Riedering – Das Kapitel mit der Dart-Weltmeisterschaft liegt lange hinter ihm, zuletzt war es Curling bei den Olympischen Spielen in Peking, was ihm die Zeit verkürzte. „Es ist komisch, aber faszinierend“, sagt er. „Und es ist sehr entspannend.“ Hans M. (41) ist wieder zu Hause, nach Wochen im Koma, dann Reha. Manchmal findet er es „furchtbar“, wie er mit nicht ganz ernst gemeinter Übertreibung sagt. Immerhin ist er seit einigen Wochen nicht mehr in der Reha-Klinik, sondern zu Hause, in einem kleinen Ort unweit von Söllhuben. Daheim bei seiner Lebensgefährtin, die ihn an Weihnachten noch in der Klinik besucht hatte. So hatte er am kürzesten Tag des Jahres wenigstens seinen ganz persönlichen Lichtschein.
Zweimal die Woche
bei der Physio
Aber es ist schon so, dass ihm sichtlich langweilig ist. Das Fernsehen ist halt nur schaler Ersatz fürs richtige Leben mit Arbeit, Freunden und draußen sein. All das hat Hans M. gerade nicht so wirklich. „Höhepunkt ist der Besuch vom Doktor und zweimal Physio die Woche“, sagt er. Und er trifft ab und an seine Eltern und geht mit ihnen essen.
Hans M., genesen von Covid-19, das ihn für Wochen ins Koma sandte und an die Ecmo-Lungenersatzmaschine fesselte, will zurück in sein altes Leben. Ein langer Weg liegt hinter ihm, ein noch längerer womöglich noch vor ihm. „Bei der Physio haben sie mir erzählt, dass Patienten noch aus der ersten Welle von Corona jetzt erst wieder richtig gesund sind, nach zwei Jahren“, sagt er.
Aber Hans M. ist auch Realist und daher keinesfalls undankbar gegenüber seinem Schutzengel. „Ich darf nicht hadern, mir geht’s so viel besser als vor zwei Monaten“, sagt er. Das ist fast schon untertrieben.
„Wochenlang schwebte er zwischen Leben und Tod“, das war kurz vor Weihnachten in den OVB-Heimatzeitungen zu lesen, es war seine Geschichte: Irgendwann im Herbst hatte es wirklich so ausgesehen, als werde er nicht mehr zurückkehren. „Man denkt danach anders“, sagt er heute. „Man wechselt sozusagen die Perspektive.“
Bei unseren ersten Telefonaten hat er das auch schon gesagt. Er sei schon weg gewesen, und es sei ihm auch nur wie Einschlafen vorgekommen. Sterben übersteht man also irgendwie auch, was ihn einerseits beruhigt; andererseits hat er natürlich gemerkt, wie schnell es vorbei sein kann. Er hat sich daher einiges vorgenommen. Skier will er sich kaufen. Seit er 15 war, ist er nicht mehr gefahren, „hoffentlich geht das noch“.
Ein langer Weg
liegt vor Hans M.
Derweil fehlt noch einiges zu einem halbwegs normalen Leben. Seine Nieren- und Leberwerte sind nach den Wochen im Koma nach wie vor noch schlecht; es bessert sich, aber langsam. Außerdem sind da die Beeinträchtigungen. Da wäre der Geschmackssinn. Viele Lebensmittel schmecken ihm nicht mehr, Frischkäse beispielsweise, Streichkäse oder auch Wiener. „Cola schmeckt furchtbar“, sagt er, insgesamt sei‘s in etwa so: „Bittere Sachen gehen, süße gar nicht.“ Anderes wiederum schmeckt schlichtweg „falsch“, wie er es mit einem Lächeln ausdrückt. Beispielsweise jüngst, als er sich Maracuja-Schorle bestellt habe – „und sie dann beim ersten Schluck geschmeckt hat, als ob ich in eine Zwiebel beiße“.
Wesentlich ärger sieht es in puncto Beweglichkeit aus. Im linken Bein haben die Nerven noch nicht wieder zusammengefunden, es fühle sich doppelt so dick an wie das andere, „es kribbelt“. Das Gleichgewicht zu halten, falle ihm schwer. Weil der Fuß seine Arbeit nicht tut, sich nicht am Ausbalancieren beteiligt. Nach Wochen im Rollstuhl, dann mit Rollator, kann Hans M. inzwischen wieder mehr als nur ein paar Schritte gehen. Aber über eine gefrorene Wiese, das ginge nicht, sagt er. Immerhin sackt die Fußspitze nicht mehr einfach nach unten, wenn er das Bein hebt, er kann schon wieder mit den Zehen auftippen.
Auch sonst hat er sich verändert. Seine alten Schuhe hat er weggeworfen, seine Füße sind um eineinhalb Größen gewachsen. Dafür hat er 40 Kilogramm weniger auf den Rippen als seine Vor-Corona-Ausgabe.
Niemand kann ihm garantieren, dass die Nerven im Bein wieder vollständig reaktiviert werden können. Aber er hofft. Und will weiterkämpfen. Und wenn es heißt, dass er seine neuen Skier noch mal im Keller lassen und stattdessen mit Fernsehbildern der Fußball-WM in Katar vorliebnehmen muss. Obwohl – „Fußballfan bin ich halt überhaupt nicht“.