Aschau im Chiemgau – Anfang Oktober erschütterte ein Gewaltverbrechen die Region: Die junge Medizinstudentin Hanna (23) ist nach einem Besuch des Musikclubs Eiskeller am Fuße der Burg Hohenaschau gewaltsam zu Tode gekommen.
Vernehmungen als
Mammutaufgabe
Der gewaltsame Tod stellte die Ermittler der eigens einberufenen Soko „Club“ vor große Rätsel – und ebenso große Herausforderungen. Gilt es doch, Unmengen an Datenmaterial zu sichten und Zeugen zu vernehmen. Die Polizei will in diesem Zusammenhang unter anderem mit allen Eiskeller-Gästen des besagten Abends sprechen – bei geschätzt 800 Gästen eine Mammutaufgabe. Wobei die Soko in diesem Zusammenhang bereits groß Fortschritte verbuchen kann. Stand 28. Dezember haben die Ermittler bereits über 600 Gäste ausfindig gemacht und vernommen. Unter anderem auch bei groß angelegten Sondervernehmungstagen.
Etwas über 150 Personen, die an dem Abend im Club feierten, können bislang indes noch nicht zugeordnet werden. Diese Zahl nannte Polizeisprecher Stefan Sonntag auf OVB-Anfrage. Ziel der Soko sei es nun, die noch verbleibenden Gäste im neuen Jahr ausfindig zu machen und zu vernehmen. „Ein Großteil konnte aber noch vor Weihnachten erledigt werden“, sagt Sonntag. „Wir sind damit auf einem guten Weg und befinden uns zumindest in diesem Bereich im Endspurt“, ergänzt der Polizeisprecher.
Soko-Mitarbeiter
reduziert
Entsprechend wurde nun zum Jahresende die Soko von zuletzt 50 auf 34 Ermittler reduziert. „Weil gewisse Bereiche, wie die Vielzahl an Vernehmungen, erledigt sind“, erklärt Sonntag. Kripo-Mitarbeiter mit langen Anfahrtswegen, darunter Kollegen aus Weilheim, Mühldorf oder Traunstein, seien nun zurück an ihren Stammdienststellen. Sie hinterlassen eine stolze Bilanz: Über 1000 Vernehmungen und Befragungen hat die Soko in den vergangenen drei Monaten durchgeführt.
Die Soko-Arbeit ermittelt nun weiter. Auch Profiler Alexander Horn von der Operativen Fallanalyse in München (OFA) bleibt mit an Bord. „Wir sind noch weit entfernt von einer Zielgeraden“, sagt Sonntag, der die hochkomplexe Ermittlungsarbeit im Fall Hanna mit einem Marathonlauf vergleicht – „das ist kein Sprint.“
Schwerpunkte sind nach wie vor die Auswertung der immensen Datenmenge (etwa 50 Gigabyte), die im Club und aus Überwachungskameras im Umfeld sichergestellt wurde, und die Spuren, die zur im Bereich des Kampenwandparkplatzes gefundenen Holzuhr führen könnten. Die Ermittlungen hatten ergeben, dass etwa 700 Holzuhren des betreffenden Modells der Marke Holzkern in die erweiterte Region verkauft worden waren.
All diesen Spuren gehen die Ermittler nun nach – um so den Verbleib jeder einzelnen Uhr rekonstruieren zu können. „Das läuft alles und ist natürlich sehr zeitaufwendig“, gibt Stefan Sonntag Einblick in die Ermittlungen.
Festnahme ein
erster Meilenstein
Ein erster Meilenstein im Fall Hanna gelang der Kripo Mitte November mit der Festnahme eines Tatverdächtigen. Der junge Mann, zuvor als Zeuge gesucht, der nachts durch Hohenaschau gejoggt war, befindet sich nun seit rund sechs Wochen in Untersuchungshaft.
Noch am Abend nach der Festnahme war die Wohnung des Tatverdächtigen durchsucht worden. Die Kripo stellte dabei zahlreiche Gegenstände sicher. Deren Auswertung gestaltet sich sehr zeitaufwendig. Polizeisprecher Sonntag zufolge dauern die kriminaltechnischen Untersuchungen der sichergestellten Gegenstände, darunter eine Vielzahl an Kleidungsstücken, weiter an. „Das ist Feinstarbeit, da Zentimeter für Zentimeter untersucht werden muss. Das bedeutet bei etlichen Kleidungsstücken viele Wochen Arbeit.“
Tatverdächtiger
weiter in U-Haft
Der festgenommene junge Mann, der seitens der Polizei als „dringend tatverdächtig“ bezeichnet wird, befindet sich seit seiner Festnahme in U-Haft – auch über die Weihnachtsfeiertage. Er macht weiter von seinem Schweigerecht Gebrauch. Regelmäßig in Kontakt mit ihm steht sein Verteidiger, Rechtsanwalt Harald Baumgärtl aus Rosenheim. Wie es dem jungen Mann geht? „Es gibt keinen, dem es in Haft gut geht, man muss sich ja nur Boris Becker ansehen“, meint Baumgärtl dazu nüchtern. Nur so viel verrät der Strafverteidiger: „Die Familie steht hinter ihm.“
Baumgärtl selbst hat sich im Fall Hanna über die Feiertage viel vorgenommen: Wenige Tage vor Weihnachten war er noch von der Staatsanwaltschaft mit weiteren Akten bedacht worden – summa summarum über 1000 Seiten. „Die werde ich nun durchforsten.“ Dabei immer im Blick: Ob es Ansätze für eine mögliche Haftprüfung gibt. Ob dieses Mittel infrage kommt, will der Strafverteidiger nach Durchsicht der Akten entscheiden. Denn: Ein Antrag auf Haftprüfung kann nur alle drei Monate gestellt werden. „Man sollte deshalb schon genug Pulver im Lauf haben“, sagt Baumgärtl.
Nachforschungen
gehen 2023 weiter
Mit einem baldigen Abschluss der Ermittlungen rechnet der Strafverteidiger nicht. „Ich gehe davon aus, dass wir erst im Spätfrühjahr eine endgültige Bewertung haben werden“, sagt Baumgärtl gegenüber dem OVB. Eine Zeitschiene, die sich mit der Einschätzung der Kripo deckt. Wobei sich Polizeisprecher Sonntag den Zeitrahmen offen hält: „Die Monate Januar und Februar sind für die Soko schon mal fix, es kann aber auch noch länger dauern, bis alles abgearbeitet ist.“ Denn die Soko „Club“ hat sich ein klares Ziel gesetzt: Abgeschlossen wird der Fall erst, wenn jede noch so kleine Spur verfolgt und bis in Detail ausermittelt ist.