Rosenheim – Aus der Pandemie-Krise in den nächsten Stresstest: Die Region Rosenheim bewährt sich in diesen Tagen als neue Heimat für Flüchtlinge aus der Ukraine. Wo es gut läuft, was besser werden muss und welche Perspektive Ukrainer in der Region Rosenheim haben, darüber sprachen die OVB-Heimatzeitungen mit Landrat Otto Lederer (CSU).
Wenn Sie Noten verteilen müssten: Wie hat die Region Rosenheim bislang auf die vielen Menschen aus der Ukraine reagiert?
Wenn ich unseren Bürgerinnen und Bürgern und unseren Ehrenamtlichen eine Note geben sollte, dann wäre das eine glatte Eins. Durch die Bilder aus der Ukraine in den Medien seit Beginn des Krieges herrscht viel Verständnis dafür, dass Familien nicht mehr so einfach in diesem Land leben können. Deswegen ist die Hilfsbereitschaft sehr groß. Für diese Unterstützung sind wir sehr dankbar.
Viele Menschen, die Ukrainer aufgenommen haben, beklagen einen Behörden-Dschungel. Sind wir zu bürokratisch?
Wir sind als Landräte fast wöchentlich in Videokonferenzen mit der Regierung von Oberbayern oder mit dem bayerischen Innenminister, um die vom Gesetz vorgesehenen Wege nach Möglichkeit so zu gestalten, dass es für die Flüchtlinge einfacher wird. Aber man muss bedenken, dass in kürzester Zeit im Landkreis über 2100 Menschen aus der Ukraine angekommen sind. Um Finanzhilfen zu bekommen, reicht die Selbstmeldung über unser Formular auf der Homepage aus. Es gibt aber auch viele Ukrainer, die schnellstmöglich in Deutschland arbeiten wollen.
Was ist das Hindernis?
Dafür benötigen sie eine Fiktionsbescheinigung, in der auch die Arbeitserlaubnis enthalten ist. Um diese Bescheinigung zu erhalten, ist es in der Regel notwendig, persönlich ins Landratsamt zu kommen, da wir einen Ausweis benötigen. Wir haben Sonderschalter eingerichtet, um diesem Bedarf gerecht zu werden und die Bescheinigung schnellstmöglich ausstellen zu können. Dennoch haben wir nur eine begrenzte Anzahl an Mitarbeitern, die diese Erfassungen zusätzlich zu ihrer eigentlichen Arbeit übernehmen.
Können Sie Personal hinzuziehen?
Selbstverständlich haben wir intern Personal umgeschichtet. Aber für die Fachverfahren braucht es das entsprechende Fachpersonal. Natürlich können beispielsweise Kollegen aus dem Verkehrsamt unterstützen und zuarbeiten. Das Verfahren selber muss aber von den darin geschulten Mitarbeitern durchgeführt werden. Zum Teil gibt es auch Probleme mit der Sprache. Ukrainisch kann nicht jeder. Wir haben gesucht, wer das im Haus kann und wir haben Kollegen, die Russisch sprechen sowie viele Ehrenamtliche von außerhalb gewinnen können. Dennoch lässt sich ein solches Verfahren für die Fiktionsbescheinigung nicht unter einer Viertelstunde oder 20 Minuten abwickeln. Viele Flüchtlinge haben zusätzlich Fragen, die wir mit ihnen besprechen.
Wären Online-Voranmeldungen hilfreich?
Diese Frage haben wir diskutiert. Die Online-Voranmeldung hätte aber erst programmiert werden müssen und das hätte einen gewissen Vorlauf gebraucht. Wir wollten aber möglichst schnell und zeitnah die Fiktionsbescheinigungen ausstellen und keine Zeit verlieren. So ist es uns gelungen, in nur knapp zwei Wochen fast 800 Fiktionsbescheinigungen zu erteilen. Das ist sehr viel in dieser kurzen Zeit.
Ein Leser hat sich gemeldet wegen einer Ukrainerin, die in der 32. Woche schwanger ist. Die brauchte Unterlagen für Untersuchungen, und dann hieß es: Montag zwischen 13 bis 16 Uhr anstellen. Sie kam dann nicht dran, bekam eine Marke für den anderen Tag.
