„Es ist normal, verschieden zu sein“

von Redaktion

Feier zum 50. Geburtstag der Philipp Neri Schule und der Tagesstätte Klara von Assisi

Rosenheim – „Ein geistig behindertes Kind? Pech gehabt, aber Sie werden Ihr Schicksal schon meistern.“ Es ist heute nicht mehr vorstellbar, aber es gab eine Zeit, da war dies die gesellschaftliche Haltung gegenüber Eltern, die ein Kind mit speziellem Förderbedarf hatten. Und diese Zeit ist gar nicht so lange her, nur gute 50 Jahre. Deutlich wurde dies kürzlich, als die Philipp Neri Schule und die heilpädagogische Tagesstätte Klara von Assisi gemeinsam ihren 50. Geburtstag feierten.

Im Alltag
gelebte Inklusion

An deren Anfang stand nämlich das Bemühen einiger Eltern, für ihre Kinder mit einer Beeinträchtigung eine Schulmöglichkeit zu schaffen – ein Recht auf einen Schulbesuch gab es für „geistig Behinderte“ bis dahin nämlich nicht. Wie gesagt: heute kaum mehr vorstellbar. Die Festgäste beim Geburtstag, Bezirkstagspräsident Josef Mederer, Landrat Otto Lederer und Rosenheims Dritte Bürgermeisterin Gabriele Leicht waren sich einig: Es hat sich glücklicherweise enorm viel verändert in den vergangenen 50 Jahren, seit die Caritas die Trägerschaft der Schule, die aus dieser Elternbewegung heraus entstanden war, übernommen hatte.

Dr. Kathrin Klaffl, in der Geschäftsleitung der Caritas für den Bereich „Teilhabe und Inklusion“ zuständig, brachte das mit einem Zitat des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker auf den Punkt: „Es ist normal, verschieden zu sein.“

Dieser Satz fasst das zusammen, was mit Inklusion gemeint ist, und in der Philipp Neri Schule wie auch in der Tagesstätte Klara von Assisi ist es Alltag. „Behinderte“ Kinder müssen nicht mehr wie noch in den 1960er-Jahren auch aus Scham zu Hause weggesperrt werden. Sie haben stattdessen ein Umfeld, in dem sie individuell gefördert werden. Und vor allem: Sie haben in ihrem Schulalltag auch ganz selbstverständlichen Umgang mit den Kindern der Erlenau-Grundschule. Nicht nur auf dem gemeinsamen Pausenhof, sondern auch in den Partnerklassen.

Solche gibt es übrigens auch mit der Mittelschule am Luitpoldpark. Das Ziel der Arbeit des ganzen Heilpädagogischen Zentrums, das die Kinder vom Vorschulalter bis zum Berufseintritt betreut und in den Wendelsteinwerkstätten dann auch noch Arbeitsplätze anbietet, fasste Caritas- Vorstand Thomas Schwarz so zusammen: Es müssen alle Kinder in gleichem Maß – und das heißt bei bestmöglicher Förderung und selbstverständlicher Gleichberechtigung – möglichst gemeinsam in die Gesellschaft hineinwachsen können. Nur so ist garantiert, dass diese solidarisch ist und eine bunte und vielfältige Zukunft hat.

Wenn man auf diesem Weg, wie Josef Mederer feststellte, auch ein sehr gutes Stück vorangekommen ist und es im Bezirk heute auch ein flächendeckendes Netz der Förderung gäbe, so bleibt doch festzuhalten: Inklusion ist kein Selbstläufer. Das machten Matthias Bogenberger, Rektor der Philip Neri Schule, und Jürgen Keil, Leiter der heilpädagogischen Tagesstätte, deutlich. Matthias Bogenberger sah die Gefahr, dass in Zeiten, in denen die Aufmerksamkeit der Menschen durch akut empfundene Bedrohungen in Beschlag genommen wird (wie die Corona-Pandemie oder der Krieg in der Ukraine), das Bemühen um Inklusion auf der politischen Agenda weit nach unten rutscht oder ganz verschwindet. Inklusion aber braucht Konstanz und Beharrlichkeit. Das hätte, so Matthias Bogenberger, die Corona-Pandemie augenfällig gemacht: „Die Partnerbeziehungen zur Grund- und Mittelschule sind durch die Corona-Beschränkungen fast ganz zum Erliegen gekommen. Wir stellen fest: Wir müssen mit den Kindern hier fast von Neuem wieder beginnen.“ Inklusion – und das war ebenso sehr Warnung wie Bitte von Matthias Bogenberger und Jürgen Keil – „ist etwas, das die Gesellschaft aktiv wollen muss, nur dann wird sie es sich leisten“.

Bis zum Ziel ist es
noch ein weiter Weg

Dennoch gibt es – alles in allem – mehr Grund zur Zuversicht als zu Befürchtungen. Denn auch die vergangenen 50 Jahre waren nicht ohne politische Turbulenzen. Und trotzdem ist heute ein Stand erreicht, der die Umstände Anfang der 1970er-Jahre wie finsteres Mittelalter erscheinen lässt. Und von daher ist der Wunsch von Dr. Kathrin Klaffl, den auch alle anderen „Geburtstagsgäste“ teilten, keine unrealistische Vision: „Inklusion ist dann vollendet, wenn keiner mehr mit diesem Wort etwas anfangen kann, weil Kinder, Jugendliche, Erwachsene ganz selbstverständlich nicht mehr in Schubladen wie ‚normal‘ oder ‚beeinträchtigt‘ gesteckt werden, sondern einfach Menschen in ihrer ganzen Individualität sind.“

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