Morddrohungen gegen Erdogan-Gegner

von Redaktion

Kritische, teils beleidigende Videos zur Präsidentschaftswahl in der Türkei schlagen hohe Wellen: Der Kolbermoorer Mehmet Yildirim (44) sieht sich einem massiven Shitstorm ausgesetzt, auch Morddrohungen sind darunter. Den Mund will sich der Imbiss-Besitzer dennoch nicht verbieten lassen.

Kolbermoor – In seinem Imbiss „Rania Kebap“ im Kolbermoorer Netto-Markt an der Georg-Müller-Straße serviert der Kurde Mehmet Yildirim nicht nur Döner, Dürüm und Lahmacun, sondern per regelmäßiger Videos auf seinem TikTok-Kanal auch deftige Ansichten. Doch ein Video, das der 44-Jährige kurz nach dem Ergebnis der Präsidentschaftswahlen in der Türkei veröffentlicht hat, schlägt nun hohe Wellen.

Beschimpfungen und Hasskommentare

Nicht nur, dass das Video einen regelrechten Shitstorm ausgelöst hat und die Social-Media-Kanäle von „Rania Kebap“ mit wüsten Beschimpfungen und Hasskommentaren überflutet werden. Der 44-Jährige, der aus der Millionenstadt Diyarbakır in Südostanatolien in der Türkei stammt, hat seitdem nach eigenen Angaben auch zahlreiche Morddrohungen erhalten.

Es ist eine drastische, teils beleidigende Wortwahl, die Mehmet Yildirim, der seit 2004 in Deutschland lebt, in seinen Videos wählt – gespickt mit Flüchen und Obszönitäten. Im Zentrum der Kritik: Türken, die am vergangenen Sonntag dem amtierenden türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan erneut ihre Stimme gegeben haben. Denn für Yildirim ist „Erdogan ein Teufel“, wie der 44-Jährige gegenüber dem OVB deutlich macht. So sei staatliche Hilfe bei dem todbringenden Erdbeben Anfang Februar 2023, dem rund 50000 Menschen zum Opfer gefallen waren, weitgehend ausgeblieben. Yildirim selbst, der aus einer der Erdbebenregionen stammt, hat nach eigenen Angaben bei der Naturkatastrophe selbst sechs Familienangehörige verloren.

Eine weitere Behauptung, die Yildirim in seinen Videos aufstellt: Die Wahl in der Türkei sei manipuliert. Belege dafür seien gerade die Ergebnisse in den vom Erdbeben zerstörten Gebieten. „Ich bin überzeugt davon, dass Menschen aus anderen Regionen mit den Identitäten von bei den Erdbeben verstorbenen Menschen Stimmen für Erdogan abgegeben haben.“ Zu hoch sei die Wahlbeteiligung gewesen, zu hoch der Zuspruch für den amtierenden Präsidenten. Yildirim: „Das kann einfach nicht sein.“

Unter dem Einfluss seiner Wut und seiner extremen Emotionen habe er daher auch dieses Video angefertigt, über das sogar in türkischen Medien berichtet wird. Was ihm daran mittlerweile leid tut? „Die Wortwahl“, sagt der 44-Jährige. „Dafür habe ich mich danach wirklich geschämt.“ Denn beleidigen habe er niemanden wollen, vor allem nicht die Menschen, die selbst Verwandte sowie ihr Hab und Gut beim Erdbeben verloren haben. Aber der Kurde macht auch klar: „An dem Vorwurf des Betrugs bei der Wahl halte ich fest.“ Und auch daran, dass „Erdogan ein Teufel“ sei.