Dieser Einzelfall ist mir nicht bekannt. Ich bedauere das persönlich aber sehr. Wenn jemand schwanger ist oder aus anderen Gründen nicht lange stehen oder warten kann, gibt es immer die Möglichkeit, zur Security zu gehen und den Sachverhalt zu erklären. Die Person wird dann vorgelassen. Grundsätzlich ist es so, dass sie für einen Arztbesuch nicht ins Amt kommen muss. Das Thema mit der Erfassung im Ausländer-Zentral-Register haben wir hinter uns. Die Menschen, die ins Amt kommen, wollen eine Fiktionsbescheinigung. Neben der Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr ist hier auch eine Arbeitserlaubnis enthalten. Grundsätzlich eilt das zum Beispiel für Kinder oder Senioren nicht, weil die Flüchtlinge für die Bescheinigung drei Monate Zeit haben. Aber viele möchten es jetzt bereits erledigen.
Wie kommt die Vermittlung der Ukrainer an private Unterkünfte voran?
Wir haben bereits 70 Personen von den Turnhallen weg in Privatunterkünfte vermitteln können. Für 180 Personen haben wir Privatunterkünfte bereits angemietet. 18 Unterkünfte werden wir demnächst unter Vertrag nehmen, und dann haben wir noch ungefähr zwei Dutzend in Aussicht. Bei der Anmietung dieser Privatunterkünfte gibt es natürlich Herausforderungen. Zum einen müssen wir die Wohnung besichtigen und prüfen, ob sie geeignet ist. Dann muss sie die entsprechende Ausstattung haben. Es muss alles da sein, vom Geschirr bis hin zur Waschmaschine. Wenn die Wohnung das nicht hat, müssen wir das erst einmal besorgen. Die wenigsten Flüchtlinge haben aus der Ukraine etwas mitnehmen können. Auch der Bauhof ist beschäftigt damit, die Wohnungen auszustatten.
Daran denkt man erst mal gar nicht.
Ja, wir haben sehr viele Angebote bekommen von Menschen, die Wohnungen oder Zimmer anbieten. Das ist wirklich toll. Zunächst werden von uns Angebote für abgeschlossenen Wohnraum präferiert, um hier Familien mit Kindern oder traumatisierte Menschen unterzubringen. Es ist wichtig, dass sie die Tür hinter sich zu machen und zur Ruhe kommen können.
Müssen Flüchtlinge, die privat untergekommen waren und wieder ausquartiert werden, ins Ankerzentrum?
Jein. Grundsätzlich müssten sie sich im Ankerzentrum melden. Da es mittlerweile aber auch voll ist, versuchen wir erst einmal die Flüchtlinge bei uns in den Turnhallen aufzunehmen und von dort aus in Wohnungen unterzubringen, in denen sie länger bleiben können.
Aufgrund der vielen Kinder und Jugendlichen aus der Ukraine benötigt man noch mehr Lehrer und Kita-Erzieher. Dabei herrschte da bislang schon die große Not.
Sie haben recht, im Bereich der Kitas ist der Mangel an Fachkräften seit langer Zeit zu spüren, und diese Not nimmt jetzt noch zu. Vonseiten der Regierung wird signalisiert, dass man hier bei Betreuungsschlüssel oder Fachkraftquote Ausnahmen machen kann. Das darf aber kein Dauerzustand werden. Bei den Schulen ist es ähnlich. Man setzt auf freiwillige Überstunden, dazu auf Lehrkräfte, die im Ruhestand sind und aushelfen wollen, oder auf Kollegen in Teilzeit, die bereit sind aufzustocken. Eine andere Sache sind die begrenzten Raumkapazitäten. Hier muss versucht werden, kreativ Lösungen zu finden, wie zum Beispiel Nachmittagsangebote.
Mehr Herz, nicht so viel Bürokratie: Schaffen wir’s damit?
Zumindest in der Anfangszeit. In einer Krise ist es wichtig, zunächst schnell und unbürokratisch auf die Situation und aktuelle Anforderungen zu reagieren. Langfristig müssen aber selbstverständlich auch die rechtlichen Anforderungen erfüllt werden.
Interview: R. Gantner /M. Weiser