Rosenheim – Simone Lüders macht sich Sorgen. Sorgen um die Gesundheit der Kleinsten. Die Rosenheimer Osteopathin behandelt in ihrer Praxis täglich Schulkinder, die bereits im Grundschulalter Fehlstellungen im Wirbelsäulenbereich haben. Der Grund für Lüders: Die Kinder sitzen stundenlang in einer ungesunden Körperhaltung an den Schulbänken. Dazu könnten die wenigsten Schulanfänger Füller und Bleistift richtig halten. Die möglichen Folgen für die Abc-Schützen reichen weit. Von dauerhaften Schmerzen im Nacken- und Schulterbereich über Beckenprobleme bis hin zu Bandscheibenvorfällen im späteren Leben. Aber auch die schulischen Leistungen litten dadurch, behauptet die Osteopathin.
Wissenschaftlicher
Nachwuchs
Ihre Beobachtungen will Lüders nun wissenschaftlich nachweisen. Dazu führt die Osteopathin zusammen mit dem Lehrstuhl für Biomechanik im Sport der Technischen Universität München von Professor Dr. Ansgar Schwirtz eine Studie zur „Förderung einer gesunden Haltung und Verbesserung der Schreibmotorik“ an Schulen in der Region durch. Dabei wollen Lüders und Schwirtz zwischen 300 und 400 Grundschüler aus dem Landkreis Rosenheim untersuchen.
Denn die gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Kinder stehen Lüders zufolge oft im Zusammenhang mit der Einschulung. „In der Schule gewöhnen sie sich schnell an eine falsche Sitzhaltung, wenn man nicht darauf achtet“, betont die Osteopathin. Anstatt aufrecht und mit beiden Füßen auf dem Boden, sitzen Schulkinder unter anderem mal quer auf den Stühlen oder legen ein eingeschlagenes Bein auf dem Stuhl ab und setzen sich darauf. „So entsteht aufgrund der Schieflage im Beckenbereich ein muskuläres Ungleichgewicht“, berichtet Schwirtz. Und dies müsse von der Kopf-und Nackenmuskulatur ausgeglichen werden. Deshalb sei die ideale Sitzposition, wenn der Kopf gerade über der Wirbelsäule ist und das Gewicht auf beide Pobacken verteilt wird, so der Professor.
Noch mehr als die Sitzhaltung habe sich die Schreibmotorik der Schüler verschlechtert. „Indem Kinder die Stifte falsch in der Hand haben, können sie kaum noch über einen längeren Zeitraum ermüdungsfrei schreiben“, sagt Lüders. Eine frühere Studie habe ergeben, dass dies rund 51 Prozent aller Buben und 31 Prozent der Mädchen betreffe, so die Osteopathin. „Am besten hält man den Stift im Drei-Punkt-Griff“, erklärt Schwirtz. Das bedeute, dass der Stift von Daumen und Zeigefinger umfasst wird und auf dem vorderen Glied des Mittelfingers abgelegt wird.
Die „Mehrheit der Schulanfänger“ halte die Schreibstifte allerdings nicht so. „Unter anderem nehmen sie die Stifte mit vier Fingern oder schreiben aus dem ganzen Arm und nicht aus dem Handgelenk. Hinzu kommt das bekannte Schreiben mit der Nase“, sagt Lüders. So komme es vor, dass die Schüler selbst bei kurzen Aufsätzen ihre Hand über 30-mal ausschütteln müssen. Das koste Kraft und Zeit, die den Kindern dann bei der Konzentrationsfähigkeit fehle.
Und das wirkt sich Schwirtz und Lüders zufolge wiederum auf die gesamten schulischen Leistungen aus. „Es wurde nachgewiesen, dass durch beide Haltungsproblematiken die Leistungen der Schüler nachhaltig schlechter werden“, sagt Lüders. Besonders betroffen seien davon die Rechtschreibung, das Lesen und das Textverständnis.
Damit sich diese Entwicklung nicht fortsetzt, dazu soll nun die Studie an den Schulen beitragen. So zum Beispiel an der Grundschule am Schloßberg (Gemeinde Stephanskirchen) oder der Grundschule in Höhenrain bei Feldkirchen-Westerham.
Professor Dr. Ansgar Schwirtz teilt auf Anfrage mit, dass die Studie mit einer körperlichen Eingangsuntersuchung der Schüler, die im Vorfeld in Interventions- und Kontrollklassen eingeteilt wurden, beginnen soll. „Wir verwenden dazu einen Bodyscanner, der die Körperhaltung im Stehen und Sitzen misst“, erklärt er. Zusätzlich wird mit einem Spezialstift, der die Druckpunkte der Finger registriert, die Schreibmotorik überprüft. In den Interventionsklassen halten Lüders und ihr Team im Anschluss für Schüler, Lehrkräfte und Eltern eine Schulung, während in den Kontrollklassen vorerst nichts unternommen wird.
In den Kursen werde gemeinsam das richtige Sitzen und die korrekte Stifthaltung geübt, so Schwirtz. Er hofft, dass das Erlernte dann auch weiterhin von den Lehrkräften und Eltern überprüft wird. Die Untersuchung werde nach drei Wochen, drei und sieben Monaten sowie einem Jahr wiederholt, um die Veränderungen langfristig zu dokumentieren.
Kontakt mit Gesundheitsminister
„Unser Ziel ist es, dass aufgrund unserer Ergebnisse die Einführungsschulungen dauerhaft in die Lehrpläne aller Schulen aufgenommen werden“, sagt Lüders. Dazu stehe sie bereits mit dem Bayerischen Gesundheitsministerium in Kontakt und habe durchweg „positive Rückmeldungen“ erhalten.