Traunstein – Vier polnische Staatsangehörige – gemäß Anklage Mitglieder einer kriminellen Organisation, die mit Schockanrufen Opfer in ganz Bayern um hohe Summen betrogen haben soll – legten gestern vor der Siebten Strafkammer am Landgericht Traunstein mit Vorsitzender Richterin Christina Braune Teilgeständnisse ab. In dem Prozess geht es um einen Schaden von über einer Viertelmillion Euro. Lediglich knapp 26000 Euro konnten bei der Festnahme der Täter am 23. Juni 2021 nahe Rosenheim sichergestellt werden.
Zusätzlich
eingespannt
Staatsanwalt Dr. Gregor Stallinger wirft den drei Männern im Alter von 24 bis 53 Jahren sowie einer 59-jährigen Frau gewerbs- und bandenmäßigen Betrug in unterschiedlich vielen Fällen vor. Der 24-jährige Hauptangeklagte, der bei allen zwölf Beutezügen im Freistaat dabei gewesen sein soll, hatte mutmaßlich bei Bedarf die anderen Angeklagten zusätzlich eingespannt. Dem zweiten 24-Jährigen liegen acht Fälle, der 59-jährigen Frau sechs und dem 53-Jährigen vier Fälle zur Last.
Nach der kriminellen Masche mit Schockanrufen, auch „Enkeltrick“ genannt, spiegelten Anrufer oder „Keiler“ aus Polen laut Anklage den Geschädigten schlimme Unglücke von Verwandten vor. Gegen Zahlung hoher Geldbeträge könnte zum Beispiel die Inhaftierung abgewendet werden, behaupteten die Leute am anderen Ende des Telefons. Durch enormen psychischen Druck, etwa durch gellende „Hilfeschreie“ im Hintergrund, wurden die Opfer dazu gebracht, teils ihre ganzen Ersparnisse auszuhändigen. Einmal kassierten die Abholer neben 30000 Euro in bar auch Familienschmuck im Wert von 25000 Euro.
Zwischen März und Juni 2021 wurde ein Dutzend Geschädigte im Freistaat ausgenommen – in Kempten, Marktoberdorf, Ingolstadt, Eckersdorf, Bad Wörishofen, Rosenheim, Übersee, Bamberg, Nürnberg und Wasserburg. Die letzte Tat am 23. Juni 2021 in Rosenheim führte zur Festnahme des Quartetts. In einer schwarzen Tasche fanden sich noch knapp 26000 Euro.
Die Angeklagten ließen gestern ihre Verteidiger zu den Vorwürfen reden. In den Einlassungen spielten die vier Polen ihre jeweiligen Tatbeiträge, teils auch die Schadenshöhe herunter. Der Haupttäter erklärte über seine Anwälte, seine Familie werde ein Viertel des Gesamtschadens beziehungsweise 50000 Euro zur Schadenswiedergutmachung aufbringen. Als Entlohnung wollte er insgesamt lediglich 2000 Euro bekommen haben. Die übrigen Angeklagten beteuerten, sie hätten gar kein Geld erhalten.
Einer der Geschädigten, ein 91-Jähriger aus Wasserburg, berichtete im Zeugenstand von einem telefonischen Hilferuf seiner „Tochter“ am Vormittag des 17. Juni 2021 und danach von einem „Polizisten“, der ihn über den „Verkehrsunfall“ seiner Tochter mit einem Todesopfer informiert habe. Mit einer Sicherheitsleistung von 48000 Euro könne er die Inhaftierung der Tochter vermeiden, hieß es.
Nachdem der Mann „nur“ 30000 Euro zu Hause hatte, gab sich der unbekannte Anrufer mit diesem Betrag zufrieden. Er kündigte einen „Polizisten in Zivil“ an, der das Geld am Gartentor abholen werde. Wahrscheinlich der 24-Jährige nahm das Geld in Empfang und entfernte sich in Richtung Wasserburger Altstadt, wo ihn der Haupttäter wieder in das von ihm gesteuerte Auto einsteigen ließ. Während des ganzen Geschehens wurde das Opfer von dem „Polizeibeamten“ in der Telefonleitung gehalten. Hinterher kamen dem 91-Jährigen Zweifel. Seine Tochter konnte er nicht erreichen.
Der Geschädigte wirkte gestern noch immer tief getroffen. Er erinnerte sich an die Worte seiner vorgeblichen „Tochter“: „Vati, mir ist was ganz Schlimmes passiert. Ich habe auf dem Weg zum Bahnhof eine Radfahrerin totgefahren.“ Der Zeuge weiter: „Ich war so schockiert. Man weiß gar nicht mehr, was los ist.“ Später habe er nicht über die Sache reden wollen: „Die Leute halten mich für blöd, wenn ich erzähle, was mir passiert ist. Seither bin ich oft angerufen worden, habe aber immer aufgelegt.“
Richter hakt
beim Zeugen nach
Von der Vorsitzenden Richterin nach dem Grund für die Geldübergabe gefragt, sagte der 91-Jährige: „Die Stimme hat hundertprozentig wie die Stimme meiner Tochter geklungen. Es war so, als ob sie neben mir steht.“
Die nächsten Verhandlungstermine sind für 27. April und 4. Mai angesetzt.