Das harte Leben mit „Post Covid“

von Redaktion

Müdigkeit, Gedächtnisstörungen und Atemnot: Zahlreiche Menschen leiden an den Folgen einer Covid-Erkrankung. Eine von ihnen ist Kerstin Wanitschek (35). Nach ihrem positiven Corona-Test im November 2021 hat sich ihr Leben komplett verändert. Jetzt will sie eine Selbsthilfegruppe gründen.

Rosenheim/Kolbermoor – Kerstin Wanitscheks altes Leben endete im November 2021. Damals war sie Wanderleiterin beim Deutschen Alpenverein, arbeitete als Lehrerin an einer Berufsschule und bestieg in ihrer Freizeit 3000er. „Ich war auf dem Höhepunkt meiner körperlichen Leistungsfähigkeit“, sagt die 35-Jährige. Das war, bevor sie sich im November 2021 mit dem Coronavirus angesteckt hat. „Seitdem befinde ich mich im Krankenstand“, sagt Wanitschek.

Zwei dünne Striche
auf dem Selbsttest

Sie sitzt in einem Rosenheimer Café, vor ihr stehen ein Cappuccino und ein Eistee. Ihre Stimme ist leise, immer wieder schließt sie die Augen. Sie erzählt von den beiden dünnen Strichen auf dem Corona-Selbsttest, dem Energiemangel und der Kurzatmigkeit. „Es hat sich angefühlt, als ob mir ein 20-Kilo-Sack auf der Brust liegt“, erinnert sie sich.

Die Lunge habe geschmerzt, es sei für Tage keine Option gewesen, aus dem Bett aufzustehen. Irgendwann ging es besser. Trotzdem spürt Kerstin Wanitschek, dass etwas nicht stimmt. Spaziergänge, die länger als zehn Minuten dauern, schafft sie kaum. Um in ihre Wohnung in den zweiten Stock zu gelangen, muss sie Pausen einlegen. Das Ausräumen des Geschirrspülers wird zu einer fast unlösbaren Aufgabe. Erschöpfung und Überforderung – ihre treuen Begleiter.

Wochen nach der Erkrankung geht sie zum Arzt. Erst vermuten die Mediziner eine Lungenembolie, später einen Tumor am Stammhirn. Von einigen Ärzten wird sie belächelt, von anderen direkt an Kollegen verwiesen. „Ich habe mich teilweise sehr allein gelassen und verloren gefühlt“, sagt sie. In die körperlichen Symptome mischen sich Selbstzweifel und das Gefühl, nicht verstanden zu werden.

Schließlich verschafft ein Lungenfunktionstest Klarheit. „Er hat bewiesen, dass da etwas nicht stimmt“, erinnert sich Kerstin Wanitschek. Es folgen Cortison-Behandlungen, Atemübungen, Besuche bei Osteopathen, Neurologen und Kardiologen. Ein Therapeut soll helfen. Wanitschek versucht damit klarzukommen, dass es ihr Leben, wie sie es kannte, nicht mehr gibt. „Ich musste lernen, mich von meinem alten Ich zu verabschieden“, sagt sie.

Die Pandemie ist
immer noch präsent

Die 35-Jährige trinkt einen Schluck Eistee, beobachtet die Menschen, die durch die Fußgängerzone schlendern. Menschen, die die Pandemie schon vor Monaten hinter sich gelassen haben. Anders als Kerstin Wanitschek. Täglich wird sie mit den Folgen ihrer Erkrankung konfrontiert – auch zwei Jahre nach der Infektion.

Mediziner bezeichnen solche Folgen als Long oder Post Covid. Der Unterschied zwischen beiden Bezeichnungen bemisst sich in der Dauer der Symptome. Von Long Covid sprechen Ärzte, wenn die gesundheitlichen Beschwerden auch vier Wochen nach der akuten Krankheitsphase noch fortbestehen. Patienten, die nach zwölf Wochen noch unter gesundheitlichen Problemen leiden, die mit der Infektion zusammenhängen, haben Post Covid. „Häufige Symptome sind Abgeschlagenheit, Leistungsminderung, hohes Schlafbedürfnis, Atemnot, Husten und Brustschmerzen“, sagt Stephan Budweiser, Chefarzt der Medizinischen Klinik 3 am Romed-Klinikum Rosenheim.

