Traunstein/Rosenheim – In zwei anonymen „Zetteln“ und einer E-Mail bekam das Impfzentrum Rosenheim 2021 Hinweise, mit „Impfarzt Stefan H.“ stimme etwas nicht. Der Leiter des Zentrums wandte sich an die Landesärztekammer und an die Regierung von Oberbayern, erhielt aber vier Wochen lang aus Datenschutzgründen keine Auskunft.
Der 50-jährige Stefan H. soll 2021 in den Impfzentren Rosenheim und Karlsfeld sowie in Heimen im Landkreis Rosenheim 1450 Personen selbst geimpft beziehungsweise die Impfungen durch medizinisches Fachpersonal als verantwortlicher Impfarzt begleitet haben. Seit Februar muss er sich wegen gefährlicher beziehungsweise vorsätzlicher Körperverletzung vor der Sechsten Strafkammer am Landgericht Traunstein verantworten. Der 50-jährige Theologe verfügt über keinerlei medizinische Ausbildung.
Der Leiter des Impfzentrums Rosenheim gab am gestrigen achten Prozesstag Einblick in die Anfänge des Zentrums 2021. Ihm oblagen Organisation, Aufbau und Koordination der Einrichtung. Den ersten „Zettel“ mit dem Satz „Herr H. ist kein Arzt“ habe ihm der Angeklagte selbst überreicht – wann, wisse er nicht mehr. Der 50-Jährige habe erklärt, er werde von einem Stalker verfolgt. Der Zeuge: „Wir haben nicht reagiert.“ In dieser Zeit habe es rund um das Impfzentrum „massive Störungen“ gegeben – aus der Bevölkerung ebenso wie von Medizinern. An der Einfriedung des Zentrums habe man Schilder mit der Aufschrift „Impfen tötet Kinder“ vorgefunden. Deshalb sei der anonyme Zettel „nichts Ungewöhnliches“ gewesen. Er habe der Geschichte mit dem Stalker geglaubt.
Irgendwann sei ein zweiter „Zettel“ mit ähnlichem Inhalt aufgetaucht. Er habe den Eindruck gehabt: „Wieder einer, der uns in Misskredit bringen will.“ Der Angeklagte habe ihm daraufhin seine „Approbationsurkunde“ überreicht.
Mitte Februar 2021 wandte sich der Zeuge vergeblich an die Landesärztekammer mit der Bitte, Dr. H. zu überprüfen. Er versuchte auch, bei der Regierung von Oberbayern mehr herauszufinden. Sein Fazit: „Bei der Landesärztekammer und der Regierung war niemand an die Leitung zu bekommen.“ Die Ausstellerin der „Approbationsurkunde“ erkannte zwar ihre Unterschrift, konnte aber nicht feststellen, ob ihre Signatur original war. Das Gesundheitsamt Rosenheim gelangte am 22. März 2021 zur Erkenntnis, der „Impfarzt“ sei bei der Landesärztekammer nicht bekannt. Etwa zur gleichen Zeit erreichte den Zeugen die E-Mail einer Frau: „Bitte überprüfen Sie, ob es sich bei Dr. H. um einen echten approbierten Arzt handelt.“
Der Leiter des Impfzentrums sprach den Angeklagten daraufhin an. Der wollte zuerst mit seinem Anwalt reden, schrieb dann aber über Whatsapp: „Ich halte den Druck nicht mehr aus. Ich gehe weg.“ Daraufhin schaltete der Zeuge sofort die Polizei ein.
Vorsitzende Richterin Jacqueline Aßbichler wollte wissen, ob es Beschwerden von Impflingen, Ärzten oder Fachpersonal über Stefan H. gegeben habe. Das verneinte der Zeuge. Seines Wissens nach seien dem 50-Jährigen keine Honorare ausbezahlt worden. Nach Stundenzahlen wären etwa 20 000 Euro fällig gewesen.
Die Vorsitzende Richterin verkündete, der Altruismus des Angeklagten, seine Liebe zu Menschen, werde als wahr unterstellt. Den Antrag, 955 Geimpfte im Zeugenstand anzuhören, wies die Strafkammer zurück. Der Beweisantrag sei „von nicht ausreichendem Beweiswert“. Die Einwilligung in die Impfung sei „durch Täuschung“ erreicht worden. Außerdem seien die Impfungen nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt – weil der Angeklagte kein Arzt sei. kd