Rosenheim – „Diese Häufung ist uns selbstverständlich auch aufgefallen“, sagt Thomas Kaltenbacher, Sprecher der Verkehrspolizeiinspektion (VPI) Rosenheim/Raubling. „Und natürlich wollen wir wissen, woran es liegt und was wir tun können.“ Bittere Erkenntnis bisher: Die VPI kann nichts tun, keiner der Unfälle hätte durch Beschilderung oder Baumaßnahmen verhindert werden können.
Unfallstelle
Bernauer Berg
Es begann Ende März mit einer Beinahe-Katastrophe: Der senegalesische Fahrer eines Autotransporters hatte am Bernauer Berg auf winterglatter Strecke die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren. Zugmaschine und Aufleger gingen getrennte Wege, der Dieseltank riss und mehrere Hundert Liter Treibstoff sowie Hydraulik- und andere Öle liefen in den Moosbach und den Chiemsee. Ölsperren und ausbaggern des Baches verhinderten eine Umweltkatastrophe. Anfang Mai erlebte ein Lkw-Fahrer zwischen den Anschlussstellen Bergen und Siegsdorf-West am „Reichhauser Berg“ einen wahren Albtraum: Ihn erwischte am frühen Morgen der Sekundenschlaf. Die Folge: Er stürzte mit dem Sattelzug 2,5 Meter die Böschung hinab. Ein paar Tage später kam in der Nacht ein mit Lebensmitteln beladener Lkw von der Autobahn ab, rutschte eine Böschung hinab und blieb in einem Bachlauf liegen. Nur Stunden später übersah ein Fahrer den Rückstau eines anderen Unfalls, zog im letzten Moment auf die Überholspur und riss dabei seinem Sattelauflieger sowie dem Sattelauflieger des stehenden Lkw am Stauende die komplette Seite auf.
Weitere Fälle: Ein Milchlaster, der zwischen Grabenstätt und Bergen ins Bankett gerät und die Böschung hinabrutscht.
Bei einem vollbeladenen Sattelschlepper, der kurz vor dem Bernauer Berg von der Fahrbahn flog, war die Unfallursache ausnahmsweise schnell klar: Ein Vorderreifen war geplatzt. Ein übersehener Pkw, und zuletzt am Mittwoch, 13. September, eine 21-jährige Österreicherin, die mit ihrem Sattelzug zwischen Reischenhart und dem Dreieck Inntal von der A93 abkam, die Böschung hochfuhr und zurück auf den Standstreifen kippte.
Früher hieß es bei Lkw-Unfällen mit unklarer Ursache schnell: „Der wird total übermüdet gewesen sein, zu lange auf seinem Bock gehockt haben.“ Zu lange Fahrzeiten sind heutzutage fast nicht mehr möglich, sagt aber Georg Dettendorfer. 250 Lkws plus sind permanent für seine Firma Johann Dettendorfer, eines der größten Logistikunternehmen Europas, unterwegs. Ausgerüstet mit einem digitalen Tacho, der Lenk- und Ruhezeiten minutiös und lückenlos auszeichnet.
Und nicht nur Dettendorfers Lkws sind entsprechend ausgestattet, sondern alle, die auf Fernstrecken unterwegs sind. Denn die Lkws werden immer jünger. „Die Maut für alte Gurken kann sich keiner mehr leisten“, sagt Dettendorfer, der nicht nur Unternehmer, sondern auch Vorsitzender des Verkehrsausschusses des Deutschen Industrie- und Handelskammertages ist. Und die nachgewiesene Überschreitung von Lenkzeiten kann teuer werden.
Thomas Kaltenbacher, der Sprecher der VPI Rosenheim/Raubling, berichtet, dass er und seine Kollegen keine stetig wiederkehrende Unfallursache ausgemacht haben. „Wir haben uns jeden einzelnen Unfall angeschaut, manchmal war es eindeutig – wie der Reifenplatzer – und manchmal stellte sich erst im Laufe der Untersuchung heraus, dass ein Fahrfehler dahinter steckte, dass die Beladung nicht sicher war oder der Fahrer abgelenkt.“ Von letzterem geht die VPI derzeit auch beim Unfall der jungen Österreicherin auf der A93 aus.
Verkehrsdichte
eine Belastung
Georg Dettendorfer hat noch eine Vermutung, was zu den gehäuften Unfällen beitragen könnte: Der immer dichtere Verkehr auf den Autobahnen und die damit einhergehende Belastung der Fahrer.
Da könnten auch die immer besser werdenden Assistenzsysteme für Lkws nur bedingt gegensteuern. Wenn dann noch Fahrstreifen wegen Bauarbeiten gesperrt sind, sei die Anspannung für die Lkw-Fahrer noch größer. Wer die schmalen Fahrspuren in Baustellen kennt, kann das nachvollziehen.
Dettendorfer sagt aber auch geradeheraus, dass er keine hundertprozentig stichhaltige Erklärung für die Unfallserie der letzten Monate hat. Genauso geht es Kaltenbacher und der VPI. „Wir können nur hoffen, dass die Serie bald zu Ende geht.“