Chieming – Geschenkt wurde den Grünen-Politikern im Harter Bierzelt nichts: Die Reden von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir und den beiden Spitzenkandidatinnen zur Landtagswahl, Katharina Schulze und deren Stellvertreterin und Wahlkreiskandidatin Gisela Sengl, gingen in Trillerpfeifenkonzerten unter. Vor Hunderten von Besuchern – davon eine Vielzahl aus der Landwirtschaft – wurden die Reden phasenweise mit Trillerpfeifen derart übertönt, dass sich viele Besucher genervt ihre Papierservietten, die ihnen zum Verzehr der regional biologischen Bierzeltgerichte gereicht wurden – wie Gisela Sengl als Zeichen der Authentizität der Veranstaltung in ihrer Rede betonte – in die Ohren stopften und somit gar nichts mehr hörten.
Trillerpfeifen
verteilt
Die Trillerpfeifen wurden bereits vor dem Festzelt verteilt – offensichtlich war ein Teil der Besucher von vornherein auf Krawall aus. Die knapp 50 Polizisten hatten allerdings keinen nennenswerten Einsatz. Sie waren damit beschäftigt, das Festzelt vor Überfüllung zu schützen und insbesondere Bundesminister Özdemir vor direktem Körperkontakt zu den gesprächsuchenden Besuchern zu schützen.
Obwohl Gastgeberin Gisela Sengl bereits bei der Begrüßung einem lautstarken Trillerpfeifenkonzert gemischt mit Applaus gegenüberstand und sie fragte „Möchtet ihr den ganzen Abend so verbringen?“, ebbten die lauten Störungen während des Abends kaum ab. Soweit trotzdem etwas zu verstehen war, ging Sengl auf die Bedrohung der kleinstrukturierten vielfältigen Landwirtschaft ein: „In den letzten zehn Jahren haben wir 12000 Haupterwerbsbetriebe verloren. Das darf nicht so weitergehen.“ Der Preisdruck, der gerade von Konzernen auf die Agrar- und Lebensmittelindustrie ausging, sei brutal, so Sengl. Die Weltmarktpreise und Industrienormen seien die Zerstörer der regionalen Landwirtschaft. Sengl sprach sich für eine saisonal, regional und ökologisch nachhaltige Ernährung aus. Auch betonte sie die Bedeutung der Landwirtschaft als Partner zur Energiewende .
Katharina Schulze feuerte ohne Punkt und Komma eine lautstarke Bierzeltrede ab, in der sie ihre politischen Brennpunkte benannte. Bayern benötige eine grüne Handschrift: „Fünf Jahre weiteren Stillstand kann sich unser wunderschöner Freistaat nicht leisten.“ Es brauche „ein grünes Zugpferd gegen den schwarzen Stillstand“ in Bayern. Das gelte besonders in Sachen Energieerzeugung. Dass dabei die Trillerpfeifen beim politischen Gegner im Bierzelt wieder zur Volldröhnung kamen, bedarf keiner Erwähnung. Angesichts des Rechtsrutsches müssten die Demokraten zusammenstehen, so Schulze. „Wir dürfen als Gesellschaft nicht die Fähigkeit verlieren, anhand von Fakten zu diskutieren, einander zuzuhören und davon auszugehen, dass der andere auch mal recht haben könnte.“ Schulze sprach sich für einen fairen Wahlkampf aus und lobte die Polizei, die eine stabile Demokratie überhaupt erst ermögliche. Diesem Lob stimmten die meisten Zuhörer applaudierend zu, einige Trillerpfeifen waren aber auch hier zu hören.
Das Pfeifen verstärkte sich bei der Rede von Cem Özdemir, insbesondere, als er wiederholt Stellen aus dem Matthäus-Evangelium zitierte, um seine Argumente biblisch zu untermauern. Es hatte Ähnlichkeit mit einer Fastenpredigt, als Özdemir die Frage des Petrus an Jesus stellte: „,Herr, wie oft soll ich meinem Bruder, der gegen mich sündigt, vergeben. Siebenmal?“ Jesus antwortet ihm: „Ich sage dir, nicht siebenmal, sondern 70-mal siebenmal.‘“ Özdemir fuhr fort: „Und so wollen wir es auch mit unseren Brüdern und Schwestern von der CSU halten, auch wenn sie es uns vor der Landtagswahl nicht immer leicht machen.“ Özdemir nahm dabei Bezug auf eine mögliche Kooperation der CDU durch Friedrich Merz mit der AfD, der Markus Söder aber unmissverständlich widersprochen habe.
Selbstkritisches zum Bild der Regierung
Als Özdemir „auf eine gebotene Selbstkritik am Erscheinungsbild der Ampel in Berlin“ einging und davon sprach, dass „wir unabhängig von russischem Gas gut durch den Winter gekommen sind“, war erneut Trillerpfeifenlärm angesagt.
Özdemir nahm dennoch die Politik der Ampelkoalition in Schutz: „Ich weiß, viele im Land treffen die Folgen des Krieges durch Inflation, gestiegene Preise und dann kommen noch die Veränderungen durch die Bekämpfung und Anpassungen der Klimakrise auf uns zu. Aber vergessen wir mal nicht: Unser Staat hilft, wo es geht. Durch Strompreisbremsen, Gaspreisbremsen, 49-Euro-Ticket, Rentenerhöhung und viele andere Maßnahmen. Viele unserer Nachbarstaaten haben diese Möglichkeiten nicht.“