Rosenheim/Mühldorf – Zehn Finger und zehn Zehen: Es ist alles dran. Aber 740 Gramm Geburtsgewicht sind wenig – viel zu wenig. Monatelang hängt das Leben der kleinen Lea im Herbst 2019 am seidenen Schicksalsfaden, eine Komplikation oder Not-OP nach der anderen. Und heute? Wer das Mädchen (3) sieht, so gesund, so lebensfroh, so pfiffig, der kommt ins Schwärmen: Was für ein Glück, was für ein Happy-End, was für ein Wunder!
Zuständig für die kleinen und großen Frühchen-Wunder in der Region ist die Perinatalstation des Romed-Klinikums Rosenheim. Dorthin kommen die Kinder und Eltern von weit her, im Fall von Lea vom Tegernsee. In Rottach macht Indre Langenmayr, schwanger in der 27. Woche, in der Nacht auf den 13. September 2019 kaum ein Auge zu, weil der Unterleib schmerzt.
Ehemann Jonas fährt sie am Morgen zum Frauenarzt. Die Fruchtblase muss schon Tage zuvor geplatzt sein, das zeigt der Ultraschall. Jetzt muss es schnell gehen: Rein in den Notarztwagen, ab nach Rosenheim, wenige Stunden später ist Lea da – geholt per Kaiserschnitt, 13 Wochen zu früh, an einem Freitag, den Dreizehnten.
Dass die Kleine nur 740 Gramm auf die Waage bringt, ist ein Problem. Viel dramatischer jedoch: Das Mädchen ist schwer krank, in einem extrem kritischen Zustand. Der Blasensprung hatte zu einer schweren Infektion des noch ungeborenen Kindes geführt, das war ja auch der Grund, der die Ärzte zur Entbindung gezwungen hatte.
Not-OP am
zehnten Lebenstag
Gleich nach der Geburt, noch im Kreißsaal, wird Lea künstlich beatmet, dann auf Station in den Inkubator gelegt. Neben der Infektion bereitet den Ärzten die stark ausgeprägte Unreife der Lunge Sorgen. Am 10. Lebenstag kommt es zu einer akuten, lebensbedrohlichen Verschlechterung durch eine Durchblutungsstörung des Darmes, verursacht durch eine Verdrehung von Darmabschnitten.
Die Kinderchirurgen führen eine sofortige Not-OP durch, legen dem Baby einen künstlichen Darmausgang. Der Zustand bleibt kritisch und erfordert eine weitere Operation, weitere Komplikationen folgen. Nach neun Wochen kann der künstliche Darmausgang in einer dritten OP entfernt werden, endlich. Dann der größte Tag: 8. Januar 2020, Familie Langenmayr darf heim, nach 16 Wochen stationärer Therapie.
Vater Jonas Langenmayr (37) und seine aus Litauen stammende Frau Indre (33) verdienen ihr Geld in der Hotelerie. „Gefunkt“ hat es vor vier Jahren in einem Hotel in London, er arbeitete an der Rezeption, sie kümmerte sich um die Zimmer. Als der Brexit drohte, zog das Paar zum Gründen einer Familie an den schönen Tegernsee – als Urlaubsparadies beruflich ein gutes Pflaster. Dann war Lena auch schon unterwegs, und es wurde geheiratet.
Emotionales
Auf und Ab
Leider aber hat ein Klinik-Aufenthalt nach einer Frühgeburt so viel mit Urlaub zu tun wie die 740 Gramm Leas von einem normalen Geburtsgewicht entfernt sind. Was die Eltern in diesen vier Monaten durchgemacht haben, kann man nur erahnen. „Ein ständiges emotionales Auf und Ab, ein Hin und Her zwischen Hoffen und Bangen“, so beschreibt es der Hotelfachmann, der vier Monate nahezu täglich zwischen Rottach und Rosenheim pendelt.
Extra-Zimmer für die Eltern der Frühchen zum Schlafen oder Entspannen, wie sie jetzt mithilfe der Weihnachtsaktion „OVB-Leser zeigen Herz“ entstehen sollen – das hat es ja nicht gegeben. Immerhin kam Indre Langenmayr im Schwesternwohnheim gegenüber unter – eine willkommene Notlösung, aber natürlich kein Vergleich zu einem gemütlichen Bett in unmittelbarer Nähe, das Kind stets in Griffnähe, zum Stillen, zum Kuscheln, zum Wachehalten. Wie sehr den Frühchen diese Streicheleinheiten unter die Haut gehen, wie gut sie ihnen tun – das ist wissenschaftlich erwiesen.
Mutter Indre kann sich noch gut an die Nächte im Personalwohnheim erinnern. Stundenlang stand sie am Fenster der Gemeinschaftsküche, von dort konnte sie das Zimmer sehen, in dem Lea lag. Wenn dort das Licht anging, und das passierte immer wieder, machte sie das fast rasend vor Sorge und Angst, dass wieder etwas passiert ist mit ihrem Mädchen.
„Wie in Trance, wie in einem Tunnel“ – so hat ihr Mann die harte Zeit in der Klinik erlebt. Zum Beispiel den Moment, als Lea am 13. September auf einem Wagerl mit dem Brutkasten zum wartenden Papa in den Gang hinausgeschoben wurde. Was für ein Augenblick: „Das Herz schlägt, mein Kind lebt, nur das zählt.“ Dann – mit den Tagen, Wochen und Monaten, mit den Komplikationen, Rückschlägen und Notoperationen – kommen die vielen quälenden Fragen: Wird es gesund sein? Werden sich die Organe normal entwickeln? Die Lungen? Das Gehirn?
Wie malt man eigentlich das Glück?
Die Antwort, die Dr. Torsten Uhlig, Chefarzt der Kinderklinik, und Dr. Wolfgang John, Leiter der Neonatologie, heute geben, könnte nicht schöner sein: „Lea geht es inzwischen anhaltend sehr gut, es gab trotz des sehr komplizierten stationären Verlaufes keine bleibenden Schäden oder Beeinträchtigungen.“
Tatsächlich spricht, denkt und lacht Lea wie eine Dreijährige; schaukelt, rutscht und läuft wie eine Dreijährige. Im Oktober kam sie in den Kindergarten – wie viele Dreijährige. Das Mädchen haut mit Wonne auf ihre kleine Trommel, lässt die Hände auf dem Xylophon tanzen. Oder Lea schafft mit Fingerfarben wilde, geheimnisvolle, abstrakte Kunstwerke. Was sie wohl bedeuten? Vielleicht malt man ja genau so das Glück. Oder ein Wunder.
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