„Absolut richtig, Cannabis zu legalisieren“

von Redaktion

Rechtsmediziner Dr. Fritz Priemer hält Nulltoleranz für THC am Steuer für ungerechtfertigt

Traunstein – „Der Anteil der Verkehrsteilnehmer, die wirklich, nach meiner Erfahrung als langjähriger Sachverständiger, nicht mehr in der Lage waren, ein Fahrzeug sicher zu führen aufgrund des alleinigen Einflusses von Cannabis, ist sehr gering. Das macht vielleicht fünf bis zehn Prozent aus.“ Dr. med. Fritz Priemer ist Rechtsmediziner. Seine Expertise ist auch beim Amts- und Landgericht Traunstein oft gefragt. Priemer erklärt zu Beginn unseres Gespräches seinen Beruf:

„Der Rechtsmediziner ist ein Arzt, der eine Facharztausbildung zum Rechtsmediziner macht und insofern, so würde ich das sagen, als medizinischer Dolmetscher eingesetzt wird.“ Typisch sei bei seiner Arbeit, vor Gericht Stellung zur Fahrtüchtigkeit oder Schuldfähigkeit eines Angeklagten zu beziehen. Dabei, so Priemer, ginge es immer um „die Situation, in der sich dieser Straftatbestand ereignet hat.“ Und so stellt sich oft auch die Frage: War der Fahrzeuglenker trotz des Nachweises von THC im Blut, dem berauschenden Wirkstoff in der Cannabispflanze, noch fahrtüchtig?

Klare Regelung
bei Alkohol

Bei Alkohol ist das klar geregelt. Im Paragraf 24a der Straßenverkehrsordnung steht: „Ordnungswidrig handelt, wer im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt, obwohl er 0,25 mg/l oder mehr Alkohol in der Atemluft oder 0,5 Promille oder mehr Alkohol im Blut oder eine Alkoholmenge im Körper hat.“

Und da beginne, laut Priemers Meinung, die Ungerechtigkeit. Denn: Im zweiten Absatz des Gesetztes steht, dass auch all jene eine Ordnungswidrigkeit begehen, die „unter der Wirkung eines in der Anlage zu dieser Vorschrift genannten berauschenden Mittels im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führen“. In der Anlage aufgeführt ist neben anderen Drogen auch Cannabis.

„Das ist eine Ungleichbehandlung, weil beim Alkohol ist es ein Gefahrengrenzwert. Ab 0,5 Promille kann man sagen, dass das Unfallrisiko um den Faktor drei bis fünf erhöht ist.“ Bei Cannabis-Konsum, so Priemer, herrsche dagegen Nulltoleranz: Ein Mikrogramm THC pro Liter Blut im Körper reicht hier aus: „Das ist kein Gefahrengrenzwert, sondern der Wert, ab dem man sicher sagen kann, der hat im Vorfeld Cannabis konsumiert, ohne dass man im Hinblick auf die Fahrsicherheit irgendwas sagen kann.“

Und Priemer hat in seiner Vergangenheit sogar selbst geforscht, weil ihn diese Ungleichbehandlung zwischen Alkohol- und Cannabis-Konsum stört: „Ich bin für die Durchsetzung von rechtsstaatlichen Prinzipien und da ist jeder vor dem Gesetz gleich.“ Als er noch beim Institut für Rechtsmedizin gearbeitet hat, erzählt er, habe ihm sein Professor ein Messgerät zur Pupillenfunktion des menschlichen Auges mitgegeben.

„Damals war es so, dass Fahrzeugführer, bei denen Cannabis im Blut war und der Polizeibeamte angegeben hat, der habe weite, lichtstarre Pupillen, der Sachverständige aus dem Institut für Rechtsmedizin, dann gesagt hat, der ist fahruntüchtig.“ Somit sei eine Kausalität zwischen dem THC im Blut und dem Effekt einer lichtstarren Pupille hergestellt worden.

