Rosenheim – Mörder, Vergewaltiger, Brandstifter, Kinderschänder. Das Kommissariat 1 am Polizeipräsidium Oberbayern Süd in Rosenheim ermittelt in schlimmsten Verbrechen. Mancher würde sagen: Es führt einen Kampf gegen das Böse. Werner Vormann (60) kann mit so markigen Sprüchen nichts anfangen. 30 Jahre lang war er dabei, 20 Jahre als Leiter. Jahrzehnte, in denen er immer wieder in die Abgründe der Menschen blickte. Doch Vormann sagt: „Kein Mensch ist durch und durch nur böse.“
Dieser Optimismus war womöglich Vormanns Berufsgeheimnis. Nicht nur, weil er ihn davor bewahrt hat, bitter und zynisch zu werden. Sondern auch, weil ihm der Glaube ans nicht nur Schlechte im Menschen geholfen hat, seinen Job zu machen. „Man muss ein Menschenfreund sein, sonst kann man nicht mit Menschen umgehen.“
Das sagt er zu den Voraussetzungen für einen guten Ermittler. Schon, weil man sonst keinen Draht zueinander findet. Nicht im Team, aber auch nicht zum Verdächtigen: „Man muss bei Vernehmungen erstmal Vertrauen aufbauen.“ Erst das Vertrauen löst in vielen Fällen die Zungen. Und so sagt Vormann: „Jeder Mensch hat seine Würde. Und diese Würde muss man auch wahren. So ist unser Rechtsstaat.“ Wenn er der Good Cop war – gab‘s dann den Bad Cop? „Habe ich nie erlebt“, sagt er. Funktioniere wahrscheinlich auch nicht so gut, wie Drehbuch-Autoren immer schreiben.
Spektakuläre
Kriminalfälle
Die Rosenheimer K1-Leute hatten mit einigen der spektakuläreren Fällen in Bayern in den vergangenen 20 Jahren zu tun. Bei Tötungsdelikten mit einer Aufklärungsquote von 100 Prozent. „Das war immer in erster Linie mal die Leistung des Teams“, betont Vormann. Aber wichtig war immer wieder auch sein spezieller Beitrag auf der Schlussgeraden – bei der Vernehmung, wenn er den Verdächtigen „knackte“ oder besser: überzeugte.
Etwa im Fall des ermordeten Rentner-Ehepaars Rauch 2014 in Aschau. Stunde um Stunde unterhielt er sich mit dem Tatverdächtigen. Der andere Beamte bei der Vernehmung habe schon die Nacht davor nicht geschlafen, erinnert sich Vormann. Irgendwann war er logischerweise erschöpft. Und da sprang Alexander Horn ein. „Das war ein perfektes Miteinander. Wir haben uns ergänzt, es war die reine Freude“, sagt Vormann über das Duett mit Horn, der in Rosenheim anfing und jetzt als Profiler über die Grenzen Deutschlands hinaus Anerkennung genießt. Jedenfalls redete der Verdächtige am Ende. Oder vielmehr: Er schrieb. „Es war schließlich zu viel, auch zu viel für ihn selbst“, erinnert sich Vormann.
Vormann spricht auch über Widerstandskraft gegen Stress. Darüber, wie man Abstand wahren muss, um die berufsbedingte Nähe zu Verbrechen, Tätern und Opfern aufzubauen. „Man muss mitfühlen können, darf aber nicht mitleiden“, findet er. Das muss, man ahnt es, mitunter schwierig gewesen sein. Beim Eisenbahnunglück 2016 in Bad Aibling gehörte er zu den Ermittlern. Das habe ihn sehr berührt – vor allem der Kontakt mit so vielen leiderfüllten Angehörigen. Oder, wenn Kindern Leid widerfährt. „Besonders schlimm“, sagt er. Er erinnert sich an einen Fall in Soyen, als zwei Buben an einem umgestürzten Wurzelstock spielten. Auf einmal kippte der Wurzelstock und begrub einen der beiden unter sich. Als die Rettungskräfte eintrafen, hatten Angehörige schon angefangen, mit den Händen nach dem verschütteten Buben zu graben. Erfolglos. Die Rettungskräfte mussten in dem schwierigen Gelände mit Flaschenzug und Seilwinden ran. Und konnten doch das Leben des Buben nicht retten.
