Raubling – Es fiel der Schnee auf sie, es brannte die Sommersonne, es fiel das Herbstlaub, dann jüngst schon wieder Schnee, der kurzerhand wieder abgetaut ist. Geradezu idyllisch präsentiert sich die Behelfsbrücke, die bei Reischenhart über die Inntal-Autobahn führt, unberührt, still, mal eingemummelt in ihr weißes Winterkleid, mal schnöder, blanker Beton. Ein Hort der Ruhe über dem unablässigen Strom des Verkehrs auf der A93. Eine Brücke, über die nichts fährt, noch geht. Ein Biotop.
Dabei sollte sie schon gar nicht mehr dort stehen. Behelfsbrücke – das bedeutet Improvisation, mit Bleiberecht nur so lange, als die alte „richtige“ Brücke abgerissen und die neue „richtige“ Brücke wieder hochgezogen wäre. Was überfällig ist. „Die neue Brücke hätte eigentlich bereits fertig sein sollen“, bestätigt Josef Seebacher von der Autobahndirektion Südbayern, die den Bau in Auftrag gegeben hat.
Prüfstatiker stellte
Mängel fest
Das Problem an der ganzen Angelegenheit: Die Behelfsbrücke taugt nicht. Jedenfalls nicht zum ständigen Drüberfahren. Und über diesen Mangel grübeln nun alle Beteiligten, vor allem aber der mit dem Brückenbau beauftragte Konzern – es handelt sich um die Strabag – und sein Subunternehmer, der Ersatzbrückenbauer. Und da geht es nicht nur ums Bauen, es geht auch um Verträge.
Und es geht natürlich auch um die Frage: Was tun? Abreißen oder ausbessern? Was ist machbar, was ist günstiger? Es ist nicht so, dass die Ersatzbrücke das Gewicht des Verkehrs nicht tragen könnte. Die Frage wäre, wie lange sie das schaffen würde. Das Material könnte an bestimmten Stellen mürbe werden, der Stahl spröde. Und dann könnte er brechen.
40, 45 Meter lang ist die Brücke von Widerlager zu Widerlager, in der Mitte hat sie eine Stütze. Man kann sich vorstellen, wie der Verkehr die verhältnismäßig leichte Konstruktion in Schwingungen versetzt. Immer und immer wieder. „Sie können sich das vorstellen wie einen Draht“, erklärt Josef Seebacher. „Da könnten Sie einen Elefanten dranhängen, und der würde halten. Wenn Sie ihn aber 20-mal hin- und herbiegen, bricht der Draht irgendwann.“
Und genau diese Gefahr hat der unabhängige Prüfstatiker bei Abnahme des Lückenbüßers erkannt. „Sicherheit geht auf jeden Fall vor“, sagt Seebacher. Heißt in diesem Fall: Die in die Jahre gekommene alte „richtige“ Staatsstraßen-Brücke muss vorerst weiter Dienst tun.
Die Autobahndirektion hofft noch immer, dass sie ihren Zeitplan einhalten kann. Das heißt: den neuen Zeitplan nach der Verzögerung im Jahr 2022. Das würde bedeuten, dass sich Baukonzern und Behelfsbrücken-Subunternehmer demnächst einigen müssten. „Wenn wir im April oder Mai anfangen würden, könnte die neue Brücke bis zum Spätherbst stehen“, sagt Seebacher.
Das Wetter müsste
halt mitspielen
Freilich versieht der Sprecher der Direktion diese Auskunft mit Fragezeichen – das Wetter zum Beispiel kann dem pünktlichsten Straßenbauer einen Strich durch die Rechnung machen. Wenn es im November zu kalt oder feucht ist, kann der schützende Belag nicht aufgebracht werden. Dann könnte später Wasser einsickern. Den Betonfraß gerade durch salziges Winterwasser scheut der Bauingenieur wie der Teufel das Weihwasser. Dann also könnte es doch noch länger dauern.
Trennung von den
Partnern?
Wenn sich aber die beiden Bau-Partner nicht einigen, wenn Strabag nicht rechtzeitig eine Lösung anbieten kann? Dann würde sich der Bau auf jeden Fall um ein Jahr verzögern. Die Autobahndirektion hat irgendwann, wenn die Frist zur Nachbesserung verstrichen ist, die Möglichkeit, sich von ihren Partnern zu trennen und die Angelegenheit auf neue Füße zu stellen. Aber „das wäre die Ultima Ratio“, wie Seebacher zögernd sagt.
Der Widerwillen der Autobahndirektion gegen den Bruch mit dem Partner ist nachvollziehbar. Erstens haben die Bayern mit der Baufirma an sich gute Erfahrungen. Denn es ist ja auch nicht irgendeine Zehn-Mann-Baukolonne, sondern die Strabag, Österreichs größter Baukonzern. Zweitens würden absehbar juristische Streitigkeiten drohen.
Drittens wäre der rechtzeitige Baubeginn im Frühling damit wohl endgültig vom Tisch. Zwischen Ausschreibung und Baustart könne schon mal ein halbes Jahr liegen, sagt der Sprecher der Autobahndirektion. Und dann ist es ja nicht so, dass zurzeit Behelfsbrücken auf Halde liegen. In einer Zeit, da von Fahrradteilen bis zu Antibiotika alles knapp geworden ist, in der aus Russland und der Ukraine weniger Baustahl als in früheren Zeiten kommt, verwundert Seebachers Auskunft kaum: „Behelfsbrücken sind Mangelware. Da gibt es Wartezeiten von bis zu einem Jahr.“
Also hofft die Autobahndirektion. Darauf, dass sich die beiden einigen. Und dass eine Nachbesserung möglich ist. Etwa durch Stahlfachwerk auf der Brücke, das die Träger darunter versteift und stärkt. Ansonsten droht ein Fall, ähnlich dem des Berliner Flughafens. „Da hat man auch erst mal allen Firmen gekündigt, und dann wussten die neuen Vertragspartner nicht, wie es weitergeht.“ Noch haben alle Beteiligten ein paar Wochen Frist. „Das Signal muss schnell kommen“, sagt Seebacher. „Der Prüfstatiker braucht schließlich auch noch Zeit.“
Die Strabag bleibt wortkarg. Verständlich angesichts des Risikos für die Reputation eines Global Players. Die Entscheidung hänge an „verschiedenen Faktoren“, teilt eine Sprecherin auf die jüngsten OVB-Anfragen mit. Man befinde sich weiterhin „in der Abklärung“.