Seine eigene Studie, in der Priemer die Pupillen von mehreren Kiffern in Bezug auf Blendung des Auges analysierte, ergab aber, dass dieser Effekt gar nicht eintritt. Er fand im weiteren Verlauf auch keinerlei wissenschaftlich aussagekräftige Studie, die dies bestätigt.

Ein Grund, warum der Rechtsmediziner das Institut verließ und seither als selbstständiger Sachverständiger arbeitet: „Es muss dieser analytische Grenzwert überdacht werden, also aus meiner Sicht, das kann man so nicht mehr lassen.“ Schließlich sei jemand, der am Abend einen Joint raucht und am nächsten Tag in sein Auto steigt, eben schon fahrtüchtig. Die Wirkung von Cannabis hält laut der Stiftung „Sucht Schweiz“ in der Regel nur vier Stunden an.

Kiffen für die Forschung

Priemer konnte sich als Beobachter eines Versuches auch davon überzeugen, dass selbst „total zugedröhnte“ Kiffer kaum in ihrer Fahrtüchtigkeit eingeschränkt sind. Man habe 14 Freiwillige innerhalb einer bestimmten Zeit drei Joints rauchen lassen. Danach, so Priemer, habe man sie auf Fahrrädern mit Stützrad durch einen Parcours geschickt, um das Reaktionsvermögen zu testen: Bälle, die über die Fahrbahn kugeln, enge Spiralen, Lichteffekte: Und alle hatten keinerlei Einschränkung, berichtet Priemer über die 2016 veröffentlichte Studie, bei der Kurt Rüdiger Maatz, ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof, federführend beteiligt war.

Fritz Priemer ist für die Legalisierung von Cannabis. Sicherlich sei die Substanz gesundheitsschädlich und keiner wolle Verkehrsteilnehmer, die so berauscht sind, dass sie nicht mehr fähig sind, ein Fahrzeug zu führen. Aber Alkohol sei auch gesundheitsschädlich und Ursache vieler Unfälle. Und im Gegensatz zum Alkoholrausch, der sehr enthemmend wirken könne, seien dem Rechtsmediziner keinerlei Fälle von Gewaltstraftaten wie Körperverletzung im Zusammenhang mit ausschließlichem Konsum von Cannabis bekannt. Für Priemer steht fest: „Es ist absolut richtig, Cannabis zu legalisieren.“

So würde man Cannabiskonsumenten endlich entkriminalisieren. Denn wer derzeit lieber einen Joint raucht, als ein Bier trinkt, müsse einen Drogendealer besuchen. Und dann gebe es bei derselben Person auch Koks, Amphetamin oder Heroin. Gerade Jugendliche kämen so in Kontakt mit härteren Drogen.

Schwarzmarkt würde geschwächt

„Das Ergebnis ist, der Schwarzmarkt, die organisierte Kriminalität, dass sich die Menschen kriminalisieren, dass die Grenze zwischen legalem und illegalem Verhalten verschwimmt.“ Priemer geht davon aus, dass mit der Legalisierung der Schwarzmarkt zwar nicht verschwindet, aber doch deutlich geschwächt werden könnte. Bis zu drei Cannabispflanzen kann man demnächst selbst anbauen und eine Menge von bis zu 25 Gramm ist dann straffrei.

Priemer wünscht sich auch eine Anpassung in der Straßenverkehrsordnung. In anderen Ländern, wie zum Beispiel dem Bundesstaat Colorado in den USA, wurde die zulässige Grenze von THC im Blut auf zehn Mikrogramm hochgesetzt. Und erstaunlich: Seitdem sind die Zahlen von schweren Unfällen rückläufig. Vielleicht, so Priemer, seien dort einige dank der Legalisierung auf Cannabis statt Alkohol umgestiegen. Denn Hauptverursacher von Verkehrsunfällen, bei denen berauschende Mittel im Spiel waren, ist laut Statistischem Bundesamt mit 84 Prozent im Jahr 2021 Alkohol.

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