Aschau – „Hubsi, da samma!“ Ein Mann aus der Menge, die sich vorm Eingang des Aschauer Festzelts staut, schwenkt seinen Hut. Der so Begrüßte ist noch gar nicht erschienen, noch nicht mal sein Auto ist gesichtet worden; und doch ist Hubert Aiwanger schon die Hauptperson des Abends: als Auferstandener.
Zwei Stunden nach
Statement
Erst zwei Stunden ist es an diesem Donnerstag (31. August) her, da hat er vor den Fernsehkameras sein Pressestatement vorgetragen. Nicht frei, wie sonst immer, sondern vom Blatt abgelesen. Eine Entschuldigung, eine Distanzierung von dem fürchterlichen Schmähpamphlet, dessen Bekanntwerden gut 35 Jahre nach seiner Entstehung Bayerns Politik durcheinandergebracht hatte. Und dann der Gegenangriff: Aiwanger spricht von Kampagne, davon, dass gezielt versucht werde, ihn fertigzumachen. Kein Rücktritt, wie von vielen erwartet, sondern Attacke.
Nun also Aschau. Anzapfen beim Markt. Ein gut besuchter Anlass in normalen Zeiten. Nach dem Rummel um Aiwanger ist das Zelt übervoll: Eineinhalbtausend passen rein, so viele und ein paar mehr sind es mit Sicherheit. Auch das Interesse der Journalisten ist groß.
Aiwangers Weg zum Zelt dauert, immer wieder möchten sich Menschen mit ihm ablichten lassen. Im Zelt selbst: Beifall, viel Beifall. An manchen Tischen stehen die Menschen und applaudieren. Aiwanger, der jüngst hager geworden wirkte, lächelt, er lacht sogar, fürs Erste befreit. Was soll ihm hier passieren?
Erst mal den Ball flach halten. FW-Landtagskandidat Gerhard Schloots traut dem Befreiungsschlag vielleicht noch nicht ganz. Immerhin: Aiwangers Erklärung habe er „richtig gut gefunden“. So sieht es im Prinzip auch Parteifreund Sepp Hofer, der stellvertretende Rosenheimer Landrat. Schon gut, die Erklärung vom Freie-Wähler-Chef. „Das hätte aber auch ein bisserl früher sein dürfen.“
Sepp Lausch kündigt Aiwanger an. Als Mann des Volkes sozusagen, der sich das „Maul aufzumachen traut“, der sich nicht verbiegen lässt. „Angriffe auf Aiwanger sind nicht nur Angriffe auf Aiwanger, sondern auf die kleinen Leute.“ Aiwanger kommt sogleich auf die Bühne, breitet die Arme aus. „Liebe Freunde des gesunden Menschenverstands“, sagt er. „Herzlich willkommen im Bierzelt.“ Das muss man mit so viel Selbstvertrauen erst mal in einem Satz zusammenbringen. Danach Aiwanger so, wie man ihn kennt und – das gilt wohl für die allermeisten Menschen im Bierzelt – schätzt. Er verliert kein Wort über den Auftritt am Nachmittag. Seine Entschuldigung. Den Angriff. Er spricht über dieselben Themen wie sonst. Nur moderater. Kein Hauch von Erding, der Aschauer Hubert Aiwanger hält sich zurück. Als Stimme des Ausgleichs, wie man seine Worte zusammenfassen könnte. „In verrückten Zeiten, in denen die Gesellschaft auseinanderdrifte ist die Stimme der Freien Wähler die Stimme der Vernunft.“
Aiwanger hat für jeden etwas mitgebracht, abgesehen von denen in Berlin und den Grünen, die aber im Bierzelt eh kaum vertreten sind. Die kleinen Leute mit ihren Sorgen insgesamt, aber besonders die Bauern, die Vermieter, die Hausbauer, die Heizungsbesitzer, die Autofahrer, die Handwerker. Und, ja, auch die Akademiker. Schließlich hätten die Freien Wähler die Studiengebühren abgeschafft. Aiwanger spricht für Ehrenamt und Familie, für den Wert der Arbeit und gegen Aufstockung des Bürgergeldes.
Er reklamiert für die Freien Wähler den Realitätssinn, gegenüber dem „ideologischen Übermut“ der anderen. Die anderen, das sind für den Wirtschaftsminister die Grünen, verantwortlich für Deindustrialisierung. Und ein bisschen Gesundheitsminister Karl Lauterbach, der sich mehr für die Legalisierung von Drogen engagiere als für den Erhalt der Krankenhäuser. Ja, und den Wolf, den zu schützen ja nur Menschen einfallen kann, die in Städten leben. Was immer die Menschen umtreibt, Aiwanger versichert schwitzend und im weißen Hemd mit hochgerollten Ärmeln, dass es auch ihn umtreibe.
Und die Menschen lauschen. Nicht immer mit gleichbleibender Konzentration, manchmal ist der Lärmpegel im Zelt schon hoch. Aber immer wieder nicken sie. Und immer wieder brandet Beifall auf. Etwa bei Aiwangers Kampfansage an die Erbschaftssteuer.
Dann kommen die Spitzenvertreter der Freien Wähler in der Region auf die Bühne, sie umringen den Gastredner, als sonnten sie sich im Scheinwerferlicht, das auf Aiwanger fällt. Und Sepp Lausch überreicht Aiwanger ein futuristisch anmutendes Kleidungsstück: Einen Rückenprotektor, wie ihn wohl Motorradfahrer und Downhill-Fahrer tragen. Um das Rückgrat zu schützen, das Aiwanger ja wohl noch als einer von wenigen Politikern sein Eigen nenne.
„Die Kampagne
durchschaut“
Der Weg zurück zum Ausgang des Festzelts dauert noch länger als der Einzug. Aiwanger schüttelt unzählige Hände, legt Hände auf Schultern, lässt sich fotografieren. „Hubsi for president“ ruft jemand, Aiwanger legt auch ihm die Hand auf, die Stimmung reicht von Bewunderung bis Gaudi. „Ich denke, die Menschen haben die Kampagne durchschaut“, sagt Aiwanger dem OVB-Reporter zufrieden. Hat er als Schüler ein nationalsozialistisches Pamphlet verfasst oder verteilt, hat er seinerzeit die Hand zum Hitlergruß gereckt? Im Bierzelt von Aschau scheint‘s drei Stunden nach Aiwangers Entschuldigungs- und Angriffsansprache tatsächlich niemanden mehr zu interessieren.