Staatsanwaltschaft arbeitet am Limit

von Redaktion

Flut von Verfahren macht Traunsteiner Anklagebehörde zu schaffen – Zu wenig Personal

Traunstein/Rosenheim – Angesichts der Steigerung der Verfahrenszahlen in den vergangenen Jahren bräuchte die Staatsanwaltschaft Traunstein mit ihrer Außenstelle Rosenheim gut 21 zusätzliche Staatsanwälte sowie etwa 13 Stellen im Servicebereich, wenn es nach „Pebbsy“ geht, dem bundesweiten Personalbedarfsberechnungssystem. Leitender Oberstaatsanwalt Dr. Wolfgang Beckstein betonte, seine Leute arbeiteten am Limit: „Ansonsten würden haufenweise Mörder, Vergewaltiger, Kinderschänder, Schleuser, Dealer und andere Verbrecher frei herumlaufen und weiterhin ihr Unwesen treiben.“

Schleusungen und Kinderpornografie

Der Leiter der Anklagebehörde begründete die übermäßige Belastung mit einer Zunahme um 210 Prozent zwischen 2019 und 2022 bei Schleusungsdelikten, einem Plus von 289 Prozent bei Kinderpornostraftaten, von 260 Prozent bei Geldwäschedelikten und von 154 Prozent bei Ausländerstraftaten. Der Bezirk der Staatsanwaltschaft Traunstein umfasst die Landkreise Altötting, Berchtesgadener Land, Mühldorf, Traunstein sowie Stadt und Landkreis Rosenheim. Bei den Ausländerdelikten lägen derzeit weitere 6800 Verfahren bei der Polizei „auf Halde“, dazu 2000 Drogenverfahren.

Zuständig für die „Balkanroute“

Das große Problem ist nach Dr. Beckstein die berüchtigte „Balkanroute“, die in Freilassing ende. Seien 2015, als die „Balkanroute“ bereits eine wesentliche Rolle bei der organisierten Schleuserkriminalität spielte, noch vorwiegend Familien nach Deutschland geflüchtet, kämen jetzt in erster Linie „allein reisende junge Männer“: „Sie müssen möglichst genau registriert werden, sind sie doch in allen Ländern Westeuropas bei Straftaten überrepräsentiert“, so Beckstein.

Seit Oktober 2022 sei ein massiver Anstieg der Schleuserdelikte im südostbayerischen Raum zu verzeichnen, so der Behördenchef. Man werde von dem Illegalenstrom über die Balkanroute regelrecht „überrollt“. Hauptgrund sei, dass Serbien Fluchtwillige visumsfrei weiterziehen lasse. Die meisten reisten nicht wie früher per Pkw oder Lkw in die Bundesrepublik, sondern per Zug. Durch Freilassing führen rund 160 Züge pro Tag. Die Bundespolizei versuche, jeden Zug zu kontrollieren.

Bei der Staatsanwaltschaft Traunstein sei seit 1. Oktober 2022 ein Kollege der Generalstaatsanwaltschaft München tätig. Eine zusätzliche Geschäftsstelle habe ihren Sitz in Rosenheim bezogen. Außerdem helfe die Staatsanwaltschaft Deggendorf beim Bewältigen eines Teils der 1585 neuen Verfahren aus. „Ohne Hilfe von außen wären wir in anderen Bereichen untergegangen, waren doch die Steigerungen zu hoch“, so der Leitende Oberstaatsanwalt.

2022 hat seine Behörde insgesamt 51000 Verfahren gegen namentlich bekannte Täter geführt, dazu knapp 20000 Ermittlungsverfahren gegen Unbekannte. Zum Vergleich: Zwischen 2019 und 2021 waren es pro Jahr im Schnitt zwischen 45000 und 46000 Verfahren.

„Schockanrufe“ sind nach Dr. Beckstein ein Teil der Organisierten Kriminalität (OK). Im Jahr 2022 habe „seine“ Staatsanwaltschaft in Prozessen gegen zwölf Täter insgesamt 63 Jahre und vier Monate an Freiheitsstrafen erwirkt. Die höchste Einzelstrafe habe zehn Jahre Gefängnis betragen. Die Callcenter befänden sich zumeist in Polen und in der Türkei.

Man versuche, nicht nur die Abholer als letztes Glied der Kette zu erwischen, sondern auch an die Hinterleute zu gelangen. Aus Telefonüberwachungen sei bekannt, dass die Banden den Freistaat inzwischen scheuten: „Ein Täter wollte von der Bande einen Risikozuschlag haben, wenn er nach Bayern fährt.“ Die Staatsanwaltschaft Traunstein sei besonders belastet, weil sie bundesweit Verfahren zusammenziehe. Das so genannte „Traunsteiner Modell“ sei mittlerweile in vielen anderen Bezirken eingeführt worden.

Sonderschichten wegen G7-Gipfel

Weitere Belastungen bedeuteten zum Beispiel Sonderschichten wie beim G7-Gipfel oder kürzlich bei „Makkabi“, den jüdischen Winterspielen in Ruhpolding. Extrem viel Zeit benötigten große Ermittlungsverfahren wie zum Eiskeller-Mord in Aschau, zu dem toten Säugling in Ruhpolding, zu der Vergewaltigung in Obing oder zu dem Kindsmissbrauch durch einen Busfahrer aus Waldkraiburg. Ein Teil der Verfahren sei schon vor Gericht.

Nicht zu vergessen sind laut Dr. Beckstein die „Altfälle“: „Wir überprüfen immer wieder, ob durch technische Neuentwicklungen und neue Untersuchungsmethoden die Aufklärung gelingen kann. DNA kommt dabei die größte Bedeutung zu. Wir fordern, Genmaterial jetziger Straftäter, soweit rechtlich zulässig, in die bundesweite DNA-Kartei einzuspeisen.“

Unbezahlte Überstunden

Alle 135 Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft, davon 30 in Rosenheim, seien extrem gefordert: „Ich ziehe den Hut vor allen, die nicht nachlassen – obwohl man Freizeit verdient hätte, kein Freizeitausgleich erfolgt und Überstunden nicht bezahlt werden. Ihr Einsatz und ihr Verantwortungsbewusstsein sind unter Hintanstellung privater Belange phänomenal.“

Tatverdächtiger schweigt weiterhin

Mehr als ein Vierteljahr ist seit dem gewaltsamen Tod einer Studentin in Aschau im Chiemgau vergangen. Ein Heranwachsender, der unter Tatverdacht in Untersuchungshaft sitzt, schweigt weiterhin. Der Mann habe in der Sache bislang keine Angaben gemacht, sagte der Pressesprecher des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd, Stefan Sonntag.

„Der ganze Fall ist außergewöhnlich aufwendig von den Ermittlungen her“, so Sonntag weiter. Er hofft, dass in einigen Wochen die Soko „Club“ den Großteil ihrer Arbeit getan haben werde. Noch immer umfasst die Sonderkommission
30 Beamte.

Die Ermittler suchen auch weiter nach dem Besitzer einer hölzernen Armbanduhr, die in einem Bach unweit des Nachtclubs gefunden worden war. In der Nähe der Uhr war auch ein Ring entdeckt worden, den die junge Frau getragen hatte. „Es gibt 1700 Uhren dieses Modells, die verkauft wurde. Wir versuchen den Weg jeder einzelnen Uhr zu rekonstruieren und herauszufinden, bei wem sie gelandet ist“, sagte Sonntag.

Artikel 1 von 11