Rosenheim – Pruttings Bürgermeister Johannes Thusbaß fand hinterher deutliche Worte: „Dass das Projekt zu hinterfragen sei, war mir vorher schon klar. Aber dass das Ganze so überflüssig ist, hätte ich nicht gedacht.“
Thusbaß‘ Kommentar zum Brenner-Nordzulauf trifft den Ton von Brennerdialog Rosenheimer Land und Bund Naturschutz voll. Sie hatten am Dienstag in einer gemeinsamen Video-Pressekonferenz ihre Analyse der Studie der Brenner Corridor Platform vorgetragen. Fazit: Die Gegner des Trassenneubaus der Bahn im Landkreis Rosenheim fühlen sich in alten Argumenten neu bestärkt. Ironischerweise betreibt die „Platform“ mit Vertretern der drei am Brenner-Nordzulauf beteiligten Verkehrsministerien, der Infrastrukturbetreiber, der BBT SE samt Regionen und Eisenbahn-Unternehmen Lobby-Arbeit für das Projekt.
Karten liegen
auf dem Tisch
Weder für den Güter- wie für den Personenverkehr sinnvoll, in ökologischer Hinsicht ein Desaster, eine Zumutung für die Anrainer, ein Milliardengrab: Diese Argumente waren bei der Pressekonferenz erneut zu hören. Eigentlich liegen die Karten seit Langem auf dem Tisch. Durch die Studie aber, so kann man es sagen, werden sie nun neu gemischt. Zumindest in den Augen der Trassen-Gegner. Die Korridorstudie der Brenner Corridor Platform weise einige „Denkfehler“ auf und leite falsche Schlüsse ab. So äußerten sich sowohl die Vertreter von Bund Naturschutz und Brennerdialog Rosenheimer Land.
Das Kreuz mit
dem Umwegverkehr
Dabei hatte Dr. Martin Vieregg von der Vieregg-Rössler GmbH „Innovative Verkehrsplanung“ die Macher der Studie zu Beginn gelobt. Das Papier sei „substanziell und ordentlich gemacht“, sagte Vieregg bei der Präsentation. Was ihm gefiel waren die niedrigen Zahlen, die laut Studie im Personenverkehr über den Brenner zu erwarten seien. Etwa 2200 Menschen reisten täglich auf der Strecke zwischen Innsbruck und Verona, für diese eher geringe Anzahl reichten die bestehenden Kapazitäten locker.
Auch der Kundenzuwachs, der durch eine Verkürzung der Fahrtzeit erreicht werden könnten, genüge nicht. Die laut Korridorstudie theoretisch mögliche Verdreifachung der Fahrgastzahlen sehen Vieregg und seine Mitstreiter kritisch. Die neugebaute Tempo-Trasse mache einen Bogen um viele Zentren. Ohne Halt in Städten wie Rosenheim, Kufstein, Bozen oder Trient verliere die Verbindung potenzielle Fahrgäste.
Das hohe Verkehrsaufkommen am Brenner halten die Trassengegner für künstlich aufgeblasen. „Wir haben fast ein Drittel Umwegverkehr am Brenner“, rechnete Vieregg vor. Gemeint sind Lkw, die auch kürzere Routen einschlagen könnten, aber beispielsweise durch niedrige Maut auf den Brenner gelotst werden. Dieses Argument hatte kürzlich Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) in einem Brief an Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) angesprochen. Söder hatte den Weg einer Mauterhöhung vorgeschlagen. Dieses unnötige Drittel des Verkehrsaufkommens dem künftigen Brennerverkehr zuzurechnen, sei jedenfalls nicht richtig.
Für einige wichtige Verkehrsachsen sieht Vieregg auch die Verbindung über Gotthart oder Tauern wichtiger als den Brenner. Die Annahme, auch der Container-Verkehr zum Hafen Triest laufe über den Brenner, sei „unrealistisch“.
Ein Fehler sei in der Vorplanung auch darin gemacht worden, dass man den Ostkorridor in die Planungen nicht einbezogen habe. Dieser Ostkorridor führt von den Nordseehäfen über Leipzig, Regens und Mühldorf bis Freilassing und Salzburg. Die davon abzweigende Verbindung zwischen Mühldorf und Rosenheim aber tauche nicht einmal im „potenziellen Bedarf“ des Bundesverkehrswegeplans auf. Heißt: Die Planer gehen von einem Brenner-Zulauf nur über München aus. Der Bahnknotenpunkt in der Landeshauptstadt sei aber bereits jetzt überlastet.
Appell an
Verkehrsminister
Thomas Riedrich, Sprecher des Brenner-Dialogs, forderte Verkehrsminister Volker Wissing auf, mehr Mut „als Ihre Amtsvorgänger“ zu zeigen und die für ein unsinniges Projekt eingeplanten zehn Milliarden Euro lieber in die Modernisierung der bestehenden Infrastruktur zu stecken.
Riedrich malte ein altbekanntes Schreckgespenst an die Wand: Der Bahnhof Rosenheim, längst veraltet, werde in den Fernverkehrsplanungen der Bahn abgehängt. „Rosenheim wäre dann nur noch ein Provinz-Bahnhof“.