Prien – Die Kirche selbst, genauer der Pfarrverband Westliches Chiemseeufer (PWCU), macht auf den Missbrauchsfall aufmerksam. Das Erzbistum München-Freising habe Hinweise erhalten, dass sich „vor vielen Jahren ein Priester, der hier im Pfarrverband Westliches Chiemseeufer gewirkt hat, gegenüber Kindern und Jugendlichen sexuell übergriffig verhalten hat“, schreibt Gottfried Grengel auf der PWCU-Homepage. Gottfried Grengel ist der Pfarradministrator der Pfarrverbände Bad Endorf und Westliches Chiemseeufer.
Hinweise sind
„glaubhaft“
Die Hinweise, so heißt es in dem Schreiben, „beziehen sich auf Übergriffe, die sich in den 70er- und 80er-Jahren ereignet haben“. Die Hinweise seien „glaubhaft und plausibel“. Der besagte Priester sei aus der Diözese Augsburg in die Chiemsee-Region versetzt worden und habe dort ab den 80er-Jahren gewirkt, antwortet das Ordinariat des Erzbistums München-Freising auf Anfragen der OVB-Heimatzeitungen. Die bekannt gewordenen Vorfälle haben sich demnach im Bistum Augsburg ereignet.
Nach den Worten des Schreibens wiederum liegen keine Hinweise auf Missetaten in der Chiemsee-Region vor. Dies könne jedoch nicht ausgeschlossen werden. Die Kirche bittet darum Betroffene, sich an die unabhängigen Ansprechpersonen für Verdachtsfälle von sexuellem Missbrauch der Erzdiözese München und Freising zu wenden.
Nachforschungen zu dem besagten Priester gestalten sich schwierig. Einzelheiten gibt das Erzbistum München-Freising nicht heraus mit Verweis auf Erfordernisse des Datenschutzes. Seine Taten scheint der Geistliche vor allem im Bereich des Bistums Augsburg begangen zu haben. 1977 musste er sich nach Angaben des Ordinariats offenbar in Augsburg vor dem Amtsgericht verantworten. Dort sind Unterlagen aber womöglich gar nicht mehr vorhanden. Sie würden nur einzelfallabhängig länger als 30 Jahre aufbewahrt, sagt Andrea Hobert, Richterin am Amtsgericht Augsburg. Ohne Namen des Priesters seien Nachforschungen ohnehin nahezu hoffnungslos.
Das Gras, das über Vergehen von Kirchenmitarbeitern wächst, ist manchmal offenbar besonders dicht gesät. Und die Informationen über den Priester flossen über verschlungene Kanäle – wohl auch zwischen den Bistümern.
Bistum macht keine
weiteren Angaben
2013 erst habe es Anzeichen auf Verfehlungen des Priesters gegeben, sagt ein Sprecher des Münchner Ordinariats. Seinerzeit habe die unabhängige Ansprechperson der Diözese Augsburg bei der Erzdiözese München und Freising nachgefragt, ob es auch in der Erzdiözese Hinweise auf auffälliges Verhalten des damals bereits verstorbenen Priesters gegeben habe.
Jüngst erst, so antwortet das Ordinariat auf OVB-Anfrage, hätten weitere „Hinweise“ aus Augsburg die Erzdiözese erreicht. Danach habe man sich zum Aufruf auf der Homepage des Pfarrverbands entschieden und weise nunmehr erneut auf die unabhängigen Ansprechpartner für eventuell Betroffene hin.
Ein Sprecher des Bistums verteidigte die Entscheidung, keine weiteren Angaben zu dem Priester zu machen. Es ist eine Entscheidung, die sich offenbar von der des Beauftragten der katholischen Kirche für Missbrauchsfragen, dem Aachener Bischof Dr. Helmut Dieser, erheblich unterscheidet. Bischof Dieser hatte angekündigt, im Interesse der Transparenz Namen von Missbrauchstätern im Dienste der katholischen Kirche preiszugeben.
So einfach ist das in den Augen des Ordinariats von München und Freising aber nicht. Zum einen sei da noch Klärungsbedarf. So erarbeite für das Bistum Aachen eine Expertenkommission bis Herbst ein Konzept für eine mögliche Veröffentlichung von Täternamen. Zum andern sieht man eine Bringschuld bereits erfüllt. Der Zweck einer Namensnennung, nämlich: mögliche Betroffene zu ermutigen, sich zu melden. Das wird nach Erachten der Erzdiözese mit dem konkreten Aufruf im Pfarrverband Westliches Chiemseeufer „bereits weitestmöglich unterstützt“.
Es bleiben Fragen, vor allem, was die in der Kirche offensichtlich weit verbreitete Praxis des Vertuschens, Versetzens und Verschleierns betrifft, wie sie im Missbrauchsgutachten der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl vielfach geschildert wird.
Versetzung als
gängige Praxis
Übergriffe zu verschleiern, indem man übergriffige Priester in andere Diözesen versetzt, war laut Gutachten gängige Praxis. Warum das Bistum Augsburg das Erzbistum München und Freising nicht früher benachrichtigte, warum es den gestrauchelten Seelsorger nach offenbar aktenkundigen Vergehen überhaupt in einer anderen Diözese parkte: das wird noch zu klären sein. Das Bistum kündigte nach OVB-Anfragen weitere Informationen an.
Betroffen und schockiert äußerte sich Priens Bürgermeister Andreas Friedrich. Vorfälle aus der Umgebung seiner Gemeinde seien ihm zwar keine bekannt. Dass die Übergriffe des Priesters möglicherweise weit in der Vergangenheit liegen, mache die Angelegenheit nicht leichter zu verdauen. „Es ist ein Unding, dass solche Vergehen juristisch gesehen verjähren“, sagte Friedrich. „Die Opfer tragen daran ein Leben lang.“