„Es war ein Kampf um jeden Euro“

von Redaktion

Interview Der Insolvenzverwalter Axel Bierbach über das Marathon-Verfahren zum Akzenta-Betrug

Neubeuern – Tausende Anleger fielen auf die Masche der Neubeurer Akzenta AG herein. Das Unternehmen richtete einen Millionenschaden an. Nach 14 Jahren bekommen die Gläubiger nun endlich Geld. Axel Bierbach erklärt, wie viel – und warum Finanzamt und Staatsanwaltschaft manchmal auch Gegner sind.

Was war so kompliziert an dem Fall, dass er sich über 14 Jahre hinzog?

Das Problem war, dass wir sehr viel Sachverhalt – teilweise auch mit Bezug zum europäischen und außereuropäischen Ausland – ermitteln, Verflechtungen nachvollziehen, Vermögen aufspüren und verwerten, um jeden Euro streiten und viele Prozesse und langwierige Auseinandersetzungen mit dem Finanzamt führen mussten.

Das Finanzamt? Das ist eine Behörde – nicht das, was man als Gegner in einem solchen Betrugsverfahren erwartet.

Die Akzenta AG hat Umsatzbeteiligungen verkauft, was von der Staatsanwaltschaft München und unserer Kanzlei Müller-Heydenreich Bierbach & Kollegen als Schneeballsystem beurteilt wurde. Diese Umsatzbeteiligungen sind mit Mehrwertsteuer bewertet worden, und diese Mehrwertsteuer hat die Akzenta AG an das Finanzamt abgeführt. Wir stehen auf dem Standpunkt: Wenn Luft verkauft wird, wenn es also keine Gegenleistung gibt, dann unterliegt das nicht der Umsatzsteuer. Also haben wir vom Finanzamt die Umsatzsteuer zurückgefordert. Dazu haben wir alle Rechnungen korrigiert, die Akzenta versandt hatte. Es war auch Ertragssteuer angesetzt worden, die auch bezahlt worden war. Auch da haben wir Erstattung angefordert. Das Finanzamt hat das nicht akzeptiert, daher ergaben sich Rechtsstreitigkeiten. Erst vor einem Jahr haben wir uns endgültig geeinigt.

Über wie viele Anleger sprechen wir denn?

Es geht um 30000 Anleger. Von denen hatte sich gut die Hälfte gemeldet.

14 Jahre Streit ums Geld – ein Marathon.

Es gibt ähnliche Fälle, die ebenso lang dauern. Das ist an sich nicht so besonders. Die Besonderheit war die komplexe Sachverhaltsaufklärung und die Tatsache, dass es schon vor dem Insolvenzantrag von Akzenta etwa 1500 Einzelvollstreckungen von Anlegern gegeben hatte. Das hatte es in dieser Form noch nicht gegeben. Das macht den Fall Akzenta sehr besonders.

Wie konnte Akzenta so viele Anleger ködern?

Es war so, dass die frühen Anleger in der Tat teilweise hohe Rückflüsse erhalten haben. So lange neue Anleger hinzukamen, gab‘s ja auch immer neue Umsätze. Vieles ist im Freundes-, Familien- und Bekanntenkreis kommuniziert worden, auch innerhalb einer Religionsgemeinschaft. Jedenfalls haben so die Leute zunächst mitbekommen, dass relativ viel Geld zurückfloss. Und die haben dann wieder andere angeworben. Das war der Hauptvertriebsweg.

Was bekommen Ihre Mandanten denn zurück von ihrem Geld?

Die Anleger haben mir kein Mandat gegeben; das Mandat habe ich vom Amtsgericht Rosenheim bekommen, das mich zum Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Akzenta AG bestellt hat. Es gibt eine Quote in Höhe von 7,4 Prozent auf die festgestellten Forderungen. Das ist ein wichtiger Unterschied: Was angemeldet ist, ist nicht unbedingt das, was festgestellt worden ist. Es kann sein, dass schon Rückzahlungen an die Anleger geflossen sind. Diese können aber nur Schadenersatzforderungen stellen. Schaden ist die Differenz zwischen Einzahlung abzüglich erhaltener Auszahlungen. Das festzustellen, war aufwendig.

7,4 Prozent? Hört sich nach wenig an.

Diese Insolvenzquote liegt etwas über dem bundesweiten Durchschnitt. Objektiv betrachtet, ist das erst mal wenig. Nun darf man zwei Dinge nicht vergessen: Wir sind mit null Euro gestartet. Jeden Euro, den wir jetzt verteilen, den haben wir hart erkämpft. Das Zweite: Mehr als tausend Anleger hatten schon vollstreckt. Und die haben größtenteils Vollbefriedigung erhalten. Was wir jetzt zu verteilen haben, ist das, was nach den Einzelvollstreckungen noch nicht weg war. Das war ein Windhundrennen. Wer zuerst da war, holte zuerst.

Wie viele Mitarbeiter Ihrer Kanzlei waren mit dem Fall beschäftigt?

Permanent waren wir mit fünf Anwälten und einem großen Anteil von Assistenten tätig. Zu Beginn waren es deutlich mehr, das wird dann im Laufe der Zeit weniger, sobald das Vorgehen mehr und mehr strukturiert abläuft. Wir mussten in Archiven sämtliche Zeichnungsscheine anschauen, mussten die Zahlungssysteme analysieren, um herauszufinden, was an Geld zurückfloss und was offen blieb. Schließlich mussten wir Ansprüche auch oft vor Gericht klären. So ein Insolvenzverfahren ist ein Gesamtvollstreckungsverfahren: Einer kümmert sich darum, alles Mögliche an Geld zusammenzubekommen und dann an die Gläubiger zu verteilen.

