Rosenheim – Rentiere, würzige Fichtenzweige, Beeren mit Konkurrenz durch Bären, dann wieder Rentiere und ab und zu mal eine Taiga-Antilope. Der Speiseplan von Eiszeitmenschen war doch recht eintönig. Denn die oben erwähnten Köstlichkeiten gab es jeweils nur saisonal und die Jahreszeiten waren kurz – bis auf den Winter. Das erzählt Dr. Sebastian Lotzkat bei der Pressekonferenz zur anstehenden Eröffnung der neuen Ausstellung Eiszeit im Lokschuppen.
„Science Slam“
zur Eröffnung
Der Biologe Lotzkat eröffnete die Veranstaltung mit einem „Science Slam“. Mit dem ein oder anderen Witz zeigte der 41-Jährige anschaulich, was überhaupt mit Eiszeit gemeint ist, warum diese noch Folgen bis in die Gegenwart hat und dass wir unseren Urahnen doch sehr viel näher sind, als wir gemeinhin annehmen. Sowohl umgangssprachlich, als auch die Ausstellung selbst meint mit Eiszeit grob den Abschnitt von 40000 bis etwa 15000 vor Christus. Denn Eiszeiten gab es einige. Die gemeinte ist die vierte – oder auch je nach Zählweise sechste – und bisher letzte.
Und die Folgen zeigen sich in weit mehr als der Landschaft: zum Beispiel bei der heimischen Fauna. Den Unken etwa wurde es nämlich verständlicherweise in Deutschland zu kalt. Denn von Norden her zog das Eis immer weiter Richtung Süden. Der Weg nach Süden war aber für die Unken durch die Alpen unpassierbar, weswegen sie nach Südwesten oder Südosten zogen. Zum Ende der Eiszeit kehrten sie mit den steigenden Temperaturen zurück und trafen sich wieder: einmal als Gelbbauchunke und einmal mit roten Punkten – als Rotbauchunke. Offen lässt Lotzkat die Frage, wie die Unken heute auf die Erderwärmung reagieren. Diese ist zwar wesentlich schneller, aber „noch haben wir den Grad der Erwärmung selbst in der Hand.“
Aber um Unken im Speziellen geht es in der Schau auch nicht, sondern um Flora und Fauna der Eiszeit und nicht zuletzt das Leben unserer Urahnen. Der Kurator Professor Wilfried Rosendahl führt in schlanken sieben Minuten einmal quer durch die 25000 Jahre. Konkret geht es um einen der ersten modernen Menschen in Europa überhaupt. 1913 wurde bei Neuessing in Niederbayern ein bestatteter Leichnam beziehungsweise dessen knochige Überreste gefunden. „In einem Reihenhaus“, erklärt Professor Rosendahl scherzhaft. Denn die Höhlen um ihn herum waren auch bewohnt.
Zunächst wurde angenommen, der Mann hätte vor etwa 20000 Jahren gelebt. Durch neue Forschung ist es gelungen, sein wahres Alter herauszufinden: Er lebte vor etwa 34000 Jahren. Und die moderne Wissenschaft weiß noch viel mehr: Der 1,63 Meter große Eiszeitler wurde zwischen 40 und 50 Jahre alt, ernährte sich vorwiegend von Pflanzenfressern – besagte Rentiere zum Beispiel – und ist nicht allzu viel herumgekommen. Letzteres klingt wenig überraschend, aber die Eiszeitmenschen waren weit mobiler, als man gemeinhin annimmt: Mit den Worten von Sebastian Lotzkat: „Vom Gardasee ins Wiener Becken und von Mainz ans Mittelmeer.“
Wirklich spektakulär wird es dann bei dem, was die Genetik noch über den Neuessinger weiß: Er hatte braune Augen, braune Haare und eine dunkle Haut. „Eigentlich müssten wir alle Kinderbücher und sonstige Darstellungen korrigieren“, erklärt Rosendahl. Insgesamt lässt sich von den Rekonstruktionen vor allem eines festhalten: Die Eiszeitmenschen sahen aus wie „der Typ aus dem Regionalzug und die Schönheit von Instagram“, wie Lotzkat sagt.
Forschung und
Museum Hand in Hand
Diese genaue Rekonstruktion, die in dieser Form neu und weltweit einmalig ist, zeigt, wie Museen und Forschung Hand in Hand zusammenarbeiten. Denn: Finanziert wurde diese Forschung vom Lokschuppen. Auch mit Geldern von Förderern und Sponsoren, wie Peter Lutz erklärt. Der Geschäftsführer des Lokschuppens unterfüttert die Exponate mit ein paar Zahlen aus der Gegenwart: 2,5 Millionen Euro kostet die Ausstellung den Lokschuppen. Und davon profitiert auch Rosenheim. Denn zum einen ist der Plan, dass 90 Prozent der Ausgaben durch die Tickets wieder reinkommen, und zum anderen rechnen die Macher mit einer zusätzlichen Kaufkraft in Rosenheim von fünf Millionen Euro. Denn wer mit seinen Kindern in die Ausstellung geht, isst vielleicht auch noch etwas oder geht shoppen. Dass viele der Besucher Familien sein werden, steht eigentlich außer Frage. Das war schon bei den Dinos so (circa 54 Prozent der Besucher waren Familien), und die Macher rechnen auch jetzt damit. Die Ausstellung biete für Dreijährige genauso viel wie für Wissenschaftler, so die neue Ausstellungsleiterin Dr. Jennifer Morscheiser. Einzigartig sei der Mitmachaspekt. Man kann Wollnashornzähne anfassen oder selbst Höhlenwände bemalen. „Bei aller Wissensvermittlung bleibt eines trotzdem wichtig: Es darf auch Spaß machen.“