Rosenheim – Es ist nicht länger eine Klage allein der Allgemein- und Fachärzte, das Lamento über das Liefer-Chaos bei den Corona-Impfstoffen ist nun amtlich: Die Sonderimpftage ab der kommenden Woche bis Weihnachten werden abgesagt. Und zwar alle. Das teilte das Landratsamt am frühen Mittwochnachmittag mit.
Begründung für die alarmierende Absage: Wie die niedergelassenen Ärzte auch erhalte das gemeinsame Impfzentrum von Stadt und Landkreis Rosenheim derzeit viel zu wenig Impfstoff. Man wollte wenigstens die vereinbarten Termine im Impfzentrum auf der Loretowiese in Rosenheim einhalten. Daher – keine Sonderimpftage mehr.
Bis Weihnachten
keine Aktionen
Die für diese Woche geplanten Sonderimpftage in Rohrdorf, Bad Feilnbach und Ostermünchen finden nach Mitteilung des Landratsamtes noch statt. Abgesagt sind dagegen alle weiteren Sonderimpftage: in Wasserburg, Raubling, Bad Endorf, Söchtenau, Rosenheim, Prien und Stephanskirchen.
Auch in Rohrdorf wird es dann keinen Impftag mehr geben. Dort hatten zuletzt schon einige Impfwillige schlechte Erfahrungen gesammelt. Nach drei Stunden Warten in einer Schlange von 60 Metern hatte sich Wolfram Inngauer bis zum mobilen Impfzentrum durchgearbeitet, als eine Mitarbeiterin der Malteser herauskam, auf ihn zeigte und mitteilte: Für alle hinter ihm sei es unsicher, ob noch Impfstoff vorhanden sei.
Es handelt sich nicht länger mehr um Engpässe, der Vergleich mit einem Nadelöhr wäre zutreffender. Der Leiter des Rosenheimer Impfzentrums, Hans Meyrl, hatte der Führungsgruppe Katastrophenschutz berichtet, dass er von 22000 bestellten Impfdosen von Biontech nur 1000 erhalten habe. Unklar war bis gestern Abend, wie es mit den Moderna-Vorräten steht. Möglicherweise setzte Traunstein da andere Akzente. Das Landratsamt dort stellt fest: keine Engpässe, kein Grund, Impftage abzusetzen.
Der Mangel an Impfstoffen in der Region Rosenheim kommt zu einem unglücklichen Zeitpunkt. Eben erst war die Impfkampagne nach monatelangem Stocken wieder angesprungen. Hans Meyrl sprach von einem „enorm angestiegenen Interesse“. Erst-, Zweit- und Booster-Impfungen mussten nicht abgesagt werden. Oder besser: Noch nicht. Meyrl habe schon in den vergangenen Wochen stets mehr Impfdosen bestellt, als zum damaligen Zeitpunkt benötigt worden seien. Diese Reserve neige sich nun jedoch dem Ende entgegen.
„Jetzt ist der Bund gefordert“: Das sagt Hans Meyrl. Aber auch Vertreter der niedergelassenen Ärzte, Dr. Fritz Ihler aus Rosenheim und Dr. Sebastian Zipplies aus Breitbrunn, forderten Verlässlichkeit bei der Belieferung mit Impfstoffen. Bis zum Eintreffen der Impfstoffe in den Praxen wisse man derzeit nicht, wie viel von den bestellten Vakzinen und welcher Impfstoff geliefert werde. „Das ist die Sache von Berlin, dafür zu sorgen, dass ausreichend Impfstoffe da sind“, sagte Ihler. Vor allem: „Es müssten schon die Impfstoffe sein, die die Leute wünschen.“
Sein Kollege Dr. Nikolaus Klecker, Bezirksvorsitzender des kassenärztlichen Verbands, spricht von „Unprofessionalität“. Kein Geschäftsmann könne seinen Laden in der Art und Weise führen, wie das Bundesgesundheitsministerium die Gesundheitspolitik steuere.
Dr. Daniel Darga aus Bad Feilnbach hatte den Impfaufruf mitverfasst, den über 500 Ärzte aus der Region unterschrieben hatten. Er berichtet den OVB-Heimatzeitungen über die Klagen der Kollegen landauf und ab. „Die Impfstoff-Planung ist nicht an die Pandemie angepasst“, sagt er. Bitter ist das Versagen in diesem Bereich auch für das Engagement der Hausärzte. Man wolle ja auch die Impfkampagne forcieren, sagt Darga. „40 Prozent der Arbeitszeit wenden wir für Impfen und Impfberatung auf“. Und jetzt? „Der Impfkampagne tut das nicht gut“, fürchtet Darga.
Allgemein sind die Ärzte verstimmt über die Weichenstellungen in der Pandemiepolitik. Darga kritisiert Ministers Spahns Ankündigung der Biontech-Rationierung. Das habe den Eindruck einer Mangelwirtschaft erweckt und im übrigen Moderna wie einen Notnagel aussehen lassen. Nikolaus Klecker kann nur über die Ankündigung den Kopf schütteln, Apotheker impfen zu lassen: Schon für die Ärzte und die Impfzentren sei nicht genug da. Da sollten Apotheken den Impfstoff ausgerechnet dann im großen Umfang weitergeben, wenn sie ihn selbst verimpfen könnten?
Vergebliche Anfrage
bei der Hausärztin
Es sieht so aus, als solle das Finale von Jens Spahns Amtszeit in schlechter Erinnerung bleiben. „Das kann doch nicht wahr sein“, ärgert sich etwa Peter Stenger aus Wasserburg – einer von vielen Unzufriedenen, die sich gegenüber den OVB-Heimatzeitungen geäußert haben. Seine Frau hat sich um eine Auffrischungsimpfung bei ihrer Hausärztin bemüht – und die Nachricht erhalten, dass derzeit kein Impfstoff da sei. „Unverschämtheit. „Kein Wunder, dass das Vertrauen in die Politik so abgenommen hat“, schimpft der 78-Jährige, früher Stadtrat von Wasserburg.
Einer allerdings hat verhältnismäßig gute Laune. Stefan Schellenberger, stellvertretender Leiter der FOS/BOS in Rosenheim, hat zusammen mit der Schülermitverwaltung einen Impftag organisiert. Am 10. Dezember soll es so weit sein, Fritz Ihler wird mit seinem Team über 100 Schüler und Kollegen impfen. Der Impfstoff sei frühzeitig geordert worden. Er sei zu „99,9 Prozent sicher“, sagt Schellenberger, „wir von der FOS/BOS freuen uns sehr darüber“.