Er selbst habe seine Stimme bei der Wahl nicht abgegeben, weil er „dieses System nicht unterstützen will.“ Er könne auch die Türken in Deutschland nicht verstehen, die hier die Vorzüge der Demokratie in Anspruch nähmen, und durch die Wahl Erdogan dann unterstützen würden, wie die Menschen in der Türkei leben müssen. Für ihn, der Deutschland als seinen Lebensmittelpunkt sieht und die Türkei nur noch als Urlaubsort kenne, hätten viele Türken, die in der Bundesrepublik leben, ein großes Problem: „Sie sind zwar mit dem Körper hier, mit dem Kopf aber in der Türkei.“

Aussagen, die viele seiner Landsleute scheinbar ins Mark treffen. Ebenso wie die Videos, die Yildirim auf seinem TikTok-Kanal veröffentlicht. Die Folgen sind für den 44-Jährigen dramatisch: Nicht nur, dass in den vergangenen Tagen auf der Facebook-Seite seines Imbisses Hunderte Schmäh-Kommentare wie „Das Essen ist schrecklich und ekelhaft“ oder Hinweise auf Ratten und Kakerlaken eingegangen sind. Yildirim bekommt auch fast minütlich anonyme Anrufe. Der Inhalt: Neben Beleidigungen auch eindeutige Todesdrohungen. „Beispielsweise ein Türke aus Berlin, der mir angekündigt hat, mit einer Gruppe sofort nach Kolbermoor zu fahren, um mich umzubringen.“

Weitere Einschüchterungsmaßnahmen: Unbekannte hätten nachts an seiner Haustür geläutet, immer wieder fahren Fahrzeuge langsam an seinem Imbiss vorbei, fotografierten ihn aus dem Auto heraus. Wie auch während des Gesprächs zwischen dem OVB und dem 44-Jährigen im Imbiss, als eine Frau langsam am Schaufenster vorbeifährt und mit dem Handy Aufnahmen macht. Erschreckend auch ein Erlebnis, das ihm ein Freund schilderte. „Der hat mich gewarnt, weil er das Gespräch einer Gruppe junger Türken in Rosenheim mitbekommen hat, die mir vor dem Imbiss auflauern wollen.“ Angst, dass ihm etwas passieren könnte, hat der Kurde aber „nur ein bisschen.“ „Ich muss einfach aufpassen, wenn ich nach der Arbeit nach Hause gehe“, sagt Yildirim. Kontakt mit der Polizei habe es aufgrund der zahlreichen Drohgebärden auch schon gegeben, aber: „So lange nichts passiert, können die ja auch nichts tun.“ Die möglicherweise geschäftsschädigenden Kommentare zu seinem Imbiss nimmt er dagegen fast schon mit Humor. „Ich hatte bislang als Kurde sowieso kaum türkische Kunden, die meisten sind Deutsche“, sagt der 44-Jährige. „Jetzt kommen halt wohl nur noch die deutschen Kunden.“

Dass es Yildirim aber auch nicht auf die leichte Schulter nimmt, beweist die Tatsache, dass er bei der Polizeiinspektion Bad Aibling Anzeige wegen Bedrohung erstattet hat. „Wir werden das jetzt ausführlich bewerten“, sagte ein Polizeisprecher auf Anfrage des OVB. „Derzeit sind wir noch dabei, uns einen Überblick zu verschaffen und können daher noch keine genaueren Angaben machen.“ Je nachdem wie die Bewertung letztlich ausfalle, werde die Polizei auch etwaige Maßnahmen diskutieren und ergreifen. So hänge beispielsweise eine Maßnahme wie vermehrte Streifenfahrten davon ab, wie hoch die Gefahr letztlich eingeschätzt werde. Der Sprecher stellt aber auch klar, „dass wir jede Anzeige sehr ernst nehmen.“

Ermittelt in der Türkei gegen Yildirim?

Doch nicht nur die deutsche Polizei ist mittlerweile auf den Fall aufmerksam geworden, auch die Generalstaatsanwaltschaft in Istanbul soll nach Angaben der türkischen Tageszeitung Sabah gegen Yildirim wegen „Aufstachelung oder Beleidigung zu Hass und Feindseligkeit“ ermitteln. Sogar ein Haftbefehl soll gegen den 44-Jährigen ausgestellt worden sein. Yildirim selbst gibt an, seitens des Generalkonsulats kontaktiert und darüber informiert worden zu sein, dass er besser nicht in die Türkei reisen solle. Ob diese Behauptungen den Tatsachen entsprechen? Diese Fragen hätte das türkische Generalkonsulat mit Sitz in München beantworten können. Anfragen seitens des OVB blieben jedoch bislang unbeantwortet.

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