Prien/Aschau – Ernste Gesichter, suchende Blicke – es ist kein alltäglicher Termin, zu dem sich am Samstag, 10. Dezember, knapp zwei Dutzend Eiskeller-Gäste in der Polizeidienststelle in Prien am Chiemsee einfinden. Es handelt sich um den großen Sondervernehmungstag, zu dem die Soko „Club“ geladen hatte. Sie alle sollen helfen, den Fall Hanna, das grausame Gewaltverbrechen an der jungen Medizinstudentin (†23) aus Aschau im Chiemgau, ein Stück weit mit aufzuklären.
Denn sie alle, die rund 600 bis 800 Gäste des Musikclubs „Eiskeller“ in jener Nacht auf den 3. Oktober, sind auf eine gewisse Art und Weise mit dem Fall Hanna verbunden, wenn auch in den meisten Fällen nicht direkt involviert. Dennoch, und das erschüttert viele rückblickend besonders: Sie feierten, lachten und tanzten völlig ahnungslos, als in ebendieser Nacht wenige hundert Meter entfernt Hanna (†23) einem Gewaltverbrechen zum Opfer fiel.
Motivation der
Soko lässt nicht nach
Den Tatzeitraum konnte die ermittelnde Soko „Club“ auf die Zeit zwischen 2.30 und etwa 3 Uhr einschränken. Hanna, die ebenfalls im Eiskeller gefeiert und den Club gegen 2.30 Uhr verlassen hatte, befand sich alleine auf dem Heimweg. Dort traf sie offenbar im Bereich des Kampenwandparkplatzes auf den Täter. Zwölf Stunden später wurde ihre Leiche auf Höhe Kaltenbach in der Prien entdeckt, zehn Kilometer flussabwärts von Aschau, abgetrieben durch das damals vorherrschende Hochwasser. Den Ring, den sie an diesem Abend getragen hatte, fanden Ermittler später im Bärbach, einem kleinen Zufluss der Prien, der durch Hohenaschau fließt. Der genaue Tathergang und das Motiv sind nach wie vor unklar. Einen dringend Tatverdächtigen konnte die Kripo inzwischen ausmachen. Er sitzt seit 18. November in Untersuchungshaft. Es handelt sich dabei um jenen Jogger, der noch im Oktober als Zeuge gesucht war.
Um die Vorwürfe weiter zu untermauern, unternimmt die Soko weiterhin alle Anstrengungen. Und will in diesem Zusammenhang nun sämtliche Partygäste jenes Abends vernehmen, um „zumindest einmal mit jedem gesprochen zu haben“, wie es Polizeisprecher Stefan Sonntag, selbst beim Sondervernehmungstag vor Ort, benennt.
Der Aufwand ist gewaltig: Bis zu 800 Gäste waren in der betreffenden Nacht im Eiskeller, der sein „Re-Opening“ nach der Sommerpause hatte; an die 500 hat die Polizei in den vergangenen Wochen bereits vernommen. Dutzende davon in den vergangenen Tagen seit Anfang Dezember.
Zusammen mit Hans-Peter Butz, Chef der Kripo Rosenheim, leitet Heckl die nach wie vor 50-köpfige Sonderkommission. Die Einsatzbereitschaft und Motivation sei nie abgeklungen, ganz im Gegenteil, sie sei groß wie am ersten Tag. „Wir haben Spezialermittler, die wir teils aus Weilheim und Garmisch-Partenkirchen herangezogen haben und die jeden Tag zwei Stunden nach Rosenheim pendeln und abends wieder zurück, und das seit Wochen“, gibt Heckl Einblick in die Soko.
Ein überzeugtes Nicken erntet Heckl von Karin Walter, Erste Polizeihauptkommissarin und Leiterin der PI Prien, die ihr Haus für die Vernehmungen zur Verfügung gestellt hat – ebenso wie eine ganze Reihe Einsatzkräfte. „Sie machen heute einen zusätzlichen Dienst, die Bereitschaft aus dem Kollegenkreis ist groß, bei der Aufklärung zu unterstützen“, unterstreicht Karin Walter.
Der sehr besondere Dienst-Tag in der PI Prien begann Punkt 8 Uhr mit einer Einsatzbesprechung. Soko-Leiter Hans-Peter Butz, bekannt aus der Sendung Aktenzeichen XY, wo er im Fall Hanna die markante Holzuhr vorgestellt hatte, wie auch Christian Heckl führten in den Vernehmungstag ein. Von 9 Uhr an fanden sich schließlich die einbestellten Eiskeller-Gäste ein – allesamt Zeugen, die sich über das Uploadportal der Kripo Rosenheim gemeldet hatten und am betreffenden Abend im Eiskeller waren.
