Rosenheim – Die Sieben-Tage-Inzidenzen gehen bei Kindern und Jugendlichen in der Region Rosenheim durch die Decke. Meist sind die Verläufe mild. Bei all den Rekordzahlen häufen sich aber die Fälle von Nebenerkrankungen. Warum Experten davor warnen, Omikron bei jungen Menschen auf die leichte Schulter zu nehmen.
Die Zahlen sind so hoch, dass man sich an die große Inflation vor hundert Jahren erinnert fühlt. Man wird sich wie damals fragen dürfen, was einem diese absurden Riesenzahlen noch sagen sollen. Sieben-Tage-Inzidenzen von über 5000, ja sogar 6000, weist das Bayerische Landesamt für Gesundheit für Kinder und Jugendliche in der Region Rosenheim aus (siehe Infokasten). Was aber heißt das?
Noch keine
Überbelastung
Mit der massenhaften Infektion von jüngeren Menschen geht jedenfalls noch keine Überbelastung der Krankenhäuser in der Region einher. Dr. Torsten Uhlig, Chefarzt Kinder- und Jugendmedizin am Romed-Klinikum in Rosenheim, sieht darin zunächst den Beleg, dass sich etwa in der Altersklasse der Fünf- bis Elfjährigen innerhalb von sieben Tagen jeder 20. oder gar 19. angesteckt habe. „Wenn ich mir anschaue, was die niedergelassenen Ärzte berichten, aber auch, was bei uns anfällt, dann sind es verhältnismäßig wenige Kinder und Jugendliche, die schwer an Covid erkranken.“
Allerdings: Bei der Vielzahl an Infektionen kann auch eine niedrige Prozentzahl eine große Zahl ergeben. Dann werden auf einmal an sich seltene Nebenerkrankungen zum unübersehbaren Faktor. Von verstärktem Auftreten einer Autoimmunerkrankung berichtet etwa der Mediziner Otto Laub, Vorstandsmitglied des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte: Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome oder kurz PIMS. Hinter den vier Buchstaben verbirgt sich eine vorübergehende, aber unangenehme Erfahrung. Das Immunsystem spielt verrückt, PIMS-Kranke leiden für mehrere Tage unter Fieber sowie Durchfällen und möglicherweise auch Hautausschlägen. PIMS tritt offenbar vier bis sechs Wochen nach einer Corona-Infektion auf, „das ist so ungefähr die Latenzzeit für diese Autoimmunerkrankung“, sagt Torsten Uhlig.
Wie oft es sich aber einstellt, können auch die Experten noch nicht sagen. Noch fehle es an einer belastbaren Studie zum Thema Covid und Kinder, sagt Otto Laub. Beobachtungen aus dem Großraum London ließen aber darauf schließen, dass es wesentlich häufiger auftrete als zu Beginn der Pandemie. „Es ist selten, aber ein Kinderspiel ist es nicht“, sagt Laub.
Im Windschatten von Corona kommen unterschiedlichste Beschwerden daher. Da gibt es die Fälle von Long Covid und Post Covid. Die Fälle eben, bei denen sich Covid noch lange nach der akuten Erkrankung in Mattigkeit bemerkbar macht. Oder bestimmte Probleme überhaupt erst dann auftauchen, wenn die Covid-Erkrankung schon ein paar Wochen zurückliegt. „Die Post- oder Long-Covid-Problematik begegnet uns zunehmend“, berichtet Uhlig. Auch Laub hat mit solchen jungen Menschen Erfahrungen gesammelt, kann von einem Mädchen berichten, dem auf einmal vor einer Wurstsemmel graut. Weil ihr der Geschmackssinn auf einmal eine Empfindung vorgaukelt, die sie an Fäkalien erinnert. „Es gibt eine gewisse Anzahl von Kindern, die man nicht wegdiskutieren kann, und die leiden weiter unter verschiedenartigsten Beschwerden“, sagt Laub. Weswegen es für ihn nur einen Schluss gibt: Auch Kinder zwischen fünf und elf Jahren sollten geimpft werden. Und auch Maske, Hygiene und Abstand bleiben wichtig, so meint er. Sollte man die Kinder vor den Infektionen besser schützen? Etwa indem man den Unterricht wieder in die eigenen vier Wände verlegt? Sowohl Uhlig als auch Laub winken ab: Bloß nicht!
„Bildung ist ein hohes Gut“, sagt Uhlig, „und Kinder und Jugendliche haben schon genug erleiden müssen.“ Er beobachtet auch schon mentale Folgen. „Wir müssen uns fragen, welche Langzeitfolgen das Einschränken des Soziallebens zeitigt“, sagt der Romed-Chefarzt. „Und wir sollten das mit der potenziellen Gefahr einer Corona-Infektion gegenrechnen.“
Die Zahl der Fälle von psychiatrischen Erkrankungen nehme zu, verstärkt werden beispielsweise Fälle von Magersucht registriert. Otto Laub bestätigt diesen Eindruck, stellt überdies mehr und mehr Diabetes-Erkrankungen schon bei Kleinkindern fest. Weil der Lockdown die Kleinen am Herumtollen mit Gleichaltrigen hinderte, vermutet er. Bei den älteren Kindern sei zunehmend Übergewicht festzustellen. „Die Post-Lockdown-Symptomatik darf man nicht unter den Teppich kehren“, warnt er. „Wir haben Kindern und Jugendlichen eineinhalb Jahre geraubt.“
Zunehmend
übergewichtig
Anders als bei den vorhergehenden Wellen schlägt die Omikron-Welle nicht so stark in die Kliniken durch. Auch nicht bei den Kindern. Ein Kind unter neun Jahren meldet das Landratsamt Traunstein für die Kliniken Südostbayern auf Normalstation, ein weiteres auf der Intensivstation. Auch das Romed-Klinikum meldete kürzlich ein Kleinkind mit positivem Corona-Befund auf der Intensivstation in Rosenheim. Dabei handelte sich es sich nach Auskunft des Klinikverbunds aber um einen Nebenbefund.