Viel Papierkram…

Und eine wirklich komplizierte Gemengelage. Da war zunächst die Durchsuchung durch die Staatsanwaltschaft 2006. Aber erst drei Jahre später hat Akzenta Insolvenzantrag gestellt. In diesen drei Jahren waren einige Gläubiger nicht untätig. Die versuchten, über Einzelzwangsvollstreckungen ihre Rechte durchzusetzen. Ein Großteil des Vermögens des Akzenta-Firmengründers Ulrich Chmiel – der Maserati, Goldmünzen, die Bilder, die Bankkonten – war schon gepfändet und vollstreckt; dadurch, dass 1500 Einzelanleger sich schon durch die Einzelvollstreckung Rechte gesichert hatten, aber auch durch die Sicherstellung der Staatsanwaltschaft. Und dann mussten wir diesen Wirrwarr entflechten, um zu klären: Wer hat wann in welcher Reihenfolge welche Rechte?

Welche Art von Kunden ist denn auf Akzenta hereingefallen?

Das kann ich nicht genau sagen. Ich hatte mit den Gläubigern ja persönlich kaum zu tun. Bei der Gläubigerversammlung im Dezember 2009 im Kuko in Rosenheim hatte ich aber den Eindruck, dass es ein sehr bürgerliches Publikum war. Das waren ordentliche, bürgerliche Menschen. Es waren jedenfalls einige dabei, die wirklich mit Inbrunst an Akzenta geglaubt haben, die noch immer nicht glauben konnten, dass sie betrogen worden waren.

Oft heißt es, die Opfer von Anlagebetrügern seien leichtfertig und gierig.

Ich glaube, das ist ein Thema des Vertriebsweges, der über persönliche Kontakte funktioniert hat. Wer seinen Liegestuhl in der ersten Reihe hatte, der ist bei jeder Welle nass geworden, die weiter hinten nicht so oft. Diejenigen vorne konnten sagen: Bei uns funktioniert‘s. Daher kamen auch die Anfeindungen an die Staatsanwaltschaft. Die stand in der Kritik, weil es Leute gab, die tatsächlich Geld verdient haben.

Man kann sagen, dass Akzenta im Kleingedruckten fast ehrlich war. Wenn keine Gewinne anfallen, gibt es keine Auszahlung, stand da.

Was die Chmiels – Firmengründer Ulrich Chmiel und seine Söhne – nicht sagten, war, woher die Gewinne, beziehungsweise Umsätze kamen. Es war ja nicht so, dass man Gelder angelegt und damit Gewinne gemacht hatte. Sondern der Umsatz rührte daher, dass die von Herrn Müller angelegten Gelder einfach an Herrn Schmidt geflossen sind.

Sehen Sie Anleger durch den Staat unfair behandelt? Etwa durch das Finanzamt?

Zunächst muss man annehmen, dass das Finanzamt ja wirklich von Umsätzen ausgegangen ist. Bei der Umsatzsteuer kommt es darauf an, was das Unternehmen meldet. Wenn ein Unternehmen Umsatz meldet, dann geht das Finanzamt auch von Umsatz aus. In diesen Betrugsfällen tun die Täter alles, um das Finanzamt nicht zu verärgern. Gegenüber dem Finanzamt sind die also ganz brav.

Aber irgendwann hat das Finanzamt doch mitbekommen, was da gelaufen ist, oder?

Mich hat gewundert, dass der Staat an der einen Stelle durch Gerichte und die Staatsanwaltschaft feststellt, dass da nur Luft verkauft wurde. Und dass das Finanzamt dann sagt: Das sehen wir anders. Deswegen habe ich da auch nicht locker gelassen. In diesem Fall hat die Staatsanwaltschaft eingegriffen: Sie hat das System Akzenta beendet. Dafür ist sie auch angegriffen worden. Der Staat hat also etwas getan. In manchen Teilen ist unser Finanzsystem überreguliert, in anderen weniger. Und dort treiben immer wieder seltsame Machenschaften ihre Blüten.

Stichwort: Akzenta und Ulrich Chmiel…

Es war der Auftakt zum Prozess-Marathon der Insolvenzverwalter: Nach über zwei Jahren Verfahrensdauer fällte das Landgericht München II 2008 Urteile gegen die ehemaligen Manager der Akzenta AG in Neubeuern. Der ehemalige Vorstand der Akzenta AG, Ulrich Chmiel, der nach Einschätzung des Vorsitzenden Richters die Akzenta beherrschte, wurde wegen gewerbsmäßigen Betruges zu einer Haftstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt. Seine beiden Söhne sowie ein weiterer Manager wurden ebenfalls zu hohen Haftstrafen verurteilt. Das Landgericht ging davon aus, dass die Angeklagten ein Schneeballsystem gründeten und betrieben, so der Vorsitzende Richter Ralph Alt zur Urteilsbegründung. Mit diesem System wurden seinerzeit rund 30000 Vertragspartner der Akzenta AG geschädigt und getäuscht.

Interview: Michael Weiser

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