Rosenheim – „Dann geht’s halt jetzt zuerst mal Richtung Venedig“, sagt Sepp Höck halb resigniert, halb mit Galgenhumor. Denn eigentlich will der Rollstuhlfahrer nur von Raubling mit dem Zug nach Rosenheim. Der Aufzug, mit dem er zum entsprechenden Bahnsteig kommen könnte, ist aber defekt. Ausweichen auf den Bus geht nicht, denn die Höhe der Haltestelle dort passt noch nicht zur Höhe der Einstiegsrampe der Busse – kein Hineinkommen für einen Rollstuhlfahrer. Es bleibt also nur eines: Am Bahnhof denjenigen Bahnsteig zu nehmen, den man ohne Aufzug erreichen kann und in der Folge zunächst einmal nach Brannenburg zu fahren. Voller Hoffnung, dort Gleis und Richtung wechseln zu können.
24830 Menschen mit einer anerkannten Schwerbehinderung gibt es in Stadt und Landkreis Rosenheim, die bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel immer wieder vor Problemen wie Höck stehen.
Ein absolutes Unding, meint die Projektgruppe „Barrierefreies Bauen“, die sich seit 20 Jahren dafür einsetzt, dass im öffentlichen Raum die Belange der Menschen mit Einschränkungen nicht einfach vergessen und übersehen werden. Die jüngste Veranstaltung der Projektgruppe trug den Titel „ÖPNV-inklusiv“ und brachte Bürger, Betroffene und Entscheidungsträger des Landkreises Rosenheim zusammen. Mit ein Anlass für die Veranstaltung: Im nächsten Jahr, so erklärte Christiane Degenhart, die Leiterin der Projektgruppe, jährt sich zum zehnten Mal eine Art „Weckruf“. Der des ehemaligen Ministerpräsidenten Horst Seehofer nämlich, der 2013 forderte, dass der Freistaat binnen zehn Jahren barrierefrei sein müsse. Es sei in diesen zehn Jahren auch wirklich viel passiert, meinte Degenhart, am Ziel sei man aber noch nicht.
Ein sehnlicher Wunsch der Betroffenen ist unter anderem, dass endlich alle Bushaltestellen an die Einstiegsrampen der Busse angepasst würden. Das Problem dabei: Es gibt, wie „Bürgermeistersprecher“ Bernd Fessler erklärte, in einem Flächenlandkreis einfach zu viel davon, was aus dem berechtigten Verlangen ein finanzielles, aber auch organisatorisches Problem mache. Die pragmatische Lösung der Kommunen im Landkreis, die diese Aufgabe stemmen müssen: Man wird immer dann tätig, wenn in der Nähe sowieso eine gemeindliche Baustelle ist.
Doch selbst einfachere Wünsche sind nicht immer leicht zu erfüllen. Etwa der, dass die Fahrpläne in den Bushäuschen in einer Höhe angebracht werden sollten, dass sie auch vom Rollstuhl aus noch zu lesen wären und so groß gehalten, dass sie auch von Menschen mit Sehschwierigkeiten entziffert werden könnten.
Landrat Otto Lederer und Oberbürgermeister Andreas März versicherten, dass das Ziel eines barrierefreien Nahverkehrs in Stadt und Landkreis weiterhin ernst genommen und dafür durchaus viel Geld investiert werde – ganz auf die Schnelle werde es nicht zu erreichen sein. jt