Traunstein/Rosenheim – Im Traunsteiner Landgerichtsprozess um Aussetzung ihres erst wenige Stunden alten Babys in einem Hinterhof in Rosenheim ließ eine weitgehend geständige 27-jährige Filialleiterin gestern die Tat über ihren Verteidiger einräumen. Seine Mandantin selbst fühle sich „nicht in der Lage, Fragen zu beantworten“, so Anwalt Dr. Markus Frank. Die Siebte Strafkammer mit Vorsitzender Richterin Christina Braune hat vier Verhandlungstage angesetzt.
Vor Medienvertretern und vier Zuhörern verlas Staatsanwalt Wolfgang Fiedler die Anklageschrift. Demnach brachte die Frau, die ihre Schwangerschaft verheimlicht hatte, spätnachts am 8. März diesen Jahres das Mädchen in ihrer verwahrlosten Wohnung unter unhygienischen Umständen und zu niedriger Raumtemperatur zur Welt.
Kleines Mädchen war
stark unterkühlt
Mit einer Schere durchtrennte sie selbst die Nabelschnur. Die 27-Jährige steckte das mit einem dünnen Kleidchen und einem ebenso dünnen Jäckchen bekleidete Mädchen nur mit einem Schal bedeckt in eine schwarze Stofftasche. Diese legte sie dann um 7.51 Uhr an einer Hausecke im Hinterhof des Hotels „Wendelstein“ in der Bahnhofstraße in Rosenheim ab.
Aufgrund der Kühle in der Wohnung und der Außentemperatur von nur acht Grad an jenem Märzmorgen war das Mädchen beim zufälligen Auffinden durch zwei Frauen um 7.55 Uhr bereits stark unterkühlt. Der Staatsanwalt geht in der Anklageschrift von einer Körperkerntemperatur von unter 32 Grad aus und wirft der Mutter vor, schwere Gesundheitsschäden bis hin zum Tod des Babys in Kauf genommen zu haben. Sie habe sich der Aussetzung des Mädchens und einer gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht – so Staatsanwalt Wolfgang Fiedler.
Wie Verteidiger Dr. Markus Frank ausführte, räumt die Angeklagte ein, das Kind allein in ihrer Wohnung geboren und „nach gewisser Zeit“ die Nabelschnur durchgeschnitten zu haben. Niemand habe von der Schwangerschaft gewusst. Seine Mandantin sei „völlig verzweifelt“ gewesen. Sie habe bereits zwei Kinder zur Welt gebracht und beide zur Adoption freigegeben. „Sie hatte Angst vor der Reaktion der Leute“, erklärte Dr. Markus Frank zum Motiv.
Am Tag vor der Geburt habe die 27-Jährige im Internet nach einer Babyklappe im Raum Rosenheim gesucht, aber nichts gefunden. Nach Abstellen der Tasche mit dem Kind an dem Hotel habe sie noch etwas gewartet. Sie habe „Geräusche gehört“ und geglaubt, es komme jemand. Der Verteidiger gab weiter an: „Die Angeklagte bedauert alles zutiefst. Sie wusste für sich selbst keinen anderen Rat.“
Zeugin hörte
„kleine Geräusche“
Erste Zeugin in dem Prozess war gestern ein Hotelgast. Die 50-Jährige schilderte, sie habe damals ihr Gepäck ins Auto geschafft und sei zurück ins Gebäude, um die Rechnung zu bezahlen. An dem Morgen habe sehr stürmisches Wetter geherrscht. Sie habe eine Tasche am Boden liegen sehen und „kleine Geräusche“ gehört. Intuitiv habe sie an ein Kind denken müssen.
Die Kauffrau schilderte, sie sei sofort in das Hotel gerannt, um die Mitarbeiter über ihren Verdacht zu informieren und dann wieder raus auf den Hof. Draußen habe ein Mann gerade sein Fahrrad aufgeschlossen. Gemeinsam habe man die Einkaufstüte aus Stoff aufgehoben und gemerkt, dass sich „etwas Schweres“ darin befand. Für das kleine Mädchen in den dünnen Kleidern habe man Decken geholt. Dann seien auch schon Notarzt, Krankenwagen und Polizei eingetroffen, erinnerte sich die Zeugin.
Zu der Situation mit der Stofftüte am kalten Boden kam damals eine von der 50-Jährigen zu Hilfe geholte 43-jährige Hotelmitarbeiterin. Sie griff nach ihren Worten unter die Tasche, vernahm den Schrei eines Kindes, suchte nach dem Köpfchen und holte den Säugling heraus.
Die Zeugin schilderte: „Das Mädchen hatte noch die Nabelschnur dran, fühlte sich sehr kühl an und wirkte geschwächt.“ Während man das Baby in Handtücher wickelte, kam professionelle Hilfe.
Der Hoteleigentümer hörte an jenem Tag im Büro die Rufe der 50-Jährigen. Er lief zum Fundort, der eigentlich nicht auf seinem Grundstück, sondern an der Papinstraße gelegen war. Im Hotel habe man das Kind gewärmt, informierte der Zeuge vor Gericht. Und weiter: „Irgendwann hat das Baby aufgehört zu schreien.“
In den Hinterhof kämen außer parkenden Gästen mit Autos nicht viele Leute, höchstens jemand auf dem Weg zu den Mülltonnen, antwortete der Hoteleigentümer auf die Frage der Vorsitzenden Richterin. Der Hof sei von der Straße her gesehen „ziemlich eingewachsen“. Ein Fußgänger draußen auf dem Gehsteig müsse „schon genau hinschauen“. Dass in der im Hof herumstehenden Tasche ein Kind sein könnte – auf diese Idee wäre er ohne die Frauen nicht gekommen, meinte der Zeuge.
Säugling wurde mit
Sauerstoff versorgt
Das unterkühlte, wimmernde Kind mit eher bläulichem Gesicht atmete nach Worten einer Notfallsanitäterin damals zu schnell, wurde mit Sauerstoff versorgt, im Krankenwagen stabilisiert und aktiv mit Wärme versorgt. Den Zustand des Mädchens beschrieb die 43-Jährige mit „sichtbarer Beeinträchtigung“. Lebensgefahr habe jedoch nicht bestanden. Der Prozess wird am morgigen Freitag sowie am 9. und 11. Oktober fortgesetzt.