Mediziner wollte „helfen“

von Redaktion

Gegen einen Arzt, der unter anderem einen jungen Mann aus der Region Rosenheim gegen seinen Willen sterilisiert haben soll, wird weiter verhandelt. Zeugen beschreiben den Arzt als menschlichen Mediziner. Nun steuert der Fall auf die Entscheidung zu.

Rosenheim – Die heftigen Vorwürfe – es geht um schwere Körperverletzung in zwei Fällen – würde man mit dem Mann vor Gericht an sich nicht in Verbindung bringen: Es ist ein freundlich wirkender, einsichtiger Mann, der sich da verantworten muss. Der Arzt (53) aus Grünwald soll vor sieben Jahren zwei Männer ohne ihre Einwilligung unfruchtbar gemacht haben: Yannick (die Vornamen der beiden Geschädigten wurden von der Redaktion geändert), 17 Jahre, mit Autismus-Symptomen, und Simon, 24 Jahre alt, aus dem Landkreis Rosenheim und geistig behindert.

Der Arzt hat auch am gestrigen Verhandlungstag geäußert, dass er seinen Auftrag einfach im Helfen sehe. Wieder erschien er vor dem Landgericht München I nicht als leichtfertig oder gar rücksichtslos. Und doch droht ihm eine Haftstrafe. Angeklagt sind auch die Eltern von Simon aus dem Landkreis Rosenheim. Sie sollen den Arzt zur schweren Körperverletzung an Simon angestiftet haben.

Die Verhandlung wegen zweifacher Körperverletzung ist auch die Geschichte eines unfassbaren Irrtums. Der Mediziner hatte vorgehabt, eigentlich nur einen der beiden jungen Männer unfruchtbar zu machen: eben den kognitiv stark eingeschränkten Simon. Aus Versehen aber durchtrennte der Chirurg zunächst die Samenleiter von Yannick. Er hatte den jungen Mann mit den Autismus-Symptomen mit dem geistig eingeschränkten Simon verwechselt. Wohl auch, weil beide mit identischen Beschwerden zu ihm kamen: einem beidseitigen Leistenbruch. Die Geschichte der Verwechslung hatte der Arzt vor Gericht bereits am vorangegangenen Verhandlungstag mit brüchiger Stimme und sichtbar angefasst geschildert.

Arzt war „durch
den Wind“

Dass der Arzt durch seinen Irrtum schwer getroffen war, bestätigten Zeugen am Dienstag. Der Mann sei durch den Wind gewesen, „vollkommen verwirrt“, als er erfahren habe, dass er sich getäuscht habe, sagte ein 63-jähriger Kollege aus Geretsried, der als Anästhesist bei der Operation geholfen hatte. „Fix und fertig“ sei der Chirurg gewesen, bestätigte eine 40-Jährige aus Murnau, die als medizinische Fachkraft dabei gewesen war. Es sei ein „großes Drama“ für den Arzt gewesen, als er seinen Irrtum realisiert habe. Sie beurteilte den Chirurgen im Übrigen als fachlich gut und menschlich angenehm. „Er ist schon einer der netten Leute. Das hat man ja nicht so oft.“

Seine freundliche Art wird dem Arzt wohl nicht weiterhelfen. Ebenso die Fahrlässigkeit, mit der er den falschen Patienten operierte. Das Gericht dürfte die Fehloperation als vollendeten Tatbestand sehen. Schließlich hatte der Arzt die Operation an sich ja wie geplant vollzogen – nur am falschen Patienten. Eine Körperverletzung am falschen Opfer bleibt aber immer noch eine Körperverletzung. Entscheidend für die Beurteilung von Yannicks unfreiwilliger Sterilisation wird dann nur sein, wie das Gericht die Tat an Simon sieht: Als Verbrechen mit Vorsatz oder als Tat im guten Glauben, weil der Arzt den Eltern als Betreuer Simons vertraute?

Die Eltern aus dem Landkreis Rosenheim waren womöglich selber davon ausgegangen, dass alles seine Richtigkeit habe. Mutter und Vater behaupten, der Sohn selber habe es für undenkbar gehalten, mit seiner Einschränkung eine Familie zu gründen. Das reicht nach dem Gesetz zwar nicht, um eine Sterilisierung rechtlich zu begründen. Dazu hätte es noch einiger Gutachten und einer Entscheidung des Betreuungsgerichts bedurft. Womöglich aber waren die Eltern vom Betreuungsrichter am Amtsgericht Rosenheim schlecht beraten worden – beim vorangegangenen Verhandlungstag hatten die als Zeugen vorgeladenen Betreuungsrichter aus Rosenheim keinen sattelfesten Eindruck hinterlassen.

Zeigt sich das Gericht den Eltern aus der Region gegenüber milde, steigen die Chancen für den Arzt aus Grünwald, glimpflich aus der Angelegenheit zu kommen. An diesem Donnerstag soll das Urteil fallen – für den Arzt wie auch die Eltern. Erleichtert wäre dann wohl auch der Vorsitzende: Richter Matthias Braumandl spricht von einer Verhandlung, die rechtlich „wahnsinnig kompliziert“ sei.

Sterilisiert und
dennoch Vater?

So kompliziert, dass womöglich auch noch Yannick ein juristisches Problem bekommt. Denn er lebt mit einer Frau zusammen. Und hat ein Kind, das erst Jahre nach dem Eingriff gezeugt wurde. Ist er der leibliche Vater? Möglich wäre es. Denn sein Eingriff wurde rückgängig gemacht. Eine Operation, die häufig zum Erfolg führt.

Dann aber müsste der heute 25-Jährige erklären, warum er im Zivilprozess gegen den Arzt seine Unfruchtbarkeit behauptet und Geld kassiert hat. 60000 Euro zahlte die Versicherung seinerzeit an Yannick. Die Lebensgefährtin ist am heutigen Mittwoch als Zeugin vorgeladen. Ist Yannick der Vater ihres Kindes, oder hat sie es von einem anderen Mann? Auf ihre Aussage wird man sich verlassen müssen. Denn einen Vaterschaftstest zu erzwingen, sei nicht möglich, sagt der Anwalt des Arztes, Andreas Schwarzer, gegenüber dem OVB. „Sie ist ja nur Zeugin, nicht Belastete.“

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