Manchmal prägte sich auch die schiere Tragik ein. Er erinnert sich, wie sich ein junger Tscheche in den 90er-Jahren in der U-Haft in der JVA Bernau das Leben nahm. Er war bezichtigt worden, bei der Vergewaltigung einer jungen Frau beteiligt gewesen zu sein. Zu Unrecht, wie sich herausstellte. Der Mann aber wusste offenbar nicht, dass U-Haft noch keine Verurteilung bedeutet und sah sich in aussichtsloser Lage. „Vielleicht hätte man ihm besser helfen müssen“, sinniert Vormann. Vormann kann in Fahrt geraten, wenn er von Katz- und Mausspielen mit Verdächtigen spricht. Er erzählt lebhaft und anschaulich, nicht nur in Worten, sondern auch mit den Händen. Die Geschichten sind tragisch. Aber auch spannend.
Und so verfolgt man die Storys wie die TV-Zuschauer die „Tatort“-Krimis. Die sich Vormann übrigens nicht ansieht. „Zu grausam“, sagt er.
Vielleicht auch zu übersichtlich, oder zu kompakt. In Wirklichkeit kann sich‘s ziehen. Und zwar sehr lange. Wie 1999, als die Leiche einer Frau am Gletschergarten-Parkplatz gefunden wurde. Die Tote vom Inntal war bald als Tschechin identifiziert. Aber vier Jahre lang sollte es dauern, bis der Täter ermittelt war – ein Lastwagenfahrer, aus der früheren DDR stammend, mittlerweile in Österreich ansässig.
Vormann hatte schließlich den Einfall gehabt, sich auf die „Rollende Landstraße“ über den Brenner zu konzentrieren und hatte so die Ermittlungen eingrenzen können. Die Polizei nahm den Verdächtigen schließlich an der Raststätte Samerberg fest. Da hatte sich Vormann schon intensiv in die Persönlichkeit des Mannes eingearbeitet und herausgefunden, dass er schon in der DDR wegen Sexualdelikten hinter Gittern gewesen war.
Vormann konnte dem Täter das Geständnis abringen – und noch mehr: Der Lkw-Fahrer entpuppte sich als Serienmörder mit mindestens drei Opfern. Stolz sei er nicht, sagt Vormann, „eher froh. Stellen Sie sich vor, Sie sehen immer diese Aktenschränke mit hunderten Leitz-Ordnern und haben das Gefühl, dass da irgendwo die Lösung begraben sein kann.“
Kapitel Polizei ist
nun abgeschlossen
Vorbei, das Kapitel Polizei hat Vormann nun abgeschlossen. Schon beim Mordfall Hanna in Aschau im Chiemgau sei er nur noch ganz am Anfang dabei gewesen, Schritt für Schritt zog sich der Ermittler aus dem Tagesgeschäft zurück. Künftig will er malen und zeichnen. „Ich hab das als Schüler schon gemacht, ich hab da Talent“, behauptet er.
Und kramt auch dazu eine Geschichte aus dem Polizeidienst hervor, ein letztes Mal vor den Gedanken an viel Freizeit. Also, die Polizei fahndete seinerzeit nach einem Sextäter. Dessen wichtigstes Merkmal konnte der Polizeizeichner mit seinem PC-Programm nicht aufs Papier bannen – den Tunnel im Ohr, vom Pflock im Ohrläppchen verursacht. „Das Ohr zeichnete also ich“, sagt Vormann und lacht. „Und am Ende fahndeten wir tatsächlich mit meinem Werk.“
Werner Vormann hat in seinem Leben als Ermittler viel erlebt. Und Rosenheims Polizei hat immer wieder auch bayerische Polizeigeschichte geschrieben.