Auf der Suche nach
anderen Betroffenen

Wie belastend das für sie selbst, aber auch für ihr Umfeld ist, weiß Kerstin Wanitschek. „Viele Menschen können mit der Situation nicht umgehen, fühlen sich selbst damit überfordert oder sind ratlos und unsicher“, sagt die 35-Jährige. Sie will kein Mitleid, nur jemanden, der verstehen kann, wie es ihr geht. Also macht sie sich auf die Suche nach anderen Betroffenen. In den sozialen Medien bleiben ihre Anfragen unbeantwortet, ihre Recherchen nach einer Selbsthilfegruppe in der Region laufen ins Leere. „Ich konnte mir das nicht erklären. Auch, weil ich wusste, dass es andere Betroffene geben muss.“

Nach langem Hin- und Herüberlegen beschließt sie, eine Selbsthilfegruppe zu gründen. Sie nimmt Kontakt zur Diakonie auf, lässt Flyer drucken und erstellt ein Konzept. Das erste Treffen der Gruppe „Gemeinsam statt einsam – Raus aus dem Post-Covid-Strudel“ findet am Mittwoch, 5. Juli, von 18 bis 19.30 Uhr im Bürgerhaus Kolbermoor statt. „Ich will nicht, dass wir uns anderthalb Stunden bemitleiden“, betont Kerstin Wanitschek. Vielmehr gehe es ihr darum, Erfahrungen auszutauschen, neuen Mut zu fassen und positives Denken zu fördern. Dinge, die auch ihr in den vergangenen Monaten geholfen haben. „Vor meiner Erkrankung war ich sehr leistungsorientiert. Jetzt bin ich mehr bei mir und in meinem Körper angekommen“, sagt sie.

Statt sich daran zu messen, wie schnell sie welchen Berg erklimmen kann, zählen für sie jetzt die kleinen Momente: ein Spaziergang mit ihrem Hund, die gemeinsame Zeit mit ihrem Partner oder ein gutes Gespräch mit Freunden. „Ich bin noch da. Nur körperlich bin ich eine andere“, sagt sie bestimmt. Fast so, als ob sie sich auch selbst davon überzeugen muss. Denn so positiv Kerstin Wanitschek auch ist, ignorieren kann sie ihre Ängste nicht.

Die Zukunft
bleibt ungewiss

„Die Zukunft ist ungewiss“, sagt sie. Sie wisse nicht, ob sie jemals wieder in ihren Beruf zurückkehren kann. „Ich brauche sehr viele Pausen und kann mich nur für kurze Zeit konzentrieren“, sagt sie. Bedingungen, die ihr das Unterrichten erschweren würden.

Ob die Symptome irgendwann komplett verschwinden, weiß auch Chefarzt Stephan Budweiser nicht. „Über eine langfristige Heilung wissen wir noch zu wenig. Über die Zeit beobachtet man, auch ohne eine spezielle Therapie, oft eine langsame Besserung der Beschwerden“, sagt er.

Zwar gibt es laut dem Experten bisher keine spezifische Post-Covid-19-Therapie, dafür jedoch ambulante und stationäre Rehabilitationsmaßnahmen. „Am Klinikum beziehungsweise in den Ambulanzen, speziell auch in der Pneumologie, erfolgt oft eine umfangreiche Diagnostik, vor allem zum Ausschluss anderer Ursachen für die Beschwerden“, sagt Budweiser. Spezielle Therapieformen seien nicht verfügbar. Oft werden nach Diagnosestellung Rehabilitationsmaßnahmen empfohlen.

Eine Chance
zurück ins Leben

Diese nimmt auch Kerstin Wanitschek wahr und kämpft sich Stück für Stück zurück. Trotzdem freut sie sich darauf, dass mit der Selbsthilfegruppe eine neue Aufgabe auf sie zukommt. „Für mich ist die Gruppe eine Chance, zurück ins Leben zu finden“, sagt sie. In ihr neues Leben.

Informationen zur Selbsthilfegruppe

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