Rosenheim – Omikron ist in Bayern angekommen. So viel weiß man. Was aber Ansteckungskraft und Wirkung betrifft, stehen die Forscher noch am Anfang. Wir sprachen mit dem Virologen Dr. Thomas Schulzki, Geschäftsführer und Leiter des Medizinischen Labors Rosenheim, über die Fahndung nach der neuen Variante, über vermutete Wirkung und darüber, warum man Berichte aus Südafrika nicht auf Deutschland übertragen kann.
Herr Dr. Schulzki, wie nah ist uns die Omikron-Variante auf den Pelz gerückt?
Sie kommt näher, so viel ist klar. Und zwar vermutlich von Norden her. In Hamburg sind bereits acht Prozent der positiven Tests Omikron, in Bayern sind es insgesamt etwa drei. Auch im Kollegenkreis herrscht diese Stimmung vor: Da kommt was auf uns zu. Vor allem zu Weihnachten und Neujahr dürfte sich etwas tun. Die Menschen verreisen öfter, haben mehr Kontakt, und auf der anderen Seite haben die Arztpraxen geschlossen, es wird weniger getestet. Die Leute fangen sich was ein und bemerken es nicht einmal.
Der Fachmann kennt Omikron als B.1.1.529. Was heißt das eigentlich?
Die Bezeichnung B.1.1.529 ist eine systematische Bezeichnung, basierend auf der genauen Analyse der Gensequenz. Die Ziffern bezeichnen den Stammbaum des Virus. Diese Ziffernfolge wird derzeit bei den besorgniserregenden Varianten, den VOCs, mit griechischen Buchstaben umbenannt, um griffigere Namen zu haben. So wird aus B.1.1.529, der 529. Aufspaltung des Typs B.1.1., eben Omikron. Auch bei der derzeit noch zu fast 100 Prozent verbreiteten Variante Delta gibt es inzwischen zahlreiche Untervarianten, die jedoch bezüglich Krankheit und Verbreitung bislang keine Unterschiede zeigen.
Kann man von einer zufälligen Abweichung im genetischen Bauplan sprechen?
Ja. Das Coronavirus ist hochvariabel. Und nicht jede Variante, die entsteht, ist bedeutsam. Varianten, die keinen evolutionären Vorteil haben, können auch wieder verschwinden. So wie zum Beispiel die ursprüngliche Wuhan-Variante, die ganz und gar verschwunden ist, während die „britische Variante“ B.1.1.7 hin und wieder noch auftaucht.
Wie stellt man die Abweichung denn im Test-Verfahren fest?
Wenn man das Genom des Virus nach einer Sequenzierung kennt, schaut man sich bestimmte Stellen dieses Genoms, des Bauplans des Virus also, genauer an. Man sucht dabei nach Stellen, die einzigartig sind, die also nur bei diesem Virus vorkommen. Sind diese Angriffspunkte, diese „Targets“, identifiziert, wird ein „Primer“, ein Molekül, hergestellt, das einen Ausschnitt der RNA des Virus darstellt. Diese Moleküle heften sich an die „Targets“ und können vervielfältigt werden.
Hört sich kompliziert an.
Es wird nicht einfacher. Die RNA des Virus wird beim PCR-Test zunächst in DNA umgeschrieben. Und dann interagieren die Primer mit dieser vorübergehend hergestellten DNA. Das Umschreiben in DNA ist notwendig, da die PCR-Polymerase-Kettenreaktion (auf Englisch Polymerase Chain Reaction, kurz PCR, Anm. der Red.) mit RNA nicht funktioniert, sondern nur mit DNA.
Wie stellen Sie dann fest, ob Ihr Molekül, der „Primer“, ans „Target“ andockt?
Wir verwenden derzeit zwei „Targets“ zum Nachweis. Die Interaktion der „Primer“ mit der umgeschriebenen DNA wird durch fluoreszierende Farbstoffe nachgewiesen.
Was kann die Omikron-Abweichung bewirken?
Soweit bislang erkennbar eine leichtere Verbreitung, aber eventuell auch mildere Symptome. Dies kann derzeit noch nicht mit genügender Sicherheit beurteilt werden.
Kann Omikron den Impfschutz beeinträchtigen?
Erste Hinweise darauf gibt es. Es wird darüber spekuliert, dass es wahrscheinlich unempfindlicher gegenüber Impfstoffen ist. Aber schwere Verläufe werden wohl verhindert.
Was erfährt man über die Krankheitsverläufe in Südafrika, wo Omikron zuerst beobachtet wurde?
Bislang wird meist eher von milden Verläufen berichtet. Hierbei muss bedacht werden, dass in Südafrika ein anderes Kollektiv vorliegt, zum Beispiel eine andere Altersstruktur, Unterschiede in der Versorgung der Bevölkerung und so weiter. Südafrika ist nur bedingt mit den Ländern Europas zu vergleichen. In Großbritannien und Dänemark deutet die exponentielle Ausbreitung auf eine hohe Infektiosität hin.
Können wir dieses Wettrennen mit dem Virus mit Biontech gewinnen? Biontech arbeitet an einem Omikron-Wirkstoff.
Ich denke ja, aber nur, wenn mindestens 90 Prozent der Menschen geimpft sind, vielleicht muss der Anteil der Geimpften oder Genesenen sogar noch höher sein. Und es steht zu hoffen, dass es bald adaptierte, auf die neue Variante angepasste Impfstoffe gibt. Und natürlich müssen wir auf die konventionellen Maßnahmen wie Maske, Hygiene, Abstand und Lüften trotz Boostern setzen. Im Kampf gegen die Pandemie ist nicht alles so kompliziert wie Biochemie.
Interview: Michael Weiser