Kinder warten immer öfter auf Arzneien

von Redaktion

Kinderarzt beklagt Medikamenten-Mangel – Apotheker bestätigen Lieferprobleme

Rosenheim – Der Rosenheimer Kinderarzt Otto Laub ist sauer. Es ist Vorstandsmitglied des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte Bayern, Pneumologe, dazu Mitglied im Vorstand des Praxisnetz-Verbunds „Paednetz Bayern“. Ein erfahrener Mediziner also. Einen Zustand wie im dritten Jahr der Pandemie hat er selten erlebt. Medikamente seien knapp, vor allem die für Kinder, „und das schon seit Längerem“. Doch über die Gründe werde man im Unklaren gelassen. „Da hört man dann nur Unworte des Jahres wie ,Lieferketten‘.“

Situation extrem angespannt

Auch Dominik Simon von der Heilig-Geist-Apotheke in Rosenheim weiß von Knappheit zu berichten. Mit Medikamenten-Engpässen habe man schon seit Jahren zu kämpfen. „Allerdings ist die Situation momentan so extrem wie noch nie zuvor.“ Man habe dauernd damit zu tun, Alternativen zu finden und zu schauen, wo man etwas „ergattern“ könne.

Der Mangel betrifft Mittel für Erwachsene, oft aber auch Präparate für Kinder. Mal fehlen Lutschtabletten gegen die Halsschmerzen, dann mal wieder Fiebersäfte mit Paracetamol oder Ibuprofen als Wirkstoffen.

Die Liste könnte man lang fortsetzen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte führt derzeit 100 erstmals für Versorgungs- oder Lieferengpässe gemeldete Arzneimittel, 250 sind es insgesamt. Sie haben aber nach Auskunft des Instituts teilweise denselben Wirkstoff. Versorgungsrelevant – für diese Einstufung ist wichtig, ob das Medikament einzigartig ist, oder ob es durch andere ersetzt werden kann – seien von diesen 250 Arzneimittel nur zehn.

Bei Ibuprofen-Fiebersäften habe sich die Lage wieder verschlechtert, meldet Dominik Simon. „Haben wir vor zwei Monaten ausreichend Ware bekommen, steht nun der nächste Mangel bevor“, sagt er. „Derzeit ist wieder nichts zu bekommen.“ Zurzeit seien viele Kinder erkrankt. Zudem neigten einige Eltern auf Nachrichten von Engpässen hin zu Vorratseinkäufen. Manchmal mag die kleine Kundschaft allerdings auch nur nicht die bittere Pille schlucken: „Wenn hier ein Kind nur den Saft von einer speziellen Firma aufgrund des Geschmacks in Erdbeer haben möchte, stoßen wir auch hier immer wieder an die Grenzen.“

Das Bundesinstitut weiß die Gründe nicht genau zu benennen, aber es hat Vermutungen: Es gehe um eine „Verteilproblematik“, die damit zusammenhängt, dass der Bedarf „überproportional angestiegen“ sei. Die Ursachen für diesen erhöhten Bedarf habe man noch nicht ermitteln können.

Florian Nagele von der Mangfall-Apotheke in Kolbermoor ist Vertreter der Landesapothekerkammer in der Region. Er versucht, sich einen Reim auf die Knappheit zu machen. Auch er hat von unterbrochenen Lieferketten gehört. Aber auch die Entscheidung eines Hersteller, die Produktion seines Fiebersaftes einzustellen, habe die Lage verschärft. „Das haben die anderen dann nicht mehr ausgleichen können“, sagt Nagele.

Diese Entscheidung ist ein Grund, warum Otto Laub wiederum an den Pharma-Unternehmen zweifelt. Die betreffende Firma habe die Produktion Knall auf Fall eingestellt, „einfach so, ohne uns Bescheid zu geben“, sagt er. Darüber hinaus vermisst er eine befriedigende Erklärung, warum die Produzenten nicht einfach mehr herstellen. Was ihm zu Ohren gekommen ist, mehrfach, wie er sagt, klingt schockierend: Das „pädiatrische Segment“ werfe nicht genug ab. Aus dem Pharmazeutischen übersetzt: Arzneimittel für Kinder ergeben nicht so viel Gewinn wie Mittel für Erwachsene.

Apotheker sprechen bereits von Krise. Florian Nagele macht darauf aufmerksam, dass die Menschen hierzulande zu stark von Produzenten im Ausland abhängig seien. „Wenn die in China oder Indien selber stark mit Corona zu kämpfen haben, kann es schon sein, dass sich das bei uns bemerkbar macht.“ Es werde kaum mehr in Europa produziert, „es wäre toll, wenn wir da die Abhängigkeit reduzieren könnten – aber da ist die Politik leider noch zurückhaltend.“

Auch Dominik Simon spricht von Abhängigkeiten. Und er sieht Probleme beim Transport vom Hersteller zu den Großhandlungen und in die Apotheken. Aufgrund von fehlendem oder krankheitsbedingt ausfallendem Personal. Deutschland mache sich den Nachschub aber auch selbst schwer. Und zwar durch Preisregulierungen. „So sei es für manch eine Firma interessanter, „andere Märkte vorrangig zu beliefern“.

„Wurschteln
uns durch“

Die Apotheker, so betont Nagele, wissen sich und ihrer Kundschaft noch zu helfen. Etwa, indem sie auf alternative Mittel ausweichen. Oder indem sie die Dosierung anpassen. „Wir telefonieren die Apotheken ab“, sagt Kinderarzt Laub, „bislang haben wir uns noch durchwurschteln können“.

Die Sorge der Mediziner richtet sich auf die bevorstehende kalte Jahreszeit, wenn Schnupfen- und Grippeerreger auf Kinder stoßen, die sich dank Corona-Isolation und Maske kaum gegen Viren und Bakterien abhärten konnten.

Wenn weder Ibuprofen- noch Paracetamol-Säfte vorhanden sind, sieht Laub sich wieder Filmtabletten im Mörser zerstoßen, um sie mit Wasser zu etwas Saft-ähnlichem zu verrühren. „Nicht im Sinne des Erfinders“, grummelt er. „Frechheit, wie die Kinder auf der Strecke bleiben.“

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