Langes Warten auf den Arzttermin

von Redaktion

In der Region Rosenheim ist das monatelange Geduldspiel für einen Termin bei einem Facharzt offenbar so frustrierend wie häufig. „Ein Skandal“, schimpft eine Betroffene. Experten erklären, woran es hapert, und empfehlen, was man tun kann, wenn man keinen Termin bekommt.

Rosenheim – Martina Z. ist verzweifelt. Den Krebs, den habe sie überwunden, erzählt sie dem OVB -Reporter. Aber mit den Folgen der Therapie komme sie nicht zurecht. „Ich leide unter Dauerschäden“, sagt sie, „und die haben sich verschlimmert.“ Ihre Haut sei nun extrem trocken, sie fühle sich entstellt. „Ich traue mich nicht mehr auf die Straße“, sagt sie leise. Aber – sie erhält einfach keinen Termin beim Hautarzt. „Es ist ein Skandal“, klagt sie.

„Ich fühle mich als Mensch zweiter Klasse“, sagt auch Susanne K. (51). Sie hätte eigentlich schon im Januar einen Kontrolltermin beim Kardiologen haben sollen. Tatsächlich bekommen hat sie ihn für September.

Auch Hausärzte
nehmen Engpass wahr

Sie grämt sich aber gar nicht so sehr wegen ihrer eigenen Geduldsprobe, sondern sorgt sich eher um ihren Vater. Der bräuchte eigentlich einen Venenarzt. „Doch die eine Praxis in Rosenheim hat dicht gemacht“, sagt sie, „und der andere Arzt nimmt keine neuen Patienten mehr an.“ Nun klingt sie ein wenig ratlos. „Das ist doch keine Bagatellangelegenheit“, meint sie. Sie wird ihren Vater wohl fahren müssen, irgendwo anders hin, wo sie einen Phlebologen mit weniger gut gefülltem Kalender finden kann.

Eine ältere Frau aus Maitenbeth berichtet von den Schwierigkeiten, einen Termin für eine Darmspiegelung zu finden. Ihr Datum für diese wichtige Vorsorgemaßnahme ließ sich erst im Januar 2024 finden.

Drei Geschichten von vielen, die an die OVB-Heimatzeitungen herangetragen wurden. Es steht offenbar nicht zum Besten mit dem Gesundheitswesen.

Auch Hausärzte aus der Region Rosenheim nehmen einen Engpass bei den Fachärzten wahr. Etwa Dr. Nikolaus Klecker, Bezirksvorsitzender im Bayerischen Hausärzteverband, und Dr. Fritz Ihler, Vorsitzender des Ärztlichen Kreisverbands Rosenheim. „Ich kann das bestätigen“, sagt Ihler. Er rät daher dringend dazu, den Hausarzt zu konsultieren und sich im dringenden Fall nicht alleine auf die Terminsuche zu machen. „Wenn es dringend ist, vereinbart der Hausarzt den Termin direkt mit einem Facharzt“, sagt Ihler. Allerdings: „Wenn es nicht so dringend ist, dann kann das dauern.“

Den Mangel registriert auch Nikolaus Klecker. Vor allem in bestimmten Fachbereichen, Neurologen und Dermatologen zum Beispiel. „Die Kassen bunkern und lassen nicht mehr Ärzte zu“, sagt er. Ärzte seien mittlerweile auch in der schönen Region Rosenheim mit ihrem hohen Freizeitwert verhältnismäßig rar, vermutet auch Fritz Ihler.

Statistik spricht
von Überversorgung

Der Atlas der kassenärztlichen Vereinigung spricht eine andere Sprache. Demnach ist die Region Rosenheim sogar überversorgt. Beispiel Dermatologen: Bei den Hautärzten liegt die Versorgung bei 173,66 Prozent. Ab 110 Prozent spricht der Gesetzgeber von Überversorgung. Den Schlüssel für diese Berechnung legen Vertreter der Ärzteschaft und der Krankenkassen immer wieder neu fest, je nachdem, ob eine Region städtisch, am Rande eines Ballungsraums oder ländlich geprägt ist.

„Das ganze Alpenvorland ist an sich gut versorgt“, sagt Axel Heise von der Kassenärztlichen Vereinigung. Probleme bei der Terminvergabe können dennoch auftreten – etwa weil sich Patienten selbst überweisen, ohne Einschätzung des Hausarztes. Den Fachärzten ergehe es damit wie den Notaufnahmen der Krankenhäuser: Längst nicht jeder, der dort um ärztliche Hilfe ersucht, ist dort auch richtig aufgehoben.

Zwei Aspekte fallen zusätzlich auf: Der Großraum Rosenheim gehört zu den Regionen mit dem höchsten Altersschnitt. Und: In Rosenheim konzentrieren sich die Fachärzte, während so manche Gemeinde etwa südlich des Chiemsees in dieser Hinsicht leer ausgeht.

Gerade für ältere Menschen könnte damit der Weg zum Arzt länger und schwieriger werden. Auch Corona könnte zu den Termin-Problemen beitragen. „Da hat sich ein gewisser Stau gebildet“, hat Fritz Ihler beobachtet, Fachärzte arbeiteten nun auf, was in den Zeiten der Pandemie liegengeblieben sei.

Nikolaus Klecker wiederum sieht den Job einfach zu schlecht entgolten, um die Fachärzte in Scharen zu mobilisieren. „160 Euro kostet der TÜV inklusive Abgas-Sonderuntersuchung“, sagt er, „nur 40 bis 50 Euro dagegen der Check eines Patienten.“ Aus dem gleichen Grund nehme auch die Zahl der Notärzte ab. „80 bis 100 Euro gibt‘s für den Notfalleinsatz mit lebensrettenden Maßnahmen. Da muss man sich schon fragen: Was ist einem der TÜV fürs Auto wert, und was die Reanimation?“

Patienten müssen
sich selber helfen

Seit 30 Jahren hat sich die Gebührenordnung in diesen Bereichen nicht mehr groß verändert. Als Stellschraube fürs akute Fachärzteproblem taugt sie nicht. Der Patient muss sich also selbst helfen. Indem er zunächst zum Hausarzt geht, auf dessen Urteil und dessen Kontakte zu Fachärzten vertraut. Das empfehlen Ihler und Klecker.

„Eine gute Vorgehensweise“, lobt Axel Heise. Aber auch online gebe es, betont er, die Möglichkeit, sich zu informieren und Ärzte in der Umgebung ausfindig zu machen. Unter www. 116117.de gibt es nützliche Werkzeuge wie das Patienten-Navi oder eine Terminvergabe, und das so inklusiv wie möglich, in leichter Sprache ebenso wie in Gebärdensprache.

Nur für eine Gruppe ist die Seite nichts: Privatversicherte können sich dort keinen Termin buchen. Sie haben aber, das zumindest berichten Leser des OVB, wenig Probleme, bei einem Facharzt unterzukommen.

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