Rosenheim/Traunstein – Um rund 600000 Euro sollen eine 21-jährige Polin und ihr 34-jähriger Komplize ihre Opfer nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft durch Schockanrufe betrogen haben. Die Masche war nicht neu: Die Geschädigten glaubten, einen Anruf von der Polizei erhalten zu haben. In dem Telefonat wurde ihnen mitgeteilt, ein naher Verwandter habe einen schweren Verkehrsunfall verursacht und müsse zur Abwendung von Haft eine Kaution hinterlegen. Da dieser das Geld nicht habe, bitte er das Opfer, ihn auszulösen. Meist stehen die Angerufenen aufgrund dieser Nachricht unter Schock –ein Umstand, den sich die Täter zunutzemachen. Die Opfer handeln nach den Anweisungen des falschen Polizisten und übergeben den Betrügern in der Regel höhere Geldbeträge. Danach verschwinden die Täter rasch, die Geprellten merken erst später, dass sie auf Betrüger hereingefallen sind.
In sechs Fällen nach Schockanrufen Geld bei Opfern abgeholt zu haben, wirft die Staatsanwaltschaft der jungen Frau vor. Ihr Landsmann soll sie als Fahrer zu den vereinbarten Treffpunkten gebracht haben.
Einige der Opfer stammen aus Rosenheim und Umgebung. Am 18. Mai 2021 verlor eine Rosenheimerin auf diese Weise 42000 Euro, noch am gleichen Tag sollen die Angeklagten eine Frau in Raubling um 46000 Euro geprellt haben. 23000 Euro übergab eine Frau aus Rosenheim laut Anklageschrift am 22. Juni 2021 der mutmaßlichen Betrügerin.
Zur Abwendung von Haft für ihre Tochter, die angeblich einen Familienvater bei einem Verkehrsunfall getötet hätte, forderte am gleichen Tag ein angeblicher Rechtsanwalt zunächst 45000 Euro von einer Rosenheimerin. Nachdem diese ihm mitgeteilt hatte, sie habe nur 10000 Euro zuhause, gab sich der Unbekannte mit der niedrigeren Summe zufrieden.
Während ihr Ehemann noch bei der Polizei war und sich nach dem Befinden seiner Tochter erkundigen wollte, übergab die Frau das Geld an der Haustür an eine ihr unbekannte Abholerin. Die war bereits über alle Berge, ehe die Polizei Licht ins Dunkel des kriminellen Handelns bringen konnte.
Ein besonders dreister Coup soll den beiden Angeklagten am 25. Juni in Kassel gelungen sein. Dort sollen sie einer Frau Schmuck im Wert von rund 395000 Euro abgeluchst haben. Bei zwei weiteren Taten außerhalb der Region, bei denen die 21-Jährige nach Überzeugung der Ermittler mit einem anderen Fahrer unterwegs gewesen sein soll, fielen ihr 72000 beziehungsweise 11000 Euro in die Hände. Im Falle einer Verurteilung will die Staatsanwaltschaft erreichen, dass die Polin insgesamt 599196 Euro als Werteersatz zurückzahlen muss.
Der Prozess gegen die Angeklagten, die derzeit in Untersuchungshaft sitzen, beginnt morgen, Dienstag, um 8.30 Uhr vor der Jugendkammer des Landgerichts Traunstein.Norbert Kotter