Wasserburg – Mit neun Oscar-Nominierungen liegt die Neuverfilmung von „Im Westen nichts Neues“ sogar noch vor der Top Gun-Fortsetzung „Maverick“ mit Tom Cruise. Zum ersten Mal überhaupt wurde ein deutscher Film in der Kategorie „Best Picture“ nominiert. Hoch gehandelt wird der Film auch in Großbritannien: Für die höchst angesehenen Bafta-Awards wurde der Film 14-mal nominiert.
Ein Assistent,
der viel zu sagen hat
„Unglaublich ist das, unfassbar“, sagt Benedict Hoermann. Der 47-Jährige ist in Wasserburg geboren, hat in der Region vor über 20 Jahren seine ersten Schritte in die Welt des Films getan. Er ist sozusagen der Beitrag des Landkreises Rosenheim im Rennen um die angesehensten Filmpreise des Jahres 2023. Er war der Regie-Assistent der Produktion.
Ein Assistant Director – Hoermann bevorzugt die englische Bezeichnung – ist kein Zuarbeiter des Regisseurs. Er ist vielmehr so etwas wie der Dreh- und Angelpunkt einer Produktion. Er bildet ihr organisatorisches Rückgrat, strukturiert und koordiniert federführend Vorbereitungen und Abläufe am Set. Er ist die Schaltstelle, die Regisseur, Produktion und die verschiedenen Bereiche verbindet. Und er sieht zu, dass das Team das beste künstlerische Ergebnis erzielt – innerhalb des Etats und des Rahmens, den Sicherheitsanforderungen und Arbeitsrecht vorgeben.
Er sei so etwas wie ein Logistiker, sagt Hoermann, aber einer, der auch in kreativer Hinsicht auf der Höhe sein müsse. Stressresistenz, Einfühlungsvermögen, Improvisationstalent und Allgemeinbildung, wirtschaftliches Denken und künstlerische Vorstellungskraft – das alles vereint sich in der Stellenbeschreibung für einen Assistant Director.
Auf das Wort von Hoermann hören bei einem Mega-Set wie dem von „Im Westen nichts Neues“ gut 500 Menschen – Techniker, Schauspieler, Komparsen und viele mehr. Eine kleine Armee, sozusagen. Geführt nach internationalen Standards, nicht so sehr nach altem deutschem Herkommen, das dem Regisseur eine Rolle zwischen großem Zampano und Original-Genie zudachte. Film sei auch Industrie, sagt Hoermann. Erst recht bei so einem Aufwand, mit Gräben, Panzern und Maschinengewehren. Und Flammenwerfern. Hohe Anforderungen an die Sicherheits, sagt Hoermann, „wir stellen drei Stuntmen ab als Aufpasser für jeden Mann, der brennt“.
Ein durch Fahrlässigkeit verursachter tödlicher Unfall auf dem Schlachtfeld, das wäre nicht auszudenken. „Dann wäre ich in meinem Job nicht mehr zu vermitteln“, sagt Hoermann.
So kriegerisch wie in den vergangen zwei Jahren war Hoermanns Leben nicht immer. Nach der Schule leistete er Zivildienst. Erste Filme machte er als Student, oft zusammen mit einem Kumpel aus Rosenheim: „Marco Kreuzpaintner und ich haben ziemlich viel in der Gegend gedreht.“
Mangels eines Studios nahmen sie in Ramerberg eine Halle in Beschlag. „Wir haben so ungefähr das halbe Dorf eingespannt“, erinnert er sich. Am Anfang wollte er noch Regie an der Hochschule für Fernsehen und Film in München studieren. Dann aber merkte er: Das Organisieren, das Planen, das ist seins. Und das tat er denn auch bei Kreuzpaintners erstem Kinofilm „Sommersturm“ (2003).
„Im Westen nichts Neues“ soll nun alles übertreffen. Für europäische, erst recht deutsche Verhältnisse ist der Aufwand gigantisch. Hoermann will über die Kosten nichts verraten, aber nach Schätzungen von Branchenkennern soll der Film um die 15 Millionen Euro gekostet haben. Gedreht wurde seit Mai 2021 in und um Prag herum.
Das Schlachtfeld baute die Crew auf einem ehemaligen russischen Militärflugplatz. Für Hoermann war die Kraterlandschaft Arbeitsstätte und Lebensmittelpunkt. „Wir haben fast schon im Schützengraben gelebt“, sagt er, und meint das gar nicht mal nur ironisch. Für die Schauspieler sei‘s hart gewesen. Was die Wirklichkeit für die Soldaten bedeutet habe, was sie für die Soldaten in der Ukraine bedeute: nicht vorstellbar.
Das Team sei großartig gewesen, „etwas Besonderes von Anfang an“, der Regisseur ein auf gute Art Besessener. „Ich hab noch nie mit einem Regisseur zusammengearbeitet, der so perfektionistisch ist“, sagt Hoermann. Die Bilder, die Atmosphäre, die Darsteller, es stimme alles, „wir müssen uns da vor niemandem verstecken“, findet er.
Und dann die Story vom Sterben in den Gräben des Ersten Weltkriegs. Keine Heldengeschichte wie bei „Der Soldat James Ryan“, sondern ein düsteres Gemälde von der allumfassenden Zerstörungskraft des Krieges, der Körper zermalmt und Seelen genauso zerpflügt wie Landschaften. „Eine ziemlich deutsche Perspektive, so ohne Held“, sagt Hoermann. Und nötiger denn je, findet er. Man müsse sich immer vor Augen führen, „dass die Humanität das erste ist, was dem Krieg zum Opfer fällt“. Was wäre als Vorlage besser geeignet als Erich Maria Remarques Bestseller, der sich seit seinem Erscheinen 1928 auf der ganzen Welt millionenfach verkaufte?
Die Vorfreude
ist bereits groß
Ob die Jurys in Los Angeles und London Crew die Neuerzählung der Geschichte abkaufen und sie prämieren? Schon jetzt sei die Freude groß, erzählt Hoermann, schon die Nominierungen sind eine große Ehre. Der Countdown läuft. Morgen, Sonntag, werden in London die britischen Auszeichnungen verliehen. Am 28. März schaut die Filmwelt nach L.A. – dann werden die Oscars verliehen.
„Wir haben gute Chancen“, glaubt Hoermann. Zwei Oscars, drei Bafta-Preise, am besten in den wichtigeren Kategorien wie „beste Regie“ oder „bester ausländischer Film“, dann hätte man sehr viel erreicht. Unter anderem den Nachweis, dass der deutsche Film im Ausland als konkurrenzfähig gesehen wird. „Wir würden richtig feiern“, sagt Hoermann.
Andererseits könnten auch Preise nur bestätigen, was Hoermann für sich schon längst erkannt hat: „Das ist eine ganz besondere Produktion.“