„Landkreis ist absolut am Limit“

von Redaktion

Ukraine-Krieg Schwierige Suche nach Unterkünften für Flüchtlinge

Rosenheim – In Kolbermoor fanden sich kürzlich rund 70 Bürger vor dem Rathaus ein. Zusammengebracht hatte sie ein Gerücht: In einer Seniorenresidenz solle eine Asylbewerber-Unterkunft eingerichtet werden. Für Kolbermoors Bürgermeister Peter Kloo (SPD) ein Anlass, sich grundsätzliche Gedanken zu machen: „Wir wären gut beraten, nicht die Gerüchteküche zu bedienen, sondern uns darüber Gedanken zu machen, wie wir als Gesamtgesellschaft all die geflüchteten Menschen integrieren können.“

Dass ein Gerücht genügt, mehrere Dutzend Menschen auf die Straße zu bringen, wirft Fragen auf: Ist die Region Rosenheim nach 365 Tagen russischen Angriffskrieges in der Ukraine bereits am Ende ihres Lateins? Von Überforderung bis zu vorsichtiger Zuversicht: Ein Überblick über Stadt und Landkreis ergibt ein vielschichtiges Bild.

Landrat Lederer
enttäuscht über Gipfel

Am „absoluten Limit“ sieht Landrat Otto Lederer (CSU) den Landkreis. Immer mehr Menschen unterzubringen, sie zu versorgen – diese Aufgabe sei „kaum mehr zu bewältigen“. Probleme gebe es auch bei der Integration. „Es fehlt an Kita-Plätzen, Lehrern für die Schulen oder auch Sprachkursen.“ Die Ehrenamtlichen seien am Ende ihrer Leistungsfähigkeit. Nichts gebracht habe der „Flüchtlingsgipfel“. „Tatsächlich bin ich sehr enttäuscht“, sagt Lederer. „Die Tatsache, dass Bundeskanzler Scholz keine Zeit gefunden hat, an diesem wichtigen Flüchtlingsgipfel teilzunehmen, verstärkt diesen Eindruck noch.“ Es brauche, das machte Lederer auf Nachfragen des OVB deutlich, nicht nur finanzielle Hilfe.

Nicht ganz so streng geht Rosenheims Oberbürgermeister Andreas März (CSU) mit dem Gipfel ins Gericht. „Es ist immer positiv, wenn man im Gespräch miteinander bleibt“, sagte er auf OVB-Anfrage. Von schnellen Lösungen sei ohnehin nicht auszugehen gewesen. Immerhin gebe es den Konsens, bis Ostern Vorschläge zu den wichtigsten Fragen etwa zu Unterbringung und Integration über Sprachkurse zu erarbeiten. Ein Problem auch für ihn und seine Verwaltung: „Der angespannte Wohnungsmarkt.“

Jeden Monat kommen
100 Menschen

Nach Angaben des Landratsamts befinden sich aktuell rund 2770 Geflüchtete in Unterkünften, die der Landkreis angemietet hat, davon 870 aus der Ukraine. „Pro Monat werden uns aktuell im Schnitt rund 100 neue Flüchtlinge durch die Regierung von Oberbayern zugewiesen“, meldet Sprecherin Ina Krug.

Die kreisfreie Stadt Rosenheim quartiert die Menschen – falls sie nicht schon Anschluss in der Stadt haben – erstmal in der Luitpoldhalle ein. Der Landkreis verwendet dazu unter anderem Turnhallen in Prien, Raubling und Bruckmühl. Dort leben die Menschen unter provisorischen Umständen, bis geeignete Unterkünfte für sie gefunden werden.

Auch habe man wegen Liegenschaften des Bundes angefragt – und sei fündig geworden. Es gebe Objekte, die geeignet seien, beziehungsweise Flächen, wo man Container aufstellen könne. Genauere Auskünfte aber will das Landratsamt nicht geben, Details gebe es erst mit Abschluss eines Mietvertrages. Die Stadt Rosenheim setzt außerdem auf sogenannte Mobilheime an der Westerndorfer Straße. An der Westerndorfer Straße sei man fast fertig, andere Unterkünfte seien in der „Planungsphase“, heißt es aus dem Rathaus.

Ein weiteres Projekt nimmt in Wasserburg Gestalt an. Vor dem alten Romed-Gebäude werden Wohncontainer errichtet, die ab Mitte März 48 Geflüchteten Unterkunft bieten können. Auch das künftige Klinikgebäude selbst soll als Unterkunft für Flüchtlinge genützt werden. Fraglich ist, wer der „Gastgeber“ sein wird? Die Regierung von Oberbayern, mit einer Art „Ankerzentrum“ für Asylbewerber?

