„Eine historische Saison“

von Redaktion

Interview Hagelpilot Georg Vogl über das Impfen von Wolken – Heuer noch kein Einsatz

Rosenheim – Ein Gewitter zieht auf und mit ihnen oft auch die Piloten der Hagelabwehr des Landkreises Rosenheim. Ihr Ziel: Gewitterwolken. Ihr Medikament: Silberjodid. Ihr Einsatzort: eine zweimotorige Propellermaschine. Georg Vogl ist seit über 40 Jahren Leiter der Hagelabwehr im Landratsamt Rosenheim. Von April bis September fliegen die Piloten über Stadt und Landkreis Rosenheim sowie über die Grenzregion Kufstein und den Landkreis Traunstein, um die Bildung von großen Hagelkörnern zu verhindern.

Herr Vogl, von acht Piloten haben während der Saison immer zwei Bereitschaft – wie sieht Ihr Tagesablauf aus, wenn Sie Bereitschaft haben?

Meine erste Aktion am Morgen ist dann der Blick auf die Wettervorhersagen: Wie ist die Wetterlage? Was könnte passieren? Wie sieht der Himmel aus? Als Pilot habe ich Zugang zu verschiedenen Vorhersagen des Deutschen Wetterdienstes und stehe in engem Kontakt mit Meteorologen. Auch das iPad oder der Rechner laufen durchgehend, um immer über den aktuellen Stand informiert zu sein und zu wissen, wann es Zeit ist, den Kollegen zu informieren und zum Flugplatz zu fahren. Dazu gehört natürlich auch immer der Blick in die Wolken.

Sie blicken auf über 40 Jahre Erfahrung als Hagelflieger zurück. Wie gefährlich ist ein Flug zur Gewitterzelle?

Unsere Piloten müssen immer mit der nötigen Achtsamkeit unterwegs sein, ihre eigenen Grenzen und die des Flugzeugs kennen und die Maschine nicht überstrapazieren. Es herrschen einfach andere Kräfte. Die Auf- und Abwinde bei Gewitterzellen sind so massiv – das muss man wissen und einkalkulieren. Deswegen fliegt auch jeder neue Pilot mindestens das erste Jahr mit Begleitung. Es geht um Erfahrung und um Sicherheit. Was noch wichtig ist, ist die geringe Beladung: Wir fliegen zum Beispiel nur mit 60 Prozent Benzin im Tank und ohne Beladung oder zusätzliche Passagiere, um nicht zu schwer zu werden. Wir dürfen maximal 300 Stundenkilometer schnell fliegen und wissen, welche Bereiche wir befliegen können und wann das Impfen der Gewitterzelle keinen Sinn mehr macht – so zum Beispiel kurz vorm Niederschlag.

Was bedeutet das Impfen der Zelle?

Beim Impfen einer Gewitterzelle wird Silberjodid in einer Aceton-Lösung verbrannt. Es entsteht gelblich-grünlicher Rauch. Das Silberjodid hängt sich an die Regentröpfchen und bewirkt, dass statt einzelner großer viele kleine Graupel- und Hagelkörner entstehen. Hagel entsteht, wenn Wassertröpfchen von den warmen unteren Wolkenregionen in die kälteren nach oben steigen. Dort gefrieren sie und fallen wieder etwas herab. Die kleinen Hagelkörner verbinden sich mit weiteren Tropfen, bevor die Aufwinde sie wieder nach oben tragen, wo sie erneut gefrieren. Dieser Kreislauf wiederholt sich, bis die Hagelkörner zu schwer sind, um von den Aufwinden getragen zu werden. Sie stürzen als Hagel zu Boden. Diesen Prozess verhindert die Impfung.

Statt großer Hagelkörner sorgen Sie also für viele kleine?

Nicht unbedingt. Je nach Stadium des Gewitters gibt es verschiedene Stufen, wie wir vorgehen. Bei neu wachsenden Gewitterzellen werden durch das Silberjodid aus kleinen Wolkentröpfchen bereits im frühen Stadium Regentröpfchen, die schwerer sind und deshalb aus der Wolke rausfallen. So können sie sich gar nicht mehr zu Hagel weiterentwickeln. Je mehr Regentropfen aus der Wolke austreten, umso leichter wird die Wolke und entwickelt sich nicht weiter. Ein weiterer Schritt ist das Impfen der oberen Schichten. Hier fördern wir dann eigentlich das Wachstum der Hagelkörner. Dadurch bilden sich dann tatsächlich viele kleine Hagelkörner statt einzelner großer, die beim Durchfallen der wärmeren unteren Luftschichten aber abschmelzen und im günstigsten Fall als Regen zur Erde kommen.

In dieser Saison waren die Hagelflieger noch nicht im Einsatz – wie außergewöhnlich ist das?

Das ist historisch. Wir starten jedes Jahr am 15. April in die Saison. Seit neun Wochen haben wir keinen Einsatz. Das gab es so auch noch nie. Auch die kommenden Tage scheint sich erst mal nichts aufzutun. Aber wir sind gut vorbereitet. Die Maschinen sind gewartet, die Kollegen bereit. Wir fliegen einige Testflüge, um die Generatoren und auch uns selbst bereit zu halten. Das ist wichtig, damit im Ernstfall alles funktioniert.

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