar einen anderen Kurs sein. Nach den Worten von Thomas Bugl, Sprecher der Stadtverwaltung, setzt das Impfzentrum auf der Loretowiese auf die Konzentration der Kräfte. Dem Impfzentrum geht es darum, die „zentralen Kapazitäten sauber auszulasten“ – angesichts der großen Zahl an Impfwilligen und der geringen Menge an Impfstoff. Außerdem entstehe gerade neuer Beratungsbedarf:

Manche Impfwillige hätten eben doch Biontech vorgezogen und müssten über die Gleichwertigkeit von Moderna informiert werden.

15 Straßen in
der Inntalhalle

Bis Mitte Dezember sollen auch die Impfstraßen in der Inntalhalle wieder geöffnet werden, es stünden dann 15 statt neun Impfstraßen offen. „Wir gehen davon aus, dass wir die entsprechenden Impfstoffmengen dann auch bekommen“, sagte Bugl. In der Inntalhalle waren nach einem Wasserschaden Sanierungsarbeiten notwendig geworden. Sie würden die Impfstraßen aber nicht mehr beeinträchtigen, sagte Bugl.

Vor dem Hintergrund der deutschlandweit enorm gestiegenen Nachfrage regen Ärzte aus der Region einen neuen Schlüssel für die Verteilung des Impfstoffs an. Hotspot-Regionen sollten mehr Impfstoff erhalten als andere Regionen, finden etwa der Kinderarzt Otto Laub und Dr. Nikolaus Klecker, Bezirksvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung. „Es bringt doch nichts, überall gleichzeitig zu löschen, auch dort, wo es nur noch raucht“, sagte Klecker am Donnerstag den OVB-Heimatzeitungen. „Löschen musst du dort, wo es lichterloh brennt.“

Klecker steuert auf seinen eigenen Sonderimpftag am Wochenende zu, mit 260 Anmeldungen. Anbieten könne er den, weil Kollegen mit Impfdosen aushelfen. Noch spürt den Mangel auch Otto Laub. Man müsse innerhalb Bayerns regional aufteilen, um die Impfdosen zielgerichtet in die besonderen Hochinzidenz-Gebiete zu bringen.

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