Ankerzentrum wäre
einfachere Lösung

Aus Sicht von Bürgermeister Michael Kölbl (SPD) wäre das die für Wasserburg einfachere Lösung – Gäste im Ankerzentrum sind nur vorübergehend da. „Menschen, die ein paar Wochen bleiben, das wäre kein Problem“, sagt er. Anders wenn der Landkreis dort Unterkünfte für Ukrainer suchte, für Frauen mit kleinen Kindern. „Dann wären wir an der Kapazitätsgrenze, auch was Kitas und Grundschulen betrifft“. Er hat eine dringende Bitte an Bund und Freistaat – dass die geeigneten Gebäude von sich aus und vorab öffnen, „noch bevor Turnhallen belegt werden“, sagt er. „Die dienen unter anderem auch der sportlichen Betätigung der Geflüchteten.“

Auch sportlich hat mit dem Ukraine-Krieg für Bruckmühl eine neue Zeitrechnung begonnen. Da die Turnhalle des Gymnasiums als Unterkunft genutzt wird, sind „alle Sparten von der Sperrung betroffen“, sagt Michael Strasser, Chef der Fußballer vom SV Bruckmühl. Von November bis März sei das Training in der Halle komplett ausgefallen, man habe Gelegenheiten in anderen Hallen gesucht. Trainiert werde auch in der Soccarena, aber das sei finanziell eine „enorme Zusatzbelastung“. Über die Neuzugänge gebe es dennoch kein Geschimpfe, eher über den Landkreis – „weil manche das Gefühl haben, dass die es sich etwas zu einfach machen. Das ist nicht nur für Sportler, sondern auch für Geflüchtete nicht schön“, sagt Strasser.

Turnhalle als
Dauerprovisorium

Ähnlich in Prien, wo die Halle des Ludwig-Thoma-Gymnasiums belegt ist. Man müsse halt schauen, wo noch freie Zeiten in Hallen in der Umgebung zu ergattern sind, sagt Christian Fellner vom TuS Prien. Aber auch in Prien sei viel ausgefallen. Sehr viel sogar, und das über lange Zeit – die Halle wird seit den ersten Wochen des Krieges benutzt. Eine Dauer-Improvisation, die Schulleiter Andreas Schaller schon vor einem halben Jahr als „Notstand“ bezeichnete.

Von Verdrossenheit gegenüber den Geflüchteten sei aber immer noch nichts zu spüren, sagt Fellner. Ob sich die verringerten Trainingszeiten auf die Leistungsfähigkeiten gerade der Jüngeren auswirken? „Schwer zu sagen“, meint Fellner, auf die Pandemie anspielend: „War ja nicht so, dass davor so viel gegangen wäre.“

Die Sportstätten sind in Wasserburg noch Sportstätten. Und das findet Michael Kölbl gut. „Die Leute haben viel Verständnis für die Geflüchteten“, sagt er, „sie erwarten aber auch, dass die Turnhallen nicht belegt werden.“ Es ist in Wasserburg wie in vielen anderen Gemeinden das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht, so scheint es, aber es ist in Sicht gekommen.

Der nächste Gipfel sollte also Antworten bringen, das wünschen sich März und Lederer. Darauf, woher das Geld für die Versorgung der Menschen kommen soll, wo man sie unterbringt, wie man ihnen Deutsch beibringt. Und wie man die Außengrenzen der EU besser schützt, das wünscht sich vor allem Landrat Lederer.

Ukrainer in
den Arbeitsmarkt

Einen anderen Aspekt bringt Bernd Fessler ins Spiel. Der Bürgermeister von Großkarolinenfeld (parteilos), Sprecher der Bürgermeister im Landkreis, ist gar nicht mal so unzufrieden mit dem Flüchtlingsgipfel. „Von Schnellschüssen ist eh nichts zu halten“, sagt er. Langfristig müsse man sich Gedanken machen, auch darüber, dass Flüchtlinge eine Chance darstellten, etwa was die Überalterung der Gesellschaft und den Arbeitskräftemangel betreffe.

Auch das, so das Fazit nach einem Jahr, wird dauern. Ukrainern den Arbeitsmarkt zugänglich machen – darum bemühe man sich durchaus, sagt Michael Schankweiler, Chef der Arbeitsagentur. Doch da stehe zunächst anderes im Vordergrund. Die Unterkunft, vor allem aber der Erwerb von Sprachkenntnissen. Es sei bisher „nur vereinzelt zur Arbeitsaufnahme“ gekommen, vor allem in den Berufsfeldern Lager, Verkauf sowie Hotellerie und Gastronomie.

Weil ohnehin nichts
anderes übrigbleibt

Es laufe gut in Kolbermoor, insgesamt jedenfalls, und es werde weiter gut laufen, glaubt Kolbermoors Bürgermeister. „Wir werden das packen, weil wir das packen müssen“, sagt Peter Kloo. Migration werde nicht so schnell enden, auch wenn die EU illegale Migration unterbinde wolle. „Können wir Zäune bauen, die höher sind als die Entschlossenheit der Menschen, die zu uns wollen?“

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