Weinende Menschen vor dem Rathaus

von Redaktion

Lawinendrama von Gerlos (3) Stundenlang quälende Ungewissheit

Bürgermeister Hans Falter bemühte sich am Unglückstag, gesicherte Informationen aus Tirol zu bekommen.Hadersbeck

„Vom schwersten Tag“ unserer Gemeinde sprach Vizebürgermeister Josef Riedl.Hadersbeck

Bad Aibling/Gerlos – Wie ein Lauffeuer verbreitete sich in Bad Aibling die Nachricht von dem schrecklichen Lawinenunglück in Gerlos, bei dem zehn Mitglieder der örtlichen DAV-Sektion ihr Leben verloren.
Bis Bürgermeister Hans Falter an diesem Tag Kenntnis über gesicherte Fakten erhielt, dauerte es ziemlich lange.

Es war Sonntagnachmittag, als die ersten Nachrichten über das dramatische Geschehen über den Äther liefen. Die Kunde von der Tragödie in den Tiroler Bergen verbreitete sich wie ein Lauffeuer in der ganzen Stadt. Am frühen Abend hatte sich bereits eine große Menschenmenge vor dem damals noch in der Bahnhofstraße befindlichen Rathaus versammelt, um neueste Informationen aus Gerlos zu erhalten.

Verzweiflung
in den Gesichtern

Darunter befanden sich auch viele Angehörige von Fahrtteilnehmern, die sich im Morgengrauen mit dem Bus auf den Weg ins Zillertal gemacht hatten. Verzweiflung und Hoffnung machten sich in den Gesichtern der Wartenden breit, Tränen flossen. Am schlimmsten war für viele der Wartenden die quälende Ungewissheit über das Schicksal ihrer Lieben. Nicht zuletzt deshalb, weil nach Medienberichten von einst Bayern 3 im Verlauf des Nachmittags Namen von Toten genannt hatte.

Eine offizielle Bestätigung gab es zu diesem Zeitpunkt freilich nicht – nicht zuletzt aufgrund der damals im Vergleich zu heute sehr eingeschränkten Kommunikationsmittel. Wenig Telefonanschlüsse in Privathaushalten, kein Handy, keine Online-Kanäle, über die sich solche Nachrichten heute in Windeseile verbreiten. Bürgermeister Hans Falter hatte beispielsweise von einem Aiblinger, der einen Angehörigen bei dem Lawinenunglück verloren hatte, von der Katastrophe erfahren und eilte sofort ins Rathaus. Ab 17.30 Uhr brannte Licht in seinem Amtszimmer. Er bemühte sich unablässig um gesicherte Erkenntnisse.

Telefonverbindungen
dauerhaft blockiert

Ein sehr schwieriges Unterfangen, weil die wenigen Telefonverbindungen nach Tirol praktisch dauerhaft blockiert waren. Nicht zuletzt deshalb, weil nach den ersten Rundfunkmeldungen einige Angehörige der Skitourengeher auf eigene Faust versucht hatten, dort aus erster Hand Informationen über das Schicksal ihrer Lieben zu bekommen. Traurige Gewissheit über das ganze Ausmaß des Dramas erhielt das Stadtoberhaupt erst kurz vor Mitternacht, als ein Bus vor dem Rathaus vorfuhr. Außer dem Fahrer war nur der damals 46-jährige Verwaltungsangestellte Sebastian Dengler an Bord. Wie berichtet, ging er zum Unglückszeitpunkt als sogenannter Spurenleger der Bergsteigergruppe voraus und hatte sie noch vor der Lawine gewarnt, als sich die Schneemassen oberhalb der Tourengeher im Bereich der Braunellkögel in Bewegung setzten.

Dengler war von den Überlebenden, die zu später Stunde in die Kurstadt zurückkehrten – Tourenleiter Helmut Maier war ums Leben gekommen –, zu deren Sprecher ernannt worden. Den Bus mit den Heimkehrern hatte man bewusst zur Ausstellungshalle umgeleitet, wo der Rest der Insassen ausstieg. Auf diese Weise sollten sie auch vor den Fragen von wartenden Reportern geschützt werden, deren Anzahl vor dem Rathaus im Verlauf des Abends stetig stieg.

Auch die Polizei war vor Ort – einerseits, um Eskalationen auf der Straße zwischen Aiblingern und Journalisten zu verhindern, andererseits, um den Bürgermeister in seinem Bemühen um gesicherte Fakten zu unterstützen. Im Verlauf des Abends kam auch Zweiter Bürgermeister Josef Riedl ins Rathaus, der später Falter im Amt beerbte. „Das ist der schwerste Tag unserer Gemeinde. Wir fühlen alle mit den Angehörigen“, sagte er zu einem der wartenden Journalisten.

Rangelei vor
dem Rathaus

Ganz konfliktfrei verlief die Begegnung zwischen den Wartenden und der Schar der Medienvertreter an diesem Abend nicht. Darüber berichtet der Mangfallbote in seiner Ausgabe vom 6. Februar. „Dennoch kam es vor dem Rathaus zu einer Rangelei, als wartende Aiblinger auswärtige Reporter angingen, deren Neugierde ihnen offenbar auf die Nerven ging“, schreibt Hans Kink auf einer Sonderseite der Heimatzeitung, die neben vielen Berichten im Lokalteil über das Unglück im Mantelteil der Zeitung erschien.

Um 19 Uhr wurden die Gottesdienstbesucher in der Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt über das Ausmaß der Katastrophe informiert. Hans Holzner, damals junger Kaplan und später langjähriger Stadtpfarrer in Bad Aibling, berichtete von der Tragödie und rief die Gläubigen zu einem gemeinsamen Gebet für die Opfer auf.

Bürgermeister ordnet
Trauerbeflaggung an

Angesichts des schweren Leids, das von einer Sekunde auf die andere über einige Aiblinger Familien hereingebrochen war, und der großen Betroffenheit vieler Stadtbewohner, die das Lawinenunglück ausgelöst hatte, ordnete die Staatsregierung Trauerbeflaggung an. Bürgermeister Falter kündigte an, die Stadt werde sich mit einem Trauerakt von den ums Leben gekommenen Mitbürgerinnen und Mitbürgern verabschieden.

Bereits einen Tag nach dem tragischen Unglück trafen die ersten Kondolenzschreiben in Bad Aibling ein, in denen Fassungslosigkeit über das Geschehene und Mitgefühl mit den Angehörigen bekundet wurden. Auch Ministerpräsident Alfons Goppel schickte ein solches Schreiben an die DAV-Sektion Bad Aibling. „Zu dem tragischen Lawinenunglück im Zillertal, bei dem am Sonntag zehn Mitglieder Ihrer Sektion den Tod gefunden haben, spreche ich Ihnen und den Angehörigen der Opfer im Namen der Bayerischen Staatsregierung und persönlich meine tiefe Anteilnahme aus“, schrieb Goppel.

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