Dem Wolf auf der Spur

von Redaktion

Jochen Grab analysiert Kadaver auf Hinweise von Wildtierrissen

Oberaudorf Wenn Jochen Grab einen vermeintlichen Tatort betritt, ist Unsicherheit, Panik oder Verzweiflung meistens nicht weit. Denn der Wildtierbiologe aus Berchtesgaden wird gerufen, wenn es um einen potenziellen Wolfsangriff geht. Für das Bayerische Landesamt für Umwelt (LfU) dokumentiert er seit rund 15 Jahren die Kadaver von Tieren, um herauszufinden, ob ein sogenannter großer Beutegreifer in der Region unterwegs war. Die OVB- Heimatzeitungen haben Grab bei einem seiner Einsätze begleitet und bekamen einen Einblick in seine Arbeit im Spannungsfeld zwischen Bauern, Tierschützern und Politikern.

Vom Biologen
zum Psychologen

„Manchmal fühle ich mich schon mehr als ein Psychologe als ein Wildtierbiologe“, berichtet Grab in Hinblick auf seine vergangenen Kadaverdokumentationen. Egal zu welchem Hof er kam, das tote Tier war in der Regel erst einmal sekundär. Vielmehr seien es die Betroffenen, die seine Hilfe benötigten. Denn gerade das Thema Wolf ist „von allen Seiten emotional.“

Von verzweifelten Landwirten, die ihn mit leerem Blick bei seiner Arbeit beobachteten, bis hin zu Bauern, die mit hochrotem Kopf von einem Wolfsriss überzeugt waren, hat Grab schon alles erlebt. Umso wichtiger sei es, die Menschen bei seinen Analyseschritten mitzunehmen und sich sozusagen gemeinsam an die Ursachenforschung für den Tod des Kadavers zu machen.

In diesem Fall ist das potenzielle „Opfer“ eine junge Gams, tot aufgefunden direkt neben einem Wanderweg in Berchtesgaden. Auf dem Hof von Oberaudorfs Berufsjäger Andreas Hechenberger, ebenfalls Mitglied im ehrenamtlichen Netzwerk für große Beutegreifer, wird der Fundort nachgestellt.

„Der größte Fehler, den viele Finder machen, ist direkt auf den Kadaver zuzugehen“, sagt Grab. Denn dabei werden viele Hinweise schon zerstört, bevor der Experte überhaupt eintrifft. Ausgestattet mit einer Kamera nähert er sich dem Tier daher in einem großen Radius und überprüft alle möglichen Richtungen, aus der der Angreifer gekommen sein könnte. Zudem hält der Experte aus Berchtesgaden nach Hinweisen wie Fellresten oder Fußspuren Ausschau. Bei den Überresten angekommen, beginnt die eingehende Untersuchung nach europaweit einheitlichen Vorgaben.

„Eine wichtige Unterscheidung ist die zwischen Tötungs- und Nutzungsspuren“, meint Grab. Findet ein Bauer beispielsweise ein zerlegtes Schaf, kommt sofort der Gedanke „das war der Wolf“. In den meisten Fällen handelt es sich jedoch um eine natürliche Todesursache, bei der sich anschließend die übrigen Waldbewohner wie Füchse, Krähen, Maden oder sogar Igel an der unverhofften Nahrungsquelle erfreuen.

Mit Messer und Wattestäbchen geht Grab der Gams auf der Suche nach Tötungsspuren im wahrsten Sinne des Wortes an den Kragen. „Ein Wolf würde versuchen, zielgerichtet am Hals zuzubeißen, um möglichst effizient und energiesparend zu töten“, erklärt der Wildtierbiologe. Ein kleiner Beutegreifer wie der Fuchs würde dagegen viele kleine Bisse brauchen, bis er seine Beute erlegt.

Also streicht Grab vorsichtig durch das Fell der Gams und hält nach den klassischen Tötungsmerkmalen Ausschau. Wird er fündig, versucht der erfahrene Jäger, rund um die Bissstellen Genproben zu entnehmen.

Im Falle der Berchtesgadener Gams wäre die Dokumentation schnell erledigt. Weder am Kopf noch am restlichen Körper lassen sich Bissspuren erkennen. Alle Knochen sind intakt, lediglich aus dem Mund „schwitzt“ das junge Tier etwas Blut.

Da die Gams ein Wild- und kein Nutztier ist, könnten es die Jäger selbst „aus der Decke schlagen“, also die Haut des Tieres abziehen. „Dadurch ließe sich jede kleine Gewalteinwirkung, wie ein gezielter Schuss oder kleinere Bisse, in jedem Fall finden“, berichtet Jäger Hechenberger. Aber auch nach dem blutigen Eingriff bleibt die tote Gams zunächst ein Mysterium. Die Vermutung der beiden Experten: „Ein einfaches Organversagen.“

Doch selbst wenn es Wolfsanzeichen gäbe, wäre die Dokumentation für das ehrenamtliche Netzwerk abgeschlossen. Die Genproben werden über das LfU ins Labor geschickt, wo sie innerhalb von rund zehn Tagen analysiert werden.

Handelt es sich bei dem Kadaver um ein Nutztier, also zum Beispiel eine Ziege oder ein Schaf, würde bei Verdacht auf einen Wolf außerdem das Veterinärwesen des Landratsamts Rosenheim in Bad Aibling hinzugezogen werden. Denn die Analyse der inneren Organe obliegt in dem Fall ausschließlich den dortigen Tiermedizinern.

Ergebnisse dauern
rund zwei Wochen

Bis die Beteiligung eines Wolfes sicher festgestellt werden kann, vergehen laut Grab durchschnittlich zwei Wochen. „Das ist in der emotionalen Lage für viele Landwirte natürlich schwierig zu akzeptieren.“ Laut dem Jäger ist es jedoch ohnehin nicht zielführend, den Wolf in der Region bei einem Vorfall direkt zu entnehmen. „Denn dann dauert es nicht lange, bis das nächste Tier auftaucht.“ In den meisten Fällen seien es nur ein paar Monate, bis Grab schließlich zum nächsten Tatort in der Region gerufen wird.

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