Großer Aufwand bei den Vernehmungen
Das Prozedere ist an diesem Tag – wie auch bei allen bisherigen „Eiskeller-Vernehmungen“ – immer gleich: Erste Station ist sozusagen ein „Polizei-Fotoshooting“. Hier wird jeder Zeuge von einem Ermittler fotografiert. Und das möglichst in der Original-Bekleidung jenes Abends. Hintergrund: Die Kripo will anhand der Fotos den Vergleich mit den sichergestellten Aufnahmen aus dem Eiskeller anstellen. Um so die Tatnacht rekonstruieren zu können.
Was ebenfalls an der ersten Station erfolgt: eine DNA-Probe via Speicheltest. Zumindest von den Gästen, die sich dazu bereit erklären. „Das ist Standard bei Ermittlungen in Tötungsdelikten, die Daten werden nur für dieses Verfahren verwendet und im Anschluss gelöscht“, erklärt Polizeisprecher Sonntag. „Fast alle waren bis jetzt sehr gerne dazu bereit.“
Im Anschluss geht es für die zumeist jungen Zeugen in die Büros zu den Vernehmerteams, die nach einem von der Soko festgesetzten Fragenkatalog die Befragungen durchführen. Ebenfalls mit vor Ort in Prien: Vertreter der Soko. Sollten sich hochinteressante Erkenntnisse ergeben, können sich die Experten gleich einklinken.
Bis Weihnachten, das ist zumindest das Ziel der Soko, sollen alle Eiskeller-Gäste, die sich bislang gemeldet haben, befragt sein. Dem Ende gehen die Ermittlungen indes noch lange nicht entgegen. Das bekräftigt auch Soko-Vize Christian Heckl: Er rechnet noch mit Wochen und Monaten an Ermittlungsarbeit, bis es zu einer Anklage kommen wird. „Der Fall Hanna ist hochkomplex“, betont er. Was den Fall so besonders macht: die Masse an Personen, die bis zu 800 Eiskeller-Gäste, das weitere Umfeld – und die sichergestellten Datenmengen von etwa 50 Gigabyte.
Mehr als 1800 Personen hat die Soko bereits im Zusammenhang mit dem Fall Hanna erfasst; an die 1000 Vernehmungen wurden geführt, davon etwa 500 in Bezug auf den Eiskeller. „Die Dimension ist enorm“, betont Christian Heckl. Und sie wird sich weiter ausweiten, weiß die Soko-Spitze: Bei nahezu jeder Vernehmung ergeben sich Hinweise auf Personen, die an dem Abend ebenfalls in dem Club waren – und mit denen die Ermittler daraufhin ebenso den Kontakt suchen.
Nicht locker lässt die Soko zudem beim Thema Holzuhr, die in unmittelbarer Nähe von Hannas Ring im Bärbach gefunden wurde. Sie kann nach wie vor nicht zugeordnet werden. „Es ist nach wie vor offen, ob sie der Täter verloren hat oder ob sie rein zufällig dort lag“, sagt Sprecher Sonntag. Ein Baustein der Soko sei es deshalb, die Vertriebswege des Modells der Marke Holzkern, das seit 2019 etwa 1700-mal in die erweiterte Region verkauft wurde, nachzuvollziehen. „Wir versuchen, den Weg jeder einzelnen Uhr zu rekonstruieren.“
Verdächtiger nutzt das Schweigerecht
Weiter offen ist der Verbleib von Hannas Handy. „Das wurde bislang nicht gefunden“, sagt Sonntag. Nach und nach bei Absuchen entdeckt hatte man Hannas Handtasche, die Lederjacke, die sie an dem Abend getragen hatte, und den Ring.
Ein erster großer Teilerfolg gelang den Ermittlern Mitte November mit der Festnahme eines dringend Tatverdächtigen: ein junger Mann aus dem südlichen Landkreis, der in jener Nacht als Jogger unterwegs war. Der Haftbefehl lautet auf Mord. Der junge Mann sitzt seither in Untersuchungshaft und macht seinem Verteidiger Harald Baumgärtl zufolge von seinem Schweigerecht Gebrauch.