Die Beratungsstelle der Caritas für Psychische Gesundheit direkt am Bahnhof trägt schlichtweg den Namen „Gleis 1“. Aber so schlicht ist diese Einrichtung gar nicht. Im Buchcafé und in der Fahrradstation erhalten Menschen mit einer chronisch-psychischen Erkrankung einen Arbeitsplatz, den sie in der freien Wirtschaft nicht mehr finden würden.
Die Tagesstätte ist nicht nur ein Ort der täglichen Begegnung. Wir feiern auf Wunsch der Besucher auch Gottesdienste dort. In diesem Jahr habe ich zum Weihnachtsgottesdienst den getöpferten Engel aus meinem Büro dorthin mitgenommen. Eigentlich wollte ich in der Predigt auf die himmlischen Kräfte und Begleiter eingehen, die uns hier auf Erden oft unerkannt zur Seite stehen.
Als ich im Haus „Gleis 1“ ankomme und meine Tasche auspacke, hat der Engel seine Flügel verloren. Zu dumm! Die gebrochenen Flügel kann man sicher wieder ankleben, aber nun muss ich mir eine neue Predigt überlegen. Den gebrochenen Flügel lege ich neben dem jetzt flügellosen Engel still in die Mitte. Ein Besucher nickt und es braucht gar keine so große Predigt mehr. Jeder hat das Bild verstanden.
Von allen Gottesdiensten an Weihnachten hat mich dieser mit seiner ungeplanten Botschaft am meisten berührt: Gott wird genau deswegen Mensch, um an unserer Seite zu sein. Ganz gleich, welche Krankheiten uns einschränken und wie viele Bruchlandungen wir auch sonst im Leben hinlegen. Zudem heißt es in einem Sprichwort: „Wir Menschen sind Engel mit nur einem Flügel. Wenn wir fliegen wollen, müssen wir einander umarmen.“