„Ein sinnloses Projekt“

von Redaktion

Der jüngste Bericht des Bundesrechnungshofs ist eine Steilvorlage für die Gegner des Brenner-Nordzulaufs. Er stellt der Deutschen Bahn ein verheerendes Zeugnis aus – das letztlich auch die Umsetzbarkeit des Großprojekts infrage stellt.

Rosenheim – Lothar Thaler hatte beruflich längere Zeit beim Verband der Jugendherbergen zu tun. „Da war ich immer mal wieder in Deutschland unterwegs“, erzählt er. Eine Mobilität, die in sein aktuelles ehrenamtliches Engagement bei den im Brennerdialog vereinten Gegnern des Brenner-Nordzulaufs hineinspielt. „Ich weiß also von Berufs wegen, wie desolat die Bahn unterwegs ist“, sagt Thaler.

Insofern dürfte Thaler der 33 Seiten starke Sonderbericht des Bundesrechnungshofes nicht weiter überrascht haben. Die oberste Kontrollbehörde des Bundes stellt der Deutsche Bahn ein verheerendes Zeugnis aus. Der Konzern sei ein „Sanierungsfall“, ein „Unternehmen in der Dauerkrise“, gar ein „Fass ohne Boden“. Dabei nimmt die Behörde nicht nur das Versagen des Bahn-Managements in den Blick, sondern auch die vielfältigen Fehler der Verkehrspolitik – nicht erst seit Amtsantritt von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP).

Fünf Millionen Euro Schulden – jeden Tag

Auch wenn der Sonderbericht mit seiner Katastrophenbeurteilung der Bahn für Thaler – von der Schärfe der Kritik mal abgesehen – keine echte Neuigkeit birgt, so fühlt sich die Bahn-Rüge für ihn an wie eine Steilvorlage. Schon aus Geldmangel, so findet Thaler, müsste die Bahn die Planungen für eine Neubautrasse zu den Akten legen. Großprojekte wie der Brenner-Nordzulauf „verschlechtern die finanzielle Lage der Bahn noch mehr, da sie nicht wirtschaftlich zu betreiben sind“, meint Thaler.

Mit über 30 Milliarden Euro sei die Bahn bereits verschuldet, jeden Tag kommen laut Bundesrechnungshof fünf Millionen Euro hinzu. Wo sollen, so fragt Thaler, da die „acht Milliarden plus x Euro“ herkommen, die man für den Brenner-Nordzulauf in der aktuell geplanten Form veranschlagen müsse?

Laut Rechnungsprüfern steht der Bahn das Wasser nicht mehr bis zum Hals, sondern bis über die Augen. Dementsprechend getrübt ist die Aussicht. Seit Anfang der 90er-Jahre sei das Wachstum des Schienenverkehrs politisches Ziel. Stand der Dinge laut Bundesrechnungshof: „Der Bund kann seine ambitionierten Wachstumsziele bis zum Jahr 2030 nicht erreichen.“ Durch zahllose Mängel und zunehmende Belastungen seien viele Planungen und Vorhaben für die Zukunft gefährdet. Schon durch die aktuelle Schuldenlast schwinde der Spielraum, die dringenden Probleme anzugehen. Und davon gibt es laut Bericht einige. Im Jahr 2022 war mehr als jeder dritte Fernverkehrszug unpünktlich.

Verspätungen und marode Infrastruktur

Feststellungen, die jeder Pendler aus und in die Region Rosenheim unterschreiben kann. Im Nahverkehr zwischen München und Rosenheim dürfte die Anzahl der Verspätungen sogar noch höher sein. Und das häufig wegen der maroden Infrastruktur. „Bauarbeiten der DB Netz AG führen zu Fahrplanabweichungen“: Eine Mitteilung wie diese gehört zum Standard der Bayerischen Regio-Bahn. Zur Kritik des Bundesrechnungshofes wollte sich die BRB aber nicht aktuell äußern.

Auch eine nennenswerte Verlagerung von anderem Verkehr auf die Schiene findet seit Jahrzehnten nicht statt. „Es war seit der Bahnreform im Jahr 1994 nicht gelungen, wesentliche Verkehrsanteile von anderen Verkehrsträgern auf die Schiene zu verlagern“, heißt es in dem Bericht.

Schuldenlast bedroht wichtige Vorhaben

Der Zustand der Bahn-Infrastruktur geht die Region Rosenheim nicht nur in Sachen Pünktlichkeit unmittelbar an. Ein Beispiel: Sollte die Verlagerung von Gütern und von Personenverkehr von der Straße auf die Schiene nicht bald große Fortschritte machen, erscheint eine Lösung für die Blockabfertigung in weiter Ferne. Mit ihr versucht Tirol die Hauptlast des Güterverkehrs auf Bayern abzuwälzen. Und jedes Jahr setzen die Österreicher mehr Termine an. Eben weil Deutschland mit seinen Planungen zur Verkehrswende nicht vorankomme, wie aus Tirol immer wieder zu hören ist.

Noch mehr Vorhaben sind durch Schuldenberg und Investitionsstau in weite Ferne gerückt. Der Deutschland-Takt etwa. Auf ihm ruhen Rosenheims Erwartungen, nicht vom Fernverkehr abgehängt zu werden. Erwartungen, die der Chefplaner der Bahn für den Brenner-Nordzulauf bestätigte. „Nur mit zwei zusätzlichen Gleisen können wir den Deutschland-Takt halten, den Nahverkehr ausbauen, aber auch Güterverkehr auf die Schiene verlagern“, sagte Matthias Neumaier.

Bestätigung
für die Gegner

Lothar Thaler jedenfalls dürfte selbst bei längerem Nachdenken kein Dokument einer Bundesbehörde einfallen, das in letzter Zeit auf so großes Interesse gestoßen ist. „Bestätigendes Kopfschütteln“, das sehe er in letzter Zeit öfter, bestätigt Thaler dem OVB. Dabei macht es keinen Unterschied, dass der Bundesrechnungshof den Brenner-Nordzulauf selbst weder erwähnt noch anderweitig bewertet. „Einzelprojekte sind für den Sonderbericht nicht in den Blick genommen worden“, sagt ein Sprecher der Behörde. Thaler bleibt dessen ungeachtet dabei: „Der Brenner-Nordzulauf ist ein sinnloses Projekt. Vor allem, wenn man sich ansieht, in welchem Zustand sich die Bahn befindet.“

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