Schechen-Pfaffenhofen – Kaffee, Wasser und ein Korb Brezen stehen auf dem Tisch in der Ulmenstraße. Am Tisch: Annemarie Biechl, Peter Peltzer, Hans Holzmeier und Lothar Thaler. „Stellt euch mal vor, wir wären damals nicht nach München gefahren… Wir hätten immer noch mehr als 2500 Lkw im Dorf!“, sagt Peltzer in die Runde. Die drei anderen schüttelt es. Nein, das wollen sie sich nicht vorstellen.
„B15 raus aus
Pfaffenhofen“
Wer Anfang der 2000er- Jahre auf der B15 zwischen Rosenheim und Wasserburg unterwegs war, kam an vielen kleinen und großen Schildern „B15 raus aus Pfaffenhofen“ vorbei. Das Planfeststellungsverfahren für die Rosenheimer Westtangente lief schon. Und, wie sich der damalige Schechener Bürgermeister Hans Holzmeier erinnert, hieß es immer, dass ausschließlich von Süd nach Nord gebaut werde. Alles andere käme nicht infrage.
Dagegen machte eine Bürgerinitiative mobil. Unter anderem mit zahlreichen Demonstrationen. „Ich habe noch alle Anmeldungen zu Hause“, sagt Lothar Thaler mit einem breiten Grinsen. Bis zu 1000 Demonstranten waren es teils – mehr, als Pfaffenhofen Einwohner hat. Politische Frühschoppen und Stammtische kamen hinzu. Die Motivation war groß. Der Leidensdruck durch die vielen Lkw auch. „Wir hatten den Vorteil, dass wir den Widerstand über fünf, sechs, sieben Jahre auf hohem Niveau halten konnten“, so Thaler.
Peltzer erinnert sich an eine Sitzung beim Wirt: „Da kam die Nachricht, dass die Stadt Rosenheim unbedingt will, dass der nördlichste Bauabschnitt als letztes gebaut wird.“ Baurecht für die Westtangente gab es in der Zwischenzeit. Aber wie sollte sich das Dorf gegen die Stadt Rosenheim durchsetzen? Selbst wenn die politische Gemeinde Schechen und der Bürgermeister hinter den Bürgern und der Bürgerinitiative standen?
Nur über die höhere Politik. Peltzer kannte den damals zuständigen Innenminister Joachim Herrmann seit Jahren durch seine berufliche Tätigkeit. Annemarie Biechl, damals Landtagsabgeordnete, stand dem Kampf der Pfaffenhofener positiv gegenüber und hatte – wie Peltzer – einen guten Draht zu Herrmann. Der Termin beim Minister stand schnell. Holzmeier und Thaler waren sofort mit an Bord.
„Als wir im Vorzimmer ankamen, saß da schon der oberste Bau-Mann und hatte die Pläne für die Westtangente dabei“, erinnert sich Peltzer. „Dass wir den Termin so kurzfristig bekommen haben und dann noch der Chef der obersten Baubehörde dabei ist, das ist auch nicht selbstverständlich“, erklärt Annemarie Biechl. Einen Moment suchen die vier nach dem Namen, dann kommt erleichtert „Dr. Linder!“ von Thaler.
Nun hat die bayerische Staatsregierung nur begrenzt Möglichkeiten, Bauarbeiten oder deren Planung an einer Bundesstraße zu beeinflussen. Aber: „Voraussetzung für den Bau der Pfaffenhofener Umgehung war, dass die Staatsstraße 2080 von Rosenheim nach Ebersberg ertüchtigt wird“, erklärt Holzmeier. Der Staatsstraßenausbau hatte aber nur Dringlichkeitsstufe 3 und hätte also noch einige Jahre gedauert. „Die Dringlichkeitsstufe hat der Minister schnell auf 1 gesetzt“, erzählt Holzmeier und schmunzelt. „Wir sind schon motiviert in den Termin gegangen“, sagt Annemarie Bichl, „aber dann waren wir doch alle vier von Joachim Herrmanns Reaktion überrascht.“
Und Herrmann hat dafür gesorgt, dass Pfaffenhofen ein eigener Bauabschnitt wurde. „Wir sind so euphorisch zurückgefahren“, sagen Holzmeier und Thaler lachend. Denn Herrmann sorgte in der Folge auch dafür, dass Geld zur Verfügung stand. „So froh wir waren, dass die Umgehung von Pfaffenhofen mit bayerischem Geld vorangetrieben werden konnte, so sauer waren andere“, erinnert sich Annemarie Biechl noch gut. Rosenheims damalige Oberbürgermeister Gabriele Bauer habe sie regelrecht angefaucht, „sie befürchtete, dass die Umgehung von Pfaffenhofen zulasten Rosenheims ginge“.
Es gab noch einen weiteren Knackpunkt: Die Bahnstrecke nach Wasserburg. Die hätte nach den ursprünglichen Westtangenten-Plänen für die B15 untertunnelt werden sollen. Völlig überflüssig, befand Peltzer, tat das auch laut kund. Schließlich fuhr er jeden Tag nach Wasserburg, wo er 20 Jahre Bayerns größte Realschule leitete. Und auf der Strecke täglich den Bahnübergang auf der B15 bei Rott-Lengdorf querte. „Mehr als fünf Autos standen da selten. Zehn waren außergewöhnlich viel.“ Sahen andere wohl genauso, die Untertunnelung wurde ad acta gelegt.
Was die vier München-Fahrer damals, 2013, durchaus ärgerte: Im Landtagswahlkampf gab sich die gesammelte Politprominenz der Region in Pfaffenhofen die Ehre. „Alle, auch die, die vorher strikt dagegen waren. Und die, denen es egal war“, sagt Thaler. Heute kommentieren sie das mit hochgezogenen Augenbrauen und Kopfschütteln.
Dinglreiter leistete
wesentlichen Beitrag
Verärgerter sind sie alle vier eher darüber, dass beim Bau der Westtangente oft Adolf Dinglreiter vergessen wird. „Der hat 1991 die Trasse mitbestimmt und als Landtagsabgeordneter dazu beigetragen, dass sie 1993 in den vordringlichen Bedarf eingestuft wurde“, sagt Hans Holzmeier. Da war Daniela Raab, heute Ludwig, noch Gymnasiastin in Rosenheim. Sie habe sich später sehr für den Bau eingesetzt, da sind sich die vier einig, wollen die Verdienste der Rosenheimer Bundestagsabgeordneten nicht schmälern. Aber dass es die Westtangente nur ihretwegen gebe, stimme so nicht.
Große Erleichterung in Pfaffenhofen dann 2015: Der damalige Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt gab alle Mittel für den Bau der Westtangente frei. Und damit auch für die Pfaffenhofener Umgehung. Ein Jahr später gingen die Arbeiten los, zeitweise parallel zum Ausbau der Staatsstraße 2080.
Zwei Jahre und 18 Millionen Euro später waren Staatsstraße und Ortsumgehung fertig, Pfaffenhofen ist die B15 durch den Ort los. „Wenn man heute mit dem Projekt anfangen würde, brächte man es vermutlich gar nicht mehr durch“, meint Holzmeier.