Survival-Kurs in Ex-Raketenstellung

von Redaktion

Medizinisches Hilfswerk macht in Lampferding fit für Krisen

Tuntenhausen – Hinter einem ehemaligen Bundeswehrgebäude auf einem Hügel nahe Lampferding stehen acht, neun Menschen um ein graugrünes Fass. Darin: trübes Wasser mit Algen, auf dem Pollen gelbe Schlieren ziehen. Die Blicke der Menschen verraten Zweifel: Von dieser Brühe haben wir vorhin gekostet? Im Ernst? Detlef Hacker vom Medizinischen Hilfswerk (MHW) grinst zufrieden. Dass bei der Trinkprobe zuvor dem Wasser seine trübe Herkunft weder anzusehen noch zu schmecken gewesen war, beweist, wie wirkungsvoll seine improvisierte Filteranlage arbeitet.

Aus trüber Brühe Trinkbares machen

Detlef Hacker erklärt, wie man im Fall der Fälle über die Runden kommt. Und zeigt, wie man sich mit nicht viel mehr als einer Pet-Flasche, Stofffetzen, Kies, Quarzsand, Watte und Aktivkohle behilft. Der Natur abgeschaut und einfach zu basteln. Der Filter holt Schwebstoffe und Dreck aus dem Wasser – „solange der nicht wasserlöslich ist“, doziert Hacker. „Mit Salzwasser zum Beispiel funktioniert das nicht.“

Seine Tipps sind einfach, aber wirkungsvoll. Quarzsand bloß nicht aus dem Kinder-Sandkasten nehmen, sagt er, „der muss kleben, damit die Kinderlein damit bauen können. Dem ist Lehm beigemischt, er ist also nichts für unseren Filter.“ Nein, der erfahrene Filterbauer lenkt seine Schritte in die Pool-Abteilung eines Baumarkts.

Acht Stationen durchläuft man beim Selbsthilfekurs des Medizinischen Hilfswerks. Einen ganzen Tag lang geht es ums Überleben in Situationen, bei denen der Alltag aus den Fugen gerät. Was tun bei einem Unfall? Was, wenn der Grill außer Kontrolle ist? Oder wenn der Strom ausfällt? Und was gehört unbedingt in den Vorratskeller?

Alles andere als ein theoretisches Thema, findet MHW-Präsident Robert Schmitt. Was funktioniert überhaupt noch, wenn der Strom ausfällt? Schmitt warnt: „Ein Blackout wird kommen. Es ist nicht die Frage ob, sondern wann.“

Das hat er den Gästen des MHW am Morgen gleich zur Begrüßung gesagt. Rund 75 haben sich in der ehemaligen Flugabwehrstellung eingefunden. Patrick Suchostavsky kommt direkt aus der Nachbarschaft, aus Ebersberg. Mit seiner Partnerin absolviert er den Kurs, weil er sich nicht aufs Internet verlassen will. „In den sozialen Medien werden auch viele Halbwahrheiten verbreitet“, sagt er.

Teilnehmer mit
weiten Anreisen

Aufgewachsen ist er in Rosenheim. Als Einheimischer ist Suchostavsky aber in der Minderheit. Die meisten Gäste kommen von weither, aus München, aus Innsbruck, zwei Männer in Flecktarn sind aus der Gegend von Augsburg angereist. „Man muss Initiative zeigen“, sagt Oberstleutnant der Reserve, Jakob Varady.

Ein stämmiger Mann stellt sich als Thomas Göttling vor. Den Kurs habe er schon mal absolviert, sagt Göttling, unbedingt notwendig sei so was. Er lebe im Allgäu auf dem Land, besser so, „ich möchte nicht in der Stadt sein, wenn zum Beispiel der Strom ausfällt.“ In seinem Garten könne er ganz cool abwarten. Er habe Vorräte und die Bereitschaft, sie gegen Plünderer zu verteidigen. Mit Messer, Schwert oder Revolver? „Ein Knüppel wäre doch auch geeignet, oder?“, fragt er zurück. Man weiß nicht, ob im Spaß oder im Ernst.

Gerhard Maier wiederum ist mit einigen Freunden aus der Gegend von Innsbruck nach Lampferding gefahren. „Ein bisserl wie eine Versicherung“ sei der Kurs. Sein Bekannter Josef Bodner äußert sich von dem Angebot des MHW beeindruckt: „Ich bin schwer begeistert.“

Die Menschen, die sich an diesem regnerischen Samstag in Lampferding eingefunden haben, wollen einfach nicht hilflos dastehen, wenn die Technik versagt, sagt Ursula Glas-Mengele vom MHW. Doch was ist noch vernünftige Vorsorge, was krankhaftes Bunkern? Was noch begründete Furcht vor einem Angriff von Außen, was schon Verachtung gegenüber dem eigenen Staat? Robert Schmitt weiß, wie schnell man Zustimmung von der falschen Seite bekommen kann, von Verschwörungstheoretikern. Er hat in seiner Begrüßungsrede auch über Hilfsbereitschaft und Gemeinschaft gesprochen. Darüber, dass auch der beste Prepper – so nennt man Menschen, die sich auf alle Eventualitäten vorbereiten – irgendwann auf andere Menschen angewiesen sei. Gemeinsam aber schaffe man jede Krise, sagt er.

Corona-Test? Einer kehrt gleich wieder um

Die Leute vom MHW wissen freilich auch, dass das mancher möglicherweise anders sieht. Einer aus Rosenheim sei gleich wieder umgekehrt, als er erfahren habe, dass er vor dem Start des Kurses zunächst einen Corona-Test absolvieren muss. Sechs andere hätten davor schon ihre Teilnahme abgesagt, als sie per E-Mail darauf aufmerksam gemacht worden waren, erzählt Glas-Mengele.

Um die Ecke geht derweil richtig der Rauch auf. Thomas Englhauser von der Feuerwehr Ostermünchen zeigt, wie man zum Beispiel gefährliche Substanzen löscht. Um für Gefahren zu sensibilisieren, hat er ein Experiment vorbereitet. Ein Bub zieht aus sicherer Entfernung an einem Drahtseil, ein Gefäß neigt sich, und kaltes Wasser stürzt in einen Topf voll brennendem Öl. Eine enorme Stichflamme schießt empor, noch in sieben, acht Metern Entfernung spürt man die Hitze im Gesicht. Wasser gegen Feuer sei die natürlichste Reaktion, sagt Englhauser. In diesem Falle könne sie aber tödlich sein. Er demonstriert, wie man es richtig macht: Deckel drauf, Klappe zu, Flamme tot!

Nebenan zeigt sein Kollege Klaus Schüler, was man im Brandfall für sich selbst tun kann. Die Ratschläge sind nüchtern. Bring erstmal dich in Sicherheit, Sachen kann man ersetzen, das Leben nicht. „Wenn dein Auto brennt, lass es brennen“, sagt Englhauser. Die geringe Chance, es zu retten, sei das Risiko nicht wert. Der wichtigste Tipp betrifft den Rauchmelder. Die allermeisten Opfer von Bränden sterben an Rauchgasen, viele im Schlaf.

Die Mischung aus Anschaulichkeit und Pragmatismus macht das Angebot des MHW für viele attraktiv. Der Kurs sei schnell ausgebucht gewesen, erzählt Ursula Glas-Mengele.

Freie Termine
sind rar

Und doch wird der nächste Lehrgang erst im Oktober stattfinden. Zum einen sind die Kursleiter von MHW und Feuerwehr Ehrenamtliche, die nicht jedes Wochenende in Lampferding auf der Matte stehen können. Zum anderen waren die Kurse auch nicht immer so gefragt. 2011, nach dem Reaktorunfall in Fukushima, da habe man sich kaum retten können vor Anfragen, erzählt Ursula Glas-Mengele. Danach sei das Ganze doch spürbar eingeschlafen. Es ist auch das geringe Interesse in guten Zeiten, das den Helfern in schlechten Zeiten zu schaffen macht.

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