Rosenheim/Potsdam – Die Warnzeichen mehren sich, oft liegen nur wenige Jahre zwischen Jahrhunderthochwassern, während anderswo Hitzewellen alles verdorren lassen. Wie abhängig der Mensch vom Klima ist, das zeigt die Ausstellung „Eiszeit“ im Rosenheimer Lokschuppen, mitgestaltet von Professor Dr. Stefan Rahmstorf, Leiter der Abteilung Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimaforschung und Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam.
Blütenstaub gestresster Fichten, Dürre im Norden Bayerns, ganze Unwetter-Serien letzten Sommer auch im Süden, schneearme Winter: Sind das noch Warnzeichen? Oder sind wir schon mittendrin?
Wir sind auf jeden Fall mittendrin im Klimawandel. Die globale Mitteltemperatur ist unser wichtigster Indikator. 1988 hat der Nasa-Wissenschaftler James Hansen vor dem US-Senat davon gesprochen: vom Temperaturanstieg, vom Treibhauseffekt, von Hitzewellen. Und davon, dass dieser Effekt von den CO2-Emissionen des Menschen herrührt. Er hat gesagt, was lange vorhergesagt war, ist jetzt in den Messdaten sichtbar. Was wir in den Wetter-Ereignissen jetzt sehen, ist seit 30 Jahren vorhergesagt, ebenso die Zunahme von Hitze und Dürre.
Keller leerpumpen, Dächer decken, Lackschäden ausbessern – so schlimm das ist: Im weltweiten Vergleich sind wir in Südbayern fast in einer Klimazone der Seligen.
Na ja, wir in Deutschland sind auf keinen Fall gegen den Klimawandel gefeit. Wir haben die Flut 2002 in Deutschland gesehen, 2003 folgte der Hitzesommer.
Europaweit gab es damals 70000 Tote. In Frankreich war der Peak in der Mortalität höher als während Corona jetzt. Die Extremereignisse kommen heftiger und häufiger. Wir sind auch betroffen, wenn es in anderen Teilen der Welt zu Dürren und Hunger kommt. Die Massenproteste in Syrien gegen das Assad-Regime begannen nach der schlimmsten Dürre in der syrischen Geschichte. Da gab es 1,5 Millionen Binnenflüchtlinge. Das hat die Unzufriedenheit mit der Regierung dramatisch verschärft. Die politischen Auswirkungen spüren wir bis heute auch in Deutschland.
In Rosenheim sehen wir derzeit eine „Eiszeit“-Ausstellung. Die Lebensumstände waren damals, vor Zehntausenden Jahren, sehr schwierig. Man könnte daraus die optimistische Botschaft ziehen, dass der Mensch sich bestens auf drastisch veränderte Bedingungen einstellen kann.
Wir steuern auf eine Erwärmung zu, die uns bereits aus dem Bereich des Holozäns, also des Zeitraums der vergangenen 120000 Jahre hinausführen. Wir bewegen uns auf Temperaturen zu, die es seit Millionen von Jahren nicht mehr gegeben hat. Das heißt aber, dass die Natur, dass Tiere, Pflanzen, Ökosysteme, seit Millionen von Jahren nicht an solche Temperaturen angepasst sind. Sie sind dafür nicht gemacht. Das bedeutet, dass die Ökosysteme, auf denen auch unser Überleben beruht, massiv gefährdet sind. Der zweite Punkt: Ein paar Zehntausend Jäger und Sammler haben sich natürlich anpassen können. Zum Beispiel auf einen Anstieg des Meeresspiegels am Ende der Eiszeit um 120 Meter.
Es gibt Menschen, die den Klimawandel leugnen und sagen, dass die Antike und das Hochmittelalter, als hochgelegene Gegenden wie das Priental überhaupt erst besiedelt werden konnten, ebenfalls ausgesprochene Warmphasen waren.
Wir wissen, dass sich das Klima immer wieder gewandelt hat. Das wissen diese Leute ja von uns Paläoklimatologen. Ich erforsche das ja seit 30 Jahren. Und wir haben weltweit als Erste schon in den 90er-Jahren Eiszeitsimulationen mit unserm globalen Computermodell gemacht. Mittlerweile können wir alle Eiszeiten der vergangenen drei Millionen Jahre erfassen. Ich kann diesen Leuten nur sagen, dass gerade die Paläoklimatologen besorgt sind. Weil sie wissen, wie empfindlich das Klimasystem auf Störungen reagiert und damit natürlich auch auf die massive Erhöhung der CO2-Werte, die wir momentan verursachen. Die sind so hoch wie seit drei Millionen Jahren nicht.
Gibt es noch Hoffnung? Selbst wenn wir Deutschen unsere Klimaziele erreichen können, heißt das weltweit nicht viel.
Die Gefahr, dass es die Deutschen alleine schaffen, besteht nicht. Viele andere Länder reduzieren ja viel stärker. Wir sind also keine Vorreiter. Letztlich gibt es dafür ja das Pariser Abkommen. So gut wie alle Staaten der Welt haben sich darauf geeinigt, Anstrengungen zu unternehmen, den Anstieg der Temperatur weltweit auf 1,5 Grad zu begrenzen. Dem haben solche Staaten wie Saudi Arabien und Russland und China zugestimmt. Weil alle wissen, was auf dem Spiel steht.
Nun glaubt man zu wissen, dass sich Russland und China an Vereinbarungen halte, wenn es ihnen passt. Sind Sie optimistisch, dass alle mitmachen?
Das ist eine schwierige Frage, weil es natürlich keine Organisation weltweit gibt, keine Weltregierung, die durchsetzen kann, dass alle Staaten mitmachen. Es wird wahrscheinlich Trittbrettfahrer geben, die sich nicht an alle Regeln halten. Deswegen bin ich davon überzeugt, und darüber wird in der EU ja auch schon nachgedacht, dass es Zölle geben wird. Für Produkte aus Staaten, die die Klimaziele nicht einhalten. Einfach, um die vor billigen Einfuhren zu schützen, die klimafreundlicher aber auch teurer produzieren.
Deutschland in 50 Jahren, wie wird es aussehen?
Ich habe keine Glaskugel. Weil es eben sehr stark von der Politik abhängt. Wir können natürlich Szenarien berechnen, aufgrund von unterschiedlichen Annahmen, wie stark Emissionen steigen oder fallen. Und da gibt es riesige Unterschiede. Wenn wir einen Pfad innerhalb des Pariser Abkommens einhalten, dann werden wir auch deutlich wärmere Temperaturen und Wetterextreme haben, aber in einem Maß, bei dem man sich noch anpassen kann, auch wenn es teuer wird. Wenn wir allerdings auf eine Drei-Grad-Welt zusteuern, dann ist es sehr schwer vorherzusagen, wie es aussehen wird. Wir können sagen, wie warm es dann ist. Aber was auf der weltpolitischen Bühne passiert, wenn es weltweite Hungersnöte und politische Instabilität gibt, das vermag niemand vorherzusagen. Ich glaube, dass dann das zivilisierte Zusammenleben der Menschen an Belastungsgrenzen kommen wird.
Dennoch gab es in den vergangenen Jahren immer wieder wichtigere Themen. Stichwort Corona. Können Sie das nachvollziehen?
Ich kann es nur insofern nachvollziehen, als offensichtlich viele Menschen in der Politik, aber auch in der Bevölkerung, immer noch nicht verstanden haben, was auf dem Spiel steht. Denen kann ich nur anraten, in den aktuellen Bericht des Weltklimarats reinzuschauen. Es geht um das Überleben der Zivilisation, wie wir sie kennen. Es geht vor allem darum, keine Zeit mehr zu verlieren. Denn um noch eine Chance zu haben, die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, müssen wir bis 2030 die Emissionen weltweit halbiert haben. Man hätte es ursprünglich gemächlich angehen können, doch wegen all der Widerstände und Versäumnisse nach dem Rio-Gipfel 1992 ist heute eine Notbremsung notwendig.
Wie in den ersten Monaten der Pandemie. Erinnern Sie sich noch, wie klar der Himmel auf einmal war?
Ich erinnere mich vor allem daran, dass man zu Beginn der Pandemie gemerkt hat, die Politik kann tatsächlich handeln. Sie kann zum Beispiel den Flugverkehr einstellen. Es müsste möglich sein, in so einer Klima-Notlage wirksame und tiefreichende Maßnahmen zu ergreifen.
Machen wir nochmal Station bei der „Eiszeit“ im Rosenheimer Lokschuppen. Ist das bloß eine unterhaltsame History-Show, oder kann man da wirklich fürs Leben was lernen?
Ich glaube schon, dass solche Ausstellungen und überhaupt ein Blick in die Menschheitsgeschichte wichtig sind, um sich klarzumachen, dass wir in einer langen Entwicklung dieser Menschheit auf diesem Planeten stehen. Wir mussten lernen, mit Feuer umzugehen, zu überleben und etwas zu essen zu finden. Wir sehen, dass diese heutige Hyperkonsum-Gesellschaft keineswegs der Normalfall ist und mit Sicherheit in dieser Form in Zukunft auch nicht fortbestehen kann. In der Vergangenheit hat es bereits massive Klimaveränderungen gegeben, aufgrund natürlicher Ursachen wie den Erdbahnzyklen. Die sind zum Glück so langsam, dass in den nächsten Jahrtausenden nichts droht. Wir haben es jetzt halt in der Hand, einen sehr gefährlichen Klimawandel in letzter Minute noch zu verhindern.
Interview: Michael Weiser