Amerang/Halfing – Ein Jubiläum ist in der Regel ein Grund zum Feiern. Dazu ist der Initiative Freimoos jedoch nicht zumute. Im Gegenteil: Seit 20 Jahren kämpfen Mitglieder gegen Verschmutzungen der Ameranger Seen durch Kunststoff-Granulat. Ein Umweltskandal voller Rätsel.
2003 fielen Aki Becker, Pächter des Ameranger Sees, zum ersten Mal die kleinen roten, blauen und grünen Kunststoff-Fuzeln und Kügelchen im Moor auf. Es war auch das Jahr, in dem der Landkreis Rosenheim das Halfinger Freimoos als Landschaftsschutzgebiet auswies.
Vorgang
füllt 1000 Seiten
Ein Zufall, der jedoch das Paradoxe an der Situation aufzeigt, wie auch Grundeigentümer Ortholf von Crailsheim findet: Denn die Umweltverschmutzung startet ausgerechnet in dem Jahr, in dem die besondere Schutzwürdigkeit des Landschaftsraumes anerkannt wird. Die Verschmutzung sei bis heute nicht abgestellt, ärgert er sich. Immer wieder werde Granulat angeschwemmt. Mittlerweile füllt der Vorgang 1000 Seiten in mehreren Aktenordnern einer Initiative mit über 30 Mitgliedern. Es gibt drei Gerichtsverfahren, zwei vor dem Landgericht Traunstein, eins vor dem Verwaltungsgericht München. Noch immer müsse nur der Spaten am Ufer und in den Streuwiesen am Zillhamer und Ameranger See angesetzt werden und schon kämen sie beim Graben wieder ans Tageslicht: die bunten Kugeln, ärgert sich auch Michael Peters. Er ist Anlieger und zur Initiative Freimoos hinzugestoßen, weil auch er es nicht fassen kann, dass es nach wie vor zu Eintragungen komme.
Gefahr für
Natur im Moor
Er trenne als Bürger daheim sorgsam den Müll, achte wie viele Wanderer im Moor darauf, dass kein Abfall im Gelände liegenbleibe. Als „paradox“ bezeichnet er deshalb die Tatsache, dass es anhaltend zu Eintragungen von Kunststoff-Granulat komme. Letzteres stelle eine große Gefahr für die sensible Natur im Moor und ihre Tierwelt dar, ist er überzeugt.
Becker, von Crailsheim und Peters können nicht verstehen, warum das Rätsel nicht längst aufgeklärt ist. Denn 2003 wurde die Verschmutzung nach ihren Angaben erstmalig aktenkundig, 2006 sogar der Polizei gemeldet. Die Inspektion Wasserburg und danach Prien ermittelten. 2007 teilte das Landratsamt Rosenheim nach Angaben von Becker mit, die Gemeinde Halfing als Betreiberin der Niederschlagskanalisation sei als Einleiter in das Gewässer für das eingebrachte Niederschlagswasser verantwortlich. Als Verursacher standen kunststoffverarbeitende Betriebe im Verdacht.
Die Entwässerung wurde geändert, das Problem der Granulat-Eintragung sei damit gelöst, schrieb der damalige Bürgermeister Böck dem Pächter 2010. Zwei Jahre später dann ein Ortstermin mit Vertretern der Unteren Naturschutzbehörde: Erneut werden laut Becker große Mengen KunststoffGranulat am Einlauf zum Ameranger See gefunden. 2018 bestätigen Bodenproben im Uferbereich und in den Streuwiesen wieder eine Kontamination des Moorbodens, so Becker, der Chronist der Initiative.
So gehe es bis heute weiter: Ortstermine, Besprechungen, Schriftverkehr, Probenentnahmen, Gutachtergespräche, runde Tische. Untere Naturschutzbehörde beim Landratsamt, Abteilung Wasserrecht, Wasserwirtschaftsamt, Gemeinde Amerang und Halfing, die möglicherweise infrage kommenden Firmen, Initiative und Anwälte werfen sich die Bälle zu. Es gehe seit nunmehr 20 Jahren hin und her ohne konkretes Ergebnis, so von Crailsheim. Ein Rätsel – anscheinend für alle Beteiligten.
Seit 2021 führt Amerang zwar ein Monitoring durch: Ein großes Sieb in der Zillhamer Achen und ein Schwimmbecken sollen Granulat abfangen. „Bis heute kann uns jedoch keiner sagen, wie der Müll beseitigt wird, wie die Eintragung gestoppt werden kann, was die Ursache ist“, ärgert sich der Grundeigentümer.
Die zuständigen Behörden seien anscheinend machtlos. Von Crailsheim sah sich 2016 nach eigenen Angaben gezwungen, ein gerichtliches Beweisverfahren zu starten. Sonst wäre der Fall verjährt und er auf den Kosten für die Beseitigung eventuell sitzen geblieben. Denn das ist ein weiteres Paradoxum: Von Crailsheim, der seit 20 Jahren gemeinsam mit Pächter Becker gegen die Verschmutzung kämpft, müsste eventuell selbst für den Schaden aufkommen, den er nicht verursacht hat, befürchtet er. Eine Ausbaggerung könnte Millionen verschlingen.
Dabei habe ein Gutachten klar aufgezeigt: Es werde Granulat eingetragen, es komme aus dem Gemeindegebiet von Halfing. Gegen die Gemeinde klagt von Crailsheim, außerdem gegen einen Kunststoffhersteller. Letzteres Verfahren wurde gestern, Donnerstag, 4. Mai, vor dem Landgericht Traunstein fortgesetzt.
Laufendes Verfahren am Landgericht
Das laufende Verfahren ist der Grund, warum sich das Landratsamt Rosenheim (Untere Naturschutzbehörde und Abteilung Wasserrecht) auf Anfrage der Wasserburger Zeitung zum aktuellen Stand der Ursachenforschung und Vorgehensweise derzeit nicht äußern wird. Die Behörde war am gestrigen Prozesstag, 4. Mai, vor dem Landgericht Traunstein als Zeuge geladen. Außerdem sprachen Sachverständige. Beschuldigter in diesem Verfahren: die Firma Profol. Sie wies jedoch schon vor Jahren nach, dass sie schon lange komplett vom Kanalnetz der Gemeinde Halfing abgetrennt ist. Das gefundene Granulat werde im Unternehmen nicht hergestellt, hieß es bereits 2020 auf Anfrage der Wasserburger Zeitung.
Woher kommen also die angeschwemmten Granulate, die über Bäche und Gräben bis in den Zillhamer und Ameranger See geschwemmt werden? 2020 ging das Wasserwirtschaftsamt davon aus, dass es sich bei den gefundenen Kunststoff-Granulaten nicht um einen Neueintrag handele, „sondern um ein bereits eingeschwemmtes Material, das wieder mobilisiert wurde.“ Von Crailsheim ist es egal, ob es sich um altes oder neues Granulat handelt: Er will die Verschmutzung nicht akzeptieren. Die Initiative ebenfalls nicht.