„Das ist der Wahnsinn“

von Redaktion

Beschwerden im Querulanten-Ton: Wenn Reichsbürger Behörden drohen und sie einschüchtern

Rosenheim – Sie erkennen den Staat nicht an, erklären ihn für nicht existent. Was aber, wenn Reichsbürger mit eben jenem Staat sehr real in Konflikt geraten? Dann droht die Eskalation, wie auch schon Behörden in der Region Rosenheim feststellen mussten. Ein Einblick.

„Hier erst mal eins vorweg“, trumpft der Briefeschreiber auf. Und dann kommt es knüppeldick: „Alle Behörden in dem Firmenkonstrukt der BRiD GmbH sind nur angemeldete Firmen, so wie Ihre auch.“ Und weiter im Querulanten-Ton: Da das Grundgesetz 1990 von den Alliierten durch die Zwei plus Vier-Verhandlungen ungültig gemacht worden sei, „sind alle gesetzlichen Grundlagen, auf die Sie sich stützen, erloschen!“

Bußgeldbescheide
nicht anerkannt

Die Bundesrepublik nur eine Firma, gültig allein die Gesetze des Deutschen Reiches: Schreiben aus dem Milieu der Reichsbürger mit dieser Argumentation erhält Michael Braun häufig. Er ist Geschäftsführer des Zweckverbands Kommunale Dienste Oberland, der für 150 Städte und Gemeinden, viele davon in der Region Rosenheim, unter anderem den Verkehr überwacht. Das bedeutet, seine Behörde tritt Verkehrssündern auf die Füße. In offiziellem Auftrag.

Weil den die Reichsbürger nicht anerkennen, weisen sie Bußgeldbescheide regelmäßig per Brief, Fax oder E-Mail zurück und drohen ihrerseits Geldbußen in Millionenhöhe an, manchmal zahlbar in Feinunzen eines Edelmetalls. „Jede Woche kommen diese Schreiben“, sagt Michael Braun auf Anfrage der OVB-Heimatzeitungen. „Dieses Jahr sind es schon über 130.“ Ein guter Teil davon kommt aus dem östlichen Bereich des Zweckverbands, nicht zuletzt aus dem Landkreis Rosenheim, wie Braun berichtet. Die Region Rosenheim, eine Reichsbürger-Hochburg: So äußerte sich vor einigen Jahren bereits Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU), zu einem ähnlichen Schluss kommt für Oberbayern Polizeipräsident Manfred Hauser. 800 seien es allein im Bereich des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd mit Sitz in Rosenheim; die Zahlen, so sagt Hauser, die Zahlen „sind im Vergleich schon sehr hoch“.

Und nicht wenige von ihnen neigen dazu, sich Formbriefe aus dem Internet zu laden, um damit Sand ins Getriebe der Behörden zu streuen. Der Zweckverband muss die Schreiben bis zu einem gewissen Grad ernst nehmen. Zumindest so weit, dass sie die Autoren darauf hinweist, dass ihre Einwendungen nicht akzeptiert werden. „Routine“, sagt Braun. Dann geht das Bußgeldverfahren seinen Weg, bis es vor Gericht landet. Wie erst Mitte Dezember am Amtsgericht in Traunstein. Dorthin war ein Handwerker aus Schnaitsee vorgeladen, der in Griesstätt geblitzt worden war. Den Bußgeldbescheid hatte er aber trotz mehrerer Mahnungen nicht beglichen. Er erschien auch nicht vor dem Amtsgericht. Den Richtern war er als Reichsbürger einschlägig bekannt, sie benötigten eine Minute, um zu ihrem Spruch zu gelangen: 60 Tagessätze à 120 Euro, 7200 Euro insgesamt. „Ganz schön viel für ein bisserl zu schnell“, sagt Braun.

Manchmal eskaliert die Angelegenheit aber auch schon direkt vor der Haustür des Zweckverbands, der seinen Sitz in Bad Tölz hat. Braun erinnert sich gut, wie ein Reichsbürger den Namen einer Mitarbeiterin herausfinden konnte und mit Tesa Todesdrohungen an die Glastür am Eingang klebte. „Die Mitarbeiterin war fertig“, sagt Braun, „die musste in der nächsten Zeit ihr Mann in die Arbeit fahren, weil sie Angst hatte.

Was sind das für Menschen, die sich so verächtlich und hasserfüllt vom Staat abwenden? Hans Demmel ist vom Ergebnis der bundesweiten Razzia schockiert. Der in Rosenheim aufgewachsene TV-Produzent, Autor und Medienexperte („Anderswelt. Ein Selbstversuch mit rechten Medien“) findet erschreckend, „wie weit das Phänomen in die Mitte reicht“. Die Berührungsängste schwänden, „die Brandmauern nach Rechts sind sturmreif geschossen“, sagt Demmel. 

Den Reichsbürger an sich, den gibt es jedenfalls nicht. „Das sind nicht nur vereinsamte alte Männer, das können auch Frauen um die 35 sein“, weiß Braun zu berichten.

Öfter mit Reichsbürgern hatte auch Tuntenhausens Bürgermeister Georg Weigl zu tun. Zuletzt hatte er Anfang 2022 einen längeren Fax-Austausch. „Die kommen querbeet aus der Gesellschaft“, sagt er über die Reichsbürger.

Die Hintergründe sind unterschiedlich. Offenbar gleichen sie sich aber in ihren anmaßenden, belehrenden Ton. „Als ich 2014 Bürgermeister wurde, hatte ich bald einen Termin bei einem Reichsbürger“, erzählt Weigl. „Der wollte mich als neuen Amtsträger dann gleich mal unterrichten, wie es läuft.“ Dass die Bundesrepublik eigentlich gar nicht existiere, hat der Bürgermeister nun schon öfter vernommen. „Das ist ein Wahnsinn“, seufzt Weigl.

Polizei
ist gefordert

Weil es mitunter nicht bei trockener Reichsbürgerkunde bleibt, ist auch die Polizei gefordert. Nicht immer so dramatisch wie im Februar 2022, als sie in Rosenheim die Tür zur Wohnung eines Reichsbürger-Strippenziehers auframmte und den Mann zur Vernehmung abholte. Manchmal gibt sie auch nur so etwas wie Geleitschutz.

Denn wenn beispielsweise der Handwerker aus Schnaitsee die 7200 Euro nicht zahlt, kommt irgendwann der Gerichtsvollzieher. Und sollte der Probleme erwarten, bittet er um Amtshilfe. Die die Polizei bereitwillig leistet. „Das ist mittlerweile Standard“, sagt Polizeisprecher Stefan Sonntag.

Denn Gerichtsvollzieher gehören zu den besonderen Feindbildern der Reichsbürger.

Ihnen droht nach den Worten des eingangs zitierten erwähnten Schreibers das „Kriegsgericht“.

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