Dietrich Bonhoeffer hat seinen Studenten ans Herz gelegt, die Bibel „wie einen Liebesbrief“ zu lesen. Das sei ein guter Schlüssel zum Verstehen. So könne man die alten und vertrauten Texte lebendig werden lassen. In einem Liebesbrief liest der Adressat nämlich immer mehr als die bloßen Buchstaben. Was nur schwarz auf weiß auf dem Papier steht, wird hier beim Lesen übersetzt in die bestehende Beziehung und in die gemeinsame Geschichte hinein. Zeilen aus der Vergangenheit werden so Gegenwart und in der Sehnsucht nach Liebe Hoffnung auf Zukunft.
Ich gebe zu, beim zufälligen Aufschlagen der Bibel gerate ich besonders im vorderen Teil an Seiten, die mich eher schaudern lassen. Da stehen Berichte über blutige Auseinandersetzungen neben überholten Speisevorschriften, die vor Jahrtausenden vielleicht noch ihre Berechtigung gehabt haben.
Andere Textstellen treffen mich dafür mitten ins Herz und kommen mir vor wie ein Liebesbrief Gottes an uns. Auch in unserem Leben und in unserem menschlichen Miteinander steht das Wichtigste oft „zwischen den Zeilen“. In der seelsorgerlichen Begleitung braucht man daher immer ein Ohr für das „nicht Gesagte“.
Mein spiritueller Lehrer Pater Ägidius Schulte hat das so erklärt: „Menschen begleiten heißt, erst einmal selber die Klappe zu halten. Zunächst nur zu hören – und zwar nicht nur auf Sätze und Wörter, sondern noch mehr auf die Tonlagen.“ Ich würde mir wünschen, dass wir alle in der Fülle unserer Aktivitäten und der Medien, die wir nutzen, wieder etwas mehr Ohr füreinander haben.