„Wo hat der Wolf Platz?“

von Redaktion

Interview Landwirtschaftsministerin Kaniber über die Beutegreifer

Rosenheim – Ein Geschenk der Natur oder eine Bedrohung für die Landwirtschaft in den Bergen der Region Rosenheim? Wenn es um den Wolf geht, prallen die Meinungen der Menschen hart aufeinander. Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU) äußert im Exklusivinterview mit den OVB-Heimatzeitungen dazu eine klare Ansicht.

Bär und Goldschakal treiben die Bauern in der Region Rosenheim um, vor allem aber der Wolf.

Das gilt für den gesamten Alpenraum.


Wie viele Wölfe haben wir denn?

Hier im Raum Rosenheim haben wir derzeit keinen standorttreuen Wolf. Aber auf ganz Bayern gesehen haben wir sehr wohl standorttreue Wölfe, teilweise sogar im Rudel, zum Beispiel im Bayerischen Wald, in der Rhön oder auf dem Truppenübungsplatz in Grafenwöhr. In der Gegend hier haben wir es aber ab und zu mit durchziehenden Wölfen zu tun, die sich dann aber auch leider an unseren Nutztieren bedienen, wenn sie Hunger haben.

Und was solche Räuber betrifft, gelten Sie als Freundin entschiedener Lösungen. Ist nur ein toter Wolf ein guter Wolf?

So darf man es auf keinen Fall sehen. Und so sehen es auch die Bauern nicht. Die Frage ist aber: Wo hat er Platz? Man darf das nicht nur regional betrachten oder nur auf den Alpenraum beziehen. Wussten Sie zum Beispiel, dass der Wolf bereits in manchen Roten Listen als „ungefährdet“ geführt wird? Da muss man sich schon fragen, ob er auch hier bei uns noch so umfangreich geschützt sein muss, wie es derzeit der Fall ist. Denn die Population der Wölfe nimmt tatsächlich jährlich um circa 30 Prozent zu.

In Deutschland?

Ja, in Deutschland. Die Zuwachszahlen lassen sich ziemlich belastbar anhand des Monitorings in Deutschland errechnen und sind auch plausibel. Man muss sich nur mal die Vorfälle in Niedersachsen anschauen. Es hat immer geheißen, ein Wolf greift keine größeren Tiere an. Das stimmt aber ganz offenbar nicht, denn es wurden auch schon Pferde angegriffen. Zu dem bei Naturschutzverbänden und bestimmten Politikern verbreiteten Irrglauben zählt auch das absolute Vertrauen in Herdenschutzmaßnahmen.

Das müssen Sie uns erklären.

Viele nehmen die Schweiz als gutes Beispiel. Ich war erst kürzlich auf dem Alpengipfel Europa. Dort hat eben ein Experte aus der Schweiz ganz klare Worte gefunden: „Vergessen Sie es einfach. Wir haben es mit dem Herdenschutz versucht. Es hat einfach nicht funktioniert.“ Dasselbe hat uns ein Kollege aus dem Allgäu berichtet. Er hatte es auch mit einem Herdenschutzhund probiert. Die Tiere kosten erstens sehr viel Geld. Zweitens ist das Halten von solchen Hunden eine große Herausforderung, vor allem in touristisch geprägten Gebieten.

Weil diese Hunde auch gefährlich sind.

Die Hunde meinen es ja gut, sie beschützen die Alm und die Tiere. Aber sie laufen auch gern mal einem Wanderer und Bergradlfahrer nach. Ja, das ist wirklich gefährlich. Der Bau von Zäunen bedeutet auch die Durchschneidung der Landschaft und der Biotopverbünde. Und das auf einer unheimlichen Länge. Ich habe das ausrechnen lassen. Das wären 57435 Kilometer Zaun.

Nur in Bayern?

Nur in Bayern! 57435 Kilometer, Kostenpunkt 465 Millionen Euro. Da war der bayerische Finanzminister nicht erfreut. Und manche Gebiete kann man vielleicht gut und effektiv umzäunen, viele andere in den Bergen aber nicht. Deswegen plädieren wir für die Absenkung des Schutzstatus auf Brüsseler Ebene. Wir erwarten, dass die europäische FFH-Richtlinie in Bundesrecht umgesetzt wird und so eine Entnahme auch schadensunabhängig möglich ist. Wir als Freistaat Bayern können das rechtlich noch untermauern, indem wir Weideschutzgebiete ausloben.

In denen Wölfe leichter entnommen, also auch getötet werden können.

Ja. Die Population wächst rasant. Und daraus ergeben sich eben Zielkonflikte. Es gibt Gebiete in Europa, die vertragen eine hohe Population an Wölfen, zum Beispiel in Polen oder in Kroatien. Wir müssen uns dagegen fragen, was wir wollen. Wenn wir eine Beweidung und Bewirtschaftung unserer Almen wollen, mit einer einzigartigen Kulturlandschaft, dann geht das nur, indem wir die Almbauern und ihre Nutztiere schützen.

Und das so kategorisch?

Wolf, Biber und Fischotter zu schützen, ist artenschutzrechtlich absolut in Ordnung. Aber wenn die Population so überhandnimmt, dass die Artenvielfalt in Gefahr ist, dann haben wir nichts von der Rückkehr von Wolf, Biber und Fischotter. Mich macht es traurig, dass Tierschutz von vielen einseitig gesehen wird. Das Nutztier ist bei ihnen nichts wert. Dafür kann man ja entschädigen, heißt es dann immer. Aber so einfach geht das nicht.

Erklären Sie uns das Problem?

Die Schafhalter zum Beispiel haben Leittiere. Das sind unglaublich intelligente Schafe, die über Jahre hinweg die Herde zusammenhalten und zum Beispiel wissen, wohin sie die Herde im Falle eines Gewitters führen. Die können sie nicht einfach mit ein paar Hundert Euro ersetzen.

Was die Haltung gegenüber Wölfen betrifft: Sehen Sie da ein Stadt-Land-Gefälle, mit mehr Sympathien für Wölfe in der Großstadt?

Das kann man nicht verallgemeinern. Sie werden Städter finden, die Verständnis für Almbauern haben, und solche, die den Wolf unbedingt schützen wollen. Wir dürfen hier nicht spalten. Ich wünsche mir aber mehr Information. Wenn man weit weg von der Almwirtschaft lebt, hat man vielleicht kein so tiefes Verständnis dafür. Aber fragen Sie mal die Menschen, denen vergangenes Jahr vor Weihnachten der Wolf mitten in Bergen begegnet ist, ob sie das so toll fanden.

Wie machen das andere Länder?

In Schweden sagen sie: 300 Wölfe sind genug für einen günstigen Erhaltungszustand. Auch Frankreich mit seinen rund 600 Wölfen entnimmt jährlich einen Teil des Zuwachses. Wir in Deutschland sind dagegen mittlerweile bei schätzungsweise 1000 bis 1800 Wölfen. Wir müssen uns fragen: Wie viele Wölfe verträgt ein Land? Wie entwickelt sich die Population? Wollen wir die Almwirtschaft und damit die Biodiversität und eine einzigartige Kulturlandschaft bewahren? Können wir das ausschließlich mit Zäunen erreichen? Sie werden im Rosenheimer Raum einige Almen mit einer Hangneigung von 40 Grad finden. Da ist ein Zaunbau schlicht unmöglich.

Interview: Michael Weiser

und Carmen Krippl

Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber und die OVB-Heimatzeitungen sprachen über weitere Themen. Wie Michaela Kaniber unter anderem über den Einfluss des Klimawandels auf die Landwirtschaft denkt, lesen Sie in den kommenden